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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Werbung Frankreichs und Oestreichs. Ihre Regierungen sind sich bewußt,
daß ihre eigene Unabhängigkeit ein großes Interesse des Auslandes geworden
ist, sie beginnen sich sicher zu fühlen und finden das isolirte Leben, