Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.Ist Heuer unser Wein misrathen, so bessern wir doch unsern Schaden, wenn Noch sind vier Gedichte übrig, in denen die schon früher hin und wieder Da uns jedoch diese ernstreligiösen Gedichte weder über die Verhältnisse Und nicht weniger engherzig wie das Landesgefühl zeigt sich das Standes¬ Ist Heuer unser Wein misrathen, so bessern wir doch unsern Schaden, wenn Noch sind vier Gedichte übrig, in denen die schon früher hin und wieder Da uns jedoch diese ernstreligiösen Gedichte weder über die Verhältnisse Und nicht weniger engherzig wie das Landesgefühl zeigt sich das Standes¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117348"/> <p xml:id="ID_937" prev="#ID_936"> Ist Heuer unser Wein misrathen, so bessern wir doch unsern Schaden, wenn<lb/> Gott will, schon im nächsten Jahr. Amen und ja, das werde wahr!"</p><lb/> <p xml:id="ID_938"> Noch sind vier Gedichte übrig, in denen die schon früher hin und wieder<lb/> hervorbrechende ernste Stimmung des Dichters ihren vollen Ausdruck findet.<lb/> Im ersten (IX.) wird der Knappe nun wirklich und für immer fortgeschickt;<lb/> sechzigjährig hat der Dichter andere Dinge zu bedenken als seine Scherz- und<lb/> Spottreden. Im zweiten (X.) bittet der Dichter die Jungfrau Maria um Ver¬<lb/> gebung seiner Sünden; sei er spöttisch gewesen, so wolle er nun jedem Bieder¬<lb/> mann sein Lob lassen. Diese beiden Gedichte stehen auch durch formelle<lb/> Eigenthümlichkeiten in einer gewissen Verwandtschaft. Ebenso das dritte und<lb/> vierte, die sich zu lyrischer Künstlichkeit und zum feierlichen Ausdruck rein re¬<lb/> ligiöser Gedanken steigern. Das eine (XI.) ist ein Ave und schließt an jedes<lb/> Wort des englischen Grußes eine Strophe an, das andre (XII.) ahmt eine<lb/> Reimspielerei Walthers von der Vogelweide nach, die dieser freilich mit bes¬<lb/> serem Geschmacke in einem scherzhaften Lied von Sommerlust und Winterleid<lb/> angewandt hatte. Es sind fünf Strophen, von denen eine jede durchgängig<lb/> auf einen der fünf Vocale reimt.</p><lb/> <p xml:id="ID_939"> Da uns jedoch diese ernstreligiösen Gedichte weder über die Verhältnisse<lb/> des Dichters, noch über das des Landes weitere Auskunft geben, so müssen<lb/> wir als Ausgangsdatum dieser Dichtungen etwa das Jahr 1300 ansetzen.<lb/> Mit diesem Jahre war, wenn auch nicht für Deutschland, so doch für Oestreich<lb/> ein gewisser Abschluß der seit dem Eude der Hohenstaufenzeit beginnenden<lb/> Uebergangsperiode eingetreten. Oestreich, das nach der Mitte des dreizehnten<lb/> Jahrhunderts fast aus dem Kranze der deutschen Lande herausgerissen zu sein<lb/> schien, war nicht nur wiedergewonnen, es hatte sogar die politische Führer¬<lb/> schaft in Deutschland erworben. Aber diese war freilich eine andere als die<lb/> schwäbische der Hohenstaufen, unter welcher die Zusammengehörigkeit und<lb/> damit die Weltmacht Gesammtdeutschlands in den Vordergrund getreten war.<lb/> Damals hatte Walther von der Vogelweide sein schönes Lied gesungen von<lb/> der Tüchtigkeit deutscher Männer und von den engelgleichen deutschen Frauen.<lb/> Damals hatte Neidhart von Rauenthal, vom Kreuzzug zurückkehrend, sein<lb/> Vaterland begrüßt mit den Worten: So wohl dir, deutsche Zunge! — Jetzt<lb/> am Ende desselben Jahrhunderts stand es anders. Die Stämme und Staaten<lb/> waren auseinander gefallen. Von deutscher Ehre, deutscher Tugend hören<lb/> wir bei unserem Dichter nichts, nur Oestreich führt er im Munde: über Oest¬<lb/> reichs enge Grenzen blickt er nicht hinaus, was von draußen kommt, ist ihm<lb/> etwas Fremdes.</p><lb/> <p xml:id="ID_940" next="#ID_941"> Und nicht weniger engherzig wie das Landesgefühl zeigt sich das Standes¬<lb/> bewußtsein des Dichters. Nicht als Sprecher aller, nicht einmal für die ge-<lb/> sammte Ritterschaft tritt er auf, sondern eigentlich nur als Vertreter einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0344]
Ist Heuer unser Wein misrathen, so bessern wir doch unsern Schaden, wenn
Gott will, schon im nächsten Jahr. Amen und ja, das werde wahr!"
