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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Gänsefuß.' Ist das nun östreichische Landessitte? fragt der Knappe zum
Schluß und erhält eine Antwort, die auf eine im Mittelalter oft, sogar in
den Nibelungen, berührte Stammesverschiedenheit hinweist. Die Oestreicher
sind die harmlosen, heitern, höflichen, und ihr gerader Gegensatz die Baiern.
So heißt es denn auch bei unserm Dichter: Nicht östreichisch sei diese Händel-
und Raublust, diese Gier und Maßlosigkeit in Speis und Trank, sie stamme
vielmehr von den Baiern her. Die seien so oft von Landshut herübergekom¬
men, hätten geraubt und gepraßt und sich so für ihre Armut daheim auf
ihren Steinklippen am östreichischen Reichthum entschädigt. Leider aber gebe es
auch in Oestreich so manchen Osteraffen, der gelehrig alles, was er sehe, nach¬
mache. -- Der Knappe fährt fort: .Sagt, lieber Herr, wer mag das sein?
Ich sah hier manchen also fein an Haltung und in Reden klug, fast schien
es mir, mehr als genug. Ihm ist ein Freund entgegenkommen, da hab' ich
diesen Gruß vernommen: ,Gott gebe dir stets frohen Sinn! Ina, mein
Freund, woher? wohin?' Mein werther Herr, ich danke sehr, Von meiner
Schwieger komm' ich her.' ,Sag, hast du eine Schwieger hie?' .Gewiß, zu
Wien hier hab' ich die. Wer sollt' hier ohne Schwieger sein? hier gibt's
so viele Töchterlein.' Der Hieb trifft die schwäbischen Ritter, die der Herzog
in's Land gezogen und von denen er einige mit östreichischen Erbtöchtern ver¬
mählt hatte zum großen Aerger der einheimischen Herren. -- Nun aber ist
es genug. Die Reihe der falschen Oestreicher beschließt die Beschreibung
des echten. Sein Kleid ist weder zu kurz noch zu lang. Sein Haar wächst
in natürlicher Freiheit und wird vorn von der Haube verdeckt. Wer ihm
mit Hohn oder Grobheit entgegenkommt, dem bietet er schnell die Spitze; aber
gegen Gute ist er gut. Vor Gott ist er andächtig, gegen seine Freunde ge¬
treu und wahr. Er versteht ebensogut Scherz wie Ernst, und spart am rechten
Orte sein Gut nicht. ,Das ist der rechte Ostermann', fällt der Herr bei, und
der Knappe wünscht, daß dem, der nun lieber anstatt dessen ein Baier sein
wolle oder ein Sachse, daß dem ein Höcker wachsen möge oder ein geschwol¬
lener Kropf.

Hierauf wird noch eine Tugend besonders besprochen, die Tapferkeit.
Der Knappe führt den Raubritter vor, den armen Herrn, der unter dem
Vorwand, zum Herzog in's Feld zu ziehen, in die Höfe der Bauern ein¬
fällt und alles wegraubt und wegschleppt, zuletzt Feuer anlegt und dem
Bauern droht, ihn mit Weib und Kind hineinzuwerfen, wenn er nicht auch
das verborgene Geld herausgebe. Der Ritter erwiedert, daß gerade die dem
Feinde gegenüber in der wahren Gefahr, den Muth verlören, den sie am
Wehrlosen so gern anstießen. Dann werden die kleinlichen Gemüther geschol¬
ten, denen, wenn sie lange vorm Feinde liegen, ihre Aecker keine Ruhe lassen
und die daher gerade im wichtigsten Augenblicke vom Heere zurückkehren.


Grenzboten I. 18"i8, 42

Gänsefuß.' Ist das nun östreichische Landessitte? fragt der Knappe zum
Schluß und erhält eine Antwort, die auf eine im Mittelalter oft, sogar in
den Nibelungen, berührte Stammesverschiedenheit hinweist. Die Oestreicher
sind die harmlosen, heitern, höflichen, und ihr gerader Gegensatz die Baiern.
So heißt es denn auch bei unserm Dichter: Nicht östreichisch sei diese Händel-
und Raublust, diese Gier und Maßlosigkeit in Speis und Trank, sie stamme
vielmehr von den Baiern her. Die seien so oft von Landshut herübergekom¬
men, hätten geraubt und gepraßt und sich so für ihre Armut daheim auf
ihren Steinklippen am östreichischen Reichthum entschädigt. Leider aber gebe es
auch in Oestreich so manchen Osteraffen, der gelehrig alles, was er sehe, nach¬
mache. — Der Knappe fährt fort: .Sagt, lieber Herr, wer mag das sein?
Ich sah hier manchen also fein an Haltung und in Reden klug, fast schien
es mir, mehr als genug. Ihm ist ein Freund entgegenkommen, da hab' ich
diesen Gruß vernommen: ,Gott gebe dir stets frohen Sinn! Ina, mein
Freund, woher? wohin?' Mein werther Herr, ich danke sehr, Von meiner
Schwieger komm' ich her.' ,Sag, hast du eine Schwieger hie?' .Gewiß, zu
Wien hier hab' ich die. Wer sollt' hier ohne Schwieger sein? hier gibt's
so viele Töchterlein.' Der Hieb trifft die schwäbischen Ritter, die der Herzog
in's Land gezogen und von denen er einige mit östreichischen Erbtöchtern ver¬
mählt hatte zum großen Aerger der einheimischen Herren. — Nun aber ist
es genug. Die Reihe der falschen Oestreicher beschließt die Beschreibung
des echten. Sein Kleid ist weder zu kurz noch zu lang. Sein Haar wächst
in natürlicher Freiheit und wird vorn von der Haube verdeckt. Wer ihm
mit Hohn oder Grobheit entgegenkommt, dem bietet er schnell die Spitze; aber
gegen Gute ist er gut. Vor Gott ist er andächtig, gegen seine Freunde ge¬
treu und wahr. Er versteht ebensogut Scherz wie Ernst, und spart am rechten
Orte sein Gut nicht. ,Das ist der rechte Ostermann', fällt der Herr bei, und
der Knappe wünscht, daß dem, der nun lieber anstatt dessen ein Baier sein
wolle oder ein Sachse, daß dem ein Höcker wachsen möge oder ein geschwol¬
lener Kropf.

