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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Baum gebunden, trüb und matt. Wünsch aber sei weit vorausgeeilt, bis
an den Rhein; derweilen habe Merk still unter einer Staude gelegen. Die
Verschwörer, die die räthselhafte Rede anhören müssen, werden bestürzt und
schelten den Burschen als einen Narren. Daran schließt sich weiter die Be¬
schreibung der Audienz; die die Abgesandten des Dienstadels beim Herzog
hatten und wie sie durch das Murren der zuhörenden Ritter unterbrochen,
ihre theilweise Merdin gs unverschämten Forderungen dem Fürsten vorlegten,
von diesem aber ruhig und fest abgewiesen wurden. Leider ist der Schluß
der Erzählung nicht erhalten.

An dieses Gedicht schließen sich noch zwei andere an. Das eine (VII),
schildert in ganz allgemeinem Sinne und in allegorischen Gewände einen
Kampf der Tugenden und Laster, und vergleicht nur einmal ganz beiläufig
die Versammlung der Laster mit der zu Trübensee. Das andere (XV), das
sich als eine frühere Unterredung mit dem nun entlassenen Knappen darstellt,
faßt nochmals die Beschwerden der Ritterschaft gegen den vornehmen Dienst¬
adel zusammen. Der Knappe verwundert sich darüber, wie alle Freude ge¬
schwunden sei: das ritterliche Leben, von welchem die Greise soviel zu er¬
zählen wissen, müsse nun wie eine schöne Sage erscheinen. Kürzlich sei er
in Wien gewesen und habe bei Hofe dem Essen zugeschaut. Vor ihm saßen
vier der Vornehmsten. Der eine sagte: .Wenn einer eine gute Kuh hat, so'
weiß ich, wie er in einem Jahr ein ganzes Fuder Milch von ihr bekommen
kann/ Der zweite freut sich über seine zehn vollen Korngruben, die er im
Frühjahr hoch verwerthen will; der dritte erzählt, daß er für vierzig Pfund
Wein gekauft hat, nicht um selbst davon zu trinken, sondern um damit gute
Geschäfte zu machen. Der vierte endlich meint, die Ritter seien gar zu üppig
geworden. Man solle ihnen die Pferde immer nur gegen Erlegung von fünf
Sechsteln des Werthes übergeben. Diese sparsamen und gewinnsüchtigen
Gesinnungen stellt der boshafte Knappe in ein noch schärferes Licht, indem
er die einzelnen Aeußerungen mit den Mustern der Ritterschaft, den Helden
aus der Gralsage vergleicht. Der Ritter tadelt wieder die kecke Rede; da
erwiedert der Knappe, indem er einigermaßen aus der Rolle sällt, dies Ge¬
dicht sei aler 1ouMu duvet, das Buch der Geheimnisse genannt und nur
für die bestimmt, die des Landes Leid beklagen HUfen wollten. Dann fährt
er fort, was für eine Landesvertheidigung freilich bei solchem Geize heraus¬
komme, das habe man bei der Belagerung Wiens durch die Ungarn gesehen.
Da habe sich alles in die festen Mauern geflüchtet, und vor allem die Dienst¬
mannen selbst, denen doch die Abwehr der Feinde vorzüglich oblag. Wohl
habe einer oder der andere seinen Knecht hinausgeschickt, er solle muthig vor
das Burgthor reiten und sein Fähnlein schwenken, damit es der Herzog auch
sehe; aber an die Feinde brauche er nicht heran; denn wenn ihm der Hengst


Baum gebunden, trüb und matt. Wünsch aber sei weit vorausgeeilt, bis
an den Rhein; derweilen habe Merk still unter einer Staude gelegen. Die
Verschwörer, die die räthselhafte Rede anhören müssen, werden bestürzt und
schelten den Burschen als einen Narren. Daran schließt sich weiter die Be¬
schreibung der Audienz; die die Abgesandten des Dienstadels beim Herzog
hatten und wie sie durch das Murren der zuhörenden Ritter unterbrochen,
ihre theilweise Merdin gs unverschämten Forderungen dem Fürsten vorlegten,
von diesem aber ruhig und fest abgewiesen wurden. Leider ist der Schluß
der Erzählung nicht erhalten.

An dieses Gedicht schließen sich noch zwei andere an. Das eine (VII),
schildert in ganz allgemeinem Sinne und in allegorischen Gewände einen
Kampf der Tugenden und Laster, und vergleicht nur einmal ganz beiläufig
die Versammlung der Laster mit der zu Trübensee. Das andere (XV), das
sich als eine frühere Unterredung mit dem nun entlassenen Knappen darstellt,
faßt nochmals die Beschwerden der Ritterschaft gegen den vornehmen Dienst¬
adel zusammen. Der Knappe verwundert sich darüber, wie alle Freude ge¬
schwunden sei: das ritterliche Leben, von welchem die Greise soviel zu er¬
zählen wissen, müsse nun wie eine schöne Sage erscheinen. Kürzlich sei er
in Wien gewesen und habe bei Hofe dem Essen zugeschaut. Vor ihm saßen
vier der Vornehmsten. Der eine sagte: .Wenn einer eine gute Kuh hat, so'
weiß ich, wie er in einem Jahr ein ganzes Fuder Milch von ihr bekommen
kann/ Der zweite freut sich über seine zehn vollen Korngruben, die er im
Frühjahr hoch verwerthen will; der dritte erzählt, daß er für vierzig Pfund
Wein gekauft hat, nicht um selbst davon zu trinken, sondern um damit gute
Geschäfte zu machen. Der vierte endlich meint, die Ritter seien gar zu üppig
geworden. Man solle ihnen die Pferde immer nur gegen Erlegung von fünf
Sechsteln des Werthes übergeben. Diese sparsamen und gewinnsüchtigen
Gesinnungen stellt der boshafte Knappe in ein noch schärferes Licht, indem
er die einzelnen Aeußerungen mit den Mustern der Ritterschaft, den Helden
aus der Gralsage vergleicht. Der Ritter tadelt wieder die kecke Rede; da
erwiedert der Knappe, indem er einigermaßen aus der Rolle sällt, dies Ge¬
dicht sei aler 1ouMu duvet, das Buch der Geheimnisse genannt und nur
für die bestimmt, die des Landes Leid beklagen HUfen wollten. Dann fährt
er fort, was für eine Landesvertheidigung freilich bei solchem Geize heraus¬
komme, das habe man bei der Belagerung Wiens durch die Ungarn gesehen.
Da habe sich alles in die festen Mauern geflüchtet, und vor allem die Dienst¬
mannen selbst, denen doch die Abwehr der Feinde vorzüglich oblag. Wohl
habe einer oder der andere seinen Knecht hinausgeschickt, er solle muthig vor
das Burgthor reiten und sein Fähnlein schwenken, damit es der Herzog auch
sehe; aber an die Feinde brauche er nicht heran; denn wenn ihm der Hengst


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[0342] Baum gebunden, trüb und matt. Wünsch aber sei weit vorausgeeilt, bis an den Rhein; derweilen habe Merk still unter einer Staude gelegen. Die Verschwörer, die die räthselhafte Rede anhören müssen, werden bestürzt und schelten den Burschen als einen Narren. Daran schließt sich weiter die Be¬ schreibung der Audienz; die die Abgesandten des Dienstadels beim Herzog hatten und wie sie durch das Murren der zuhörenden Ritter unterbrochen, ihre theilweise Merdin gs unverschämten Forderungen dem Fürsten vorlegten, von diesem aber ruhig und fest abgewiesen wurden. Leider ist der Schluß der Erzählung nicht erhalten. An dieses Gedicht schließen sich noch zwei andere an. Das eine (VII), schildert in ganz allgemeinem Sinne und in allegorischen Gewände einen Kampf der Tugenden und Laster, und vergleicht nur einmal ganz beiläufig die Versammlung der Laster mit der zu Trübensee. Das andere (XV), das sich als eine frühere Unterredung mit dem nun entlassenen Knappen darstellt, faßt nochmals die Beschwerden der Ritterschaft gegen den vornehmen Dienst¬ adel zusammen. Der Knappe verwundert sich darüber, wie alle Freude ge¬ schwunden sei: das ritterliche Leben, von welchem die Greise soviel zu er¬ zählen wissen, müsse nun wie eine schöne Sage erscheinen. Kürzlich sei er in Wien gewesen und habe bei Hofe dem Essen zugeschaut. Vor ihm saßen vier der Vornehmsten. Der eine sagte: .Wenn einer eine gute Kuh hat, so' weiß ich, wie er in einem Jahr ein ganzes Fuder Milch von ihr bekommen kann/ Der zweite freut sich über seine zehn vollen Korngruben, die er im Frühjahr hoch verwerthen will; der dritte erzählt, daß er für vierzig Pfund Wein gekauft hat, nicht um selbst davon zu trinken, sondern um damit gute Geschäfte zu machen. Der vierte endlich meint, die Ritter seien gar zu üppig geworden. Man solle ihnen die Pferde immer nur gegen Erlegung von fünf Sechsteln des Werthes übergeben. Diese sparsamen und gewinnsüchtigen Gesinnungen stellt der boshafte Knappe in ein noch schärferes Licht, indem er die einzelnen Aeußerungen mit den Mustern der Ritterschaft, den Helden aus der Gralsage vergleicht. Der Ritter tadelt wieder die kecke Rede; da erwiedert der Knappe, indem er einigermaßen aus der Rolle sällt, dies Ge¬ dicht sei aler 1ouMu duvet, das Buch der Geheimnisse genannt und nur für die bestimmt, die des Landes Leid beklagen HUfen wollten. Dann fährt er fort, was für eine Landesvertheidigung freilich bei solchem Geize heraus¬ komme, das habe man bei der Belagerung Wiens durch die Ungarn gesehen. Da habe sich alles in die festen Mauern geflüchtet, und vor allem die Dienst¬ mannen selbst, denen doch die Abwehr der Feinde vorzüglich oblag. Wohl habe einer oder der andere seinen Knecht hinausgeschickt, er solle muthig vor das Burgthor reiten und sein Fähnlein schwenken, damit es der Herzog auch sehe; aber an die Feinde brauche er nicht heran; denn wenn ihm der Hengst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/342>, abgerufen am 24.08.2024.