Noch sind vier Gedichte übrig, in denen die schon früher hin und wieder
hervorbrechende ernste Stimmung des Dichters ihren vollen Ausdruck findet.
Im ersten (IX.) wird der Knappe nun wirklich und für immer fortgeschickt;
sechzigjährig hat der Dichter andere Dinge zu bedenken als seine Scherz- und
Spottreden. Im zweiten (X.) bittet der Dichter die Jungfrau Maria um Ver¬
gebung seiner Sünden; sei er spöttisch gewesen, so wolle er nun jedem Bieder¬
mann sein Lob lassen. Diese beiden Gedichte stehen auch durch formelle
Eigenthümlichkeiten in einer gewissen Verwandtschaft. Ebenso das dritte und
vierte, die sich zu lyrischer Künstlichkeit und zum feierlichen Ausdruck rein re¬
ligiöser Gedanken steigern. Das eine (XI.) ist ein Ave und schließt an jedes
Wort des englischen Grußes eine Strophe an, das andre (XII.) ahmt eine
Reimspielerei Walthers von der Vogelweide nach, die dieser freilich mit bes¬
serem Geschmacke in einem scherzhaften Lied von Sommerlust und Winterleid
angewandt hatte. Es sind fünf Strophen, von denen eine jede durchgängig
auf einen der fünf Vocale reimt.
Da uns jedoch diese ernstreligiösen Gedichte weder über die Verhältnisse
des Dichters, noch über das des Landes weitere Auskunft geben, so müssen
wir als Ausgangsdatum dieser Dichtungen etwa das Jahr 1300 ansetzen.
Mit diesem Jahre war, wenn auch nicht für Deutschland, so doch für Oestreich
ein gewisser Abschluß der seit dem Eude der Hohenstaufenzeit beginnenden
Uebergangsperiode eingetreten. Oestreich, das nach der Mitte des dreizehnten
Jahrhunderts fast aus dem Kranze der deutschen Lande herausgerissen zu sein
schien, war nicht nur wiedergewonnen, es hatte sogar die politische Führer¬
schaft in Deutschland erworben. Aber diese war freilich eine andere als die
schwäbische der Hohenstaufen, unter welcher die Zusammengehörigkeit und
damit die Weltmacht Gesammtdeutschlands in den Vordergrund getreten war.
Damals hatte Walther von der Vogelweide sein schönes Lied gesungen von
der Tüchtigkeit deutscher Männer und von den engelgleichen deutschen Frauen.
Damals hatte Neidhart von Rauenthal, vom Kreuzzug zurückkehrend, sein
Vaterland begrüßt mit den Worten: So wohl dir, deutsche Zunge! — Jetzt
am Ende desselben Jahrhunderts stand es anders. Die Stämme und Staaten
waren auseinander gefallen. Von deutscher Ehre, deutscher Tugend hören
wir bei unserem Dichter nichts, nur Oestreich führt er im Munde: über Oest¬
reichs enge Grenzen blickt er nicht hinaus, was von draußen kommt, ist ihm
etwas Fremdes.
Und nicht weniger engherzig wie das Landesgefühl zeigt sich das Standes¬
bewußtsein des Dichters. Nicht als Sprecher aller, nicht einmal für die ge-
sammte Ritterschaft tritt er auf, sondern eigentlich nur als Vertreter einer
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