Hierauf wird noch eine Tugend besonders besprochen, die Tapferkeit.
Der Knappe führt den Raubritter vor, den armen Herrn, der unter dem
Vorwand, zum Herzog in's Feld zu ziehen, in die Höfe der Bauern ein¬
fällt und alles wegraubt und wegschleppt, zuletzt Feuer anlegt und dem
Bauern droht, ihn mit Weib und Kind hineinzuwerfen, wenn er nicht auch
das verborgene Geld herausgebe. Der Ritter erwiedert, daß gerade die dem
Feinde gegenüber in der wahren Gefahr, den Muth verlören, den sie am
Wehrlosen so gern anstießen. Dann werden die kleinlichen Gemüther geschol¬
ten, denen, wenn sie lange vorm Feinde liegen, ihre Aecker keine Ruhe lassen
und die daher gerade im wichtigsten Augenblicke vom Heere zurückkehren.


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[0337] Gänsefuß.' Ist das nun östreichische Landessitte? fragt der Knappe zum Schluß und erhält eine Antwort, die auf eine im Mittelalter oft, sogar in den Nibelungen, berührte Stammesverschiedenheit hinweist. Die Oestreicher sind die harmlosen, heitern, höflichen, und ihr gerader Gegensatz die Baiern. So heißt es denn auch bei unserm Dichter: Nicht östreichisch sei diese Händel- und Raublust, diese Gier und Maßlosigkeit in Speis und Trank, sie stamme vielmehr von den Baiern her. Die seien so oft von Landshut herübergekom¬ men, hätten geraubt und gepraßt und sich so für ihre Armut daheim auf ihren Steinklippen am östreichischen Reichthum entschädigt. Leider aber gebe es auch in Oestreich so manchen Osteraffen, der gelehrig alles, was er sehe, nach¬ mache. — Der Knappe fährt fort: .Sagt, lieber Herr, wer mag das sein? Ich sah hier manchen also fein an Haltung und in Reden klug, fast schien es mir, mehr als genug. Ihm ist ein Freund entgegenkommen, da hab' ich diesen Gruß vernommen: ,Gott gebe dir stets frohen Sinn! Ina, mein Freund, woher? wohin?' Mein werther Herr, ich danke sehr, Von meiner Schwieger komm' ich her.' ,Sag, hast du eine Schwieger hie?' .Gewiß, zu Wien hier hab' ich die. Wer sollt' hier ohne Schwieger sein? hier gibt's so viele Töchterlein.' Der Hieb trifft die schwäbischen Ritter, die der Herzog in's Land gezogen und von denen er einige mit östreichischen Erbtöchtern ver¬ mählt hatte zum großen Aerger der einheimischen Herren. — Nun aber ist es genug. Die Reihe der falschen Oestreicher beschließt die Beschreibung des echten. Sein Kleid ist weder zu kurz noch zu lang. Sein Haar wächst in natürlicher Freiheit und wird vorn von der Haube verdeckt. Wer ihm mit Hohn oder Grobheit entgegenkommt, dem bietet er schnell die Spitze; aber gegen Gute ist er gut. Vor Gott ist er andächtig, gegen seine Freunde ge¬ treu und wahr. Er versteht ebensogut Scherz wie Ernst, und spart am rechten Orte sein Gut nicht. ,Das ist der rechte Ostermann', fällt der Herr bei, und der Knappe wünscht, daß dem, der nun lieber anstatt dessen ein Baier sein wolle oder ein Sachse, daß dem ein Höcker wachsen möge oder ein geschwol¬ lener Kropf. Hierauf wird noch eine Tugend besonders besprochen, die Tapferkeit. Der Knappe führt den Raubritter vor, den armen Herrn, der unter dem Vorwand, zum Herzog in's Feld zu ziehen, in die Höfe der Bauern ein¬ fällt und alles wegraubt und wegschleppt, zuletzt Feuer anlegt und dem Bauern droht, ihn mit Weib und Kind hineinzuwerfen, wenn er nicht auch das verborgene Geld herausgebe. Der Ritter erwiedert, daß gerade die dem Feinde gegenüber in der wahren Gefahr, den Muth verlören, den sie am Wehrlosen so gern anstießen. Dann werden die kleinlichen Gemüther geschol¬ ten, denen, wenn sie lange vorm Feinde liegen, ihre Aecker keine Ruhe lassen und die daher gerade im wichtigsten Augenblicke vom Heere zurückkehren. Grenzboten I. 18«i8, 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/337>, abgerufen am 24.08.2024.