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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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schon wisse, daß der Herzog eine Frage halten wolle, d. h. ein Gericht, bei
dem jeder anbringen konnte, was er von geschehenem Unrecht wußte. Der
Ritter faßt diesen Gedanken auf und will anstatt des Herzogs richten, was
der Knappe ihm nur anzeigen werde; an seiner Seite stehe ein Fürstenrath,
wie er besser nicht sein könne, die sieben Tugenden Treue, Wahrheit, Scham.
Zucht und Mäßigung, Verständigkeit und Ehre. In der Klage des Knappen
tritt nun freilich zunächst der beschränkte Standpunkt des Richters hervor,
der, wenn er auch die Gerechtigkeit an sich erstrebt, doch seine Standesvor¬
rechte in den Vordergrund stellt. Erst werden die Bauern gescholten, die sich
wie Ritter tragen und deren Weiber in bunten seidnen Tüchern aus Gent
einherstolziren. ,Dann kommen die Höherstehenden an die Reihe. Schon
früher war die Feindseligkeit des Dichters gegen den Dienstadel bemerkbar
geworden, jetzt tritt sie in immer höher gesteigertem Maße hervor. Nament¬
lich wird der Geiz der vornehmen Herrn gegen die von ihnen abhängige
Ritterschaft gescholten. Dienstumsonst, das sei jetzt der rechte Mann. --
Hierauf geht der Dichter jedoch zu allgemeineren Klagen, über und schilt den
Straßenrand, wofür wieder der Fürst verantwortlich gemacht wird, den
Neid, die Lüge. Der Knappe wünscht von jedem Neidischen nur eine Bohne,
oder für jede Unwahrheit ein Weizenkorn zu erhalten am Hof oder am Gra¬
ben in Wien, wo damals die Krämer feil boten, und nun gar auf dem
Schottenhofe bei den Pferdemärkten -- dann wolle er bald reich werden. --
Soviel am ersten Tage. Am zweiten wird die umfichgreifende Prozeßsucht
vorgenommen, Früher habe es in ganz Oestreich drei Gerichtstage gegeben,
in Neuburg, Tulu und Mäulern. Einmal sei es auch vorgekommen, daß
der Herzog drei Tage gesessen habe, ohne daß jemand zur Klage vor ihn
getreten sei; da habe Leupold seine Hände erhoben und Gott dafür gedankt,
daß das Volk im ganzen Lande friedlich und ruhig neben einander wohne.
Jetzt aber, bei den Hofgerichten zu Wien, da gehe es anders zu. Wenn
hundert klagten, so schlichen noch tausend um die Schranne herum und möch¬
ten gern ankommen. Und noch andere, die auch warteten, säßen im Wirths¬
haus; wenn einer da seinen Uebergurt verliere, so sei er gleich bereit, den
Wirth vor Gericht zu fordern. Freilich, wenn man zur alten Sitte zurück¬
kehrte, so könnten die Schreiber nicht mehr so reich werden wie bisher; und
das sei ihnen doch zu gönnen, da die Geistlichen mit der Simonie, dem
Kaufe ihrer Würden, dem Verkauf der kirchlichen Gnaden noch ganz andre
Geschäfte machten. Ueberhaupt sei am Clerus so manches auszusetzen und
sehr zu beklagen, daß man ihn nicht vor den weltlichen Richter laden dürfe.
Und dazu komme noch die Zwietracht der Kirche, indem gerade damals von
1292 bis 1294 die Cardinäle sich zu keiner neuen Papstwahl vereinigen
konnten. Vom Papste geht der Dichter aus den König über; was solle der


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schon wisse, daß der Herzog eine Frage halten wolle, d. h. ein Gericht, bei
dem jeder anbringen konnte, was er von geschehenem Unrecht wußte. Der
Ritter faßt diesen Gedanken auf und will anstatt des Herzogs richten, was
der Knappe ihm nur anzeigen werde; an seiner Seite stehe ein Fürstenrath,
wie er besser nicht sein könne, die sieben Tugenden Treue, Wahrheit, Scham.
Zucht und Mäßigung, Verständigkeit und Ehre. In der Klage des Knappen
tritt nun freilich zunächst der beschränkte Standpunkt des Richters hervor,
der, wenn er auch die Gerechtigkeit an sich erstrebt, doch seine Standesvor¬
rechte in den Vordergrund stellt. Erst werden die Bauern gescholten, die sich
wie Ritter tragen und deren Weiber in bunten seidnen Tüchern aus Gent
einherstolziren. ,Dann kommen die Höherstehenden an die Reihe. Schon
früher war die Feindseligkeit des Dichters gegen den Dienstadel bemerkbar
geworden, jetzt tritt sie in immer höher gesteigertem Maße hervor. Nament¬
lich wird der Geiz der vornehmen Herrn gegen die von ihnen abhängige
Ritterschaft gescholten. Dienstumsonst, das sei jetzt der rechte Mann. —
Hierauf geht der Dichter jedoch zu allgemeineren Klagen, über und schilt den
Straßenrand, wofür wieder der Fürst verantwortlich gemacht wird, den
Neid, die Lüge. Der Knappe wünscht von jedem Neidischen nur eine Bohne,
oder für jede Unwahrheit ein Weizenkorn zu erhalten am Hof oder am Gra¬
ben in Wien, wo damals die Krämer feil boten, und nun gar auf dem
Schottenhofe bei den Pferdemärkten — dann wolle er bald reich werden. —
Soviel am ersten Tage. Am zweiten wird die umfichgreifende Prozeßsucht
vorgenommen, Früher habe es in ganz Oestreich drei Gerichtstage gegeben,
in Neuburg, Tulu und Mäulern. Einmal sei es auch vorgekommen, daß
der Herzog drei Tage gesessen habe, ohne daß jemand zur Klage vor ihn
getreten sei; da habe Leupold seine Hände erhoben und Gott dafür gedankt,
daß das Volk im ganzen Lande friedlich und ruhig neben einander wohne.
Jetzt aber, bei den Hofgerichten zu Wien, da gehe es anders zu. Wenn
hundert klagten, so schlichen noch tausend um die Schranne herum und möch¬
ten gern ankommen. Und noch andere, die auch warteten, säßen im Wirths¬
haus; wenn einer da seinen Uebergurt verliere, so sei er gleich bereit, den
Wirth vor Gericht zu fordern. Freilich, wenn man zur alten Sitte zurück¬
kehrte, so könnten die Schreiber nicht mehr so reich werden wie bisher; und
das sei ihnen doch zu gönnen, da die Geistlichen mit der Simonie, dem
Kaufe ihrer Würden, dem Verkauf der kirchlichen Gnaden noch ganz andre
Geschäfte machten. Ueberhaupt sei am Clerus so manches auszusetzen und
sehr zu beklagen, daß man ihn nicht vor den weltlichen Richter laden dürfe.
Und dazu komme noch die Zwietracht der Kirche, indem gerade damals von
1292 bis 1294 die Cardinäle sich zu keiner neuen Papstwahl vereinigen
konnten. Vom Papste geht der Dichter aus den König über; was solle der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/339>, abgerufen am 24.08.2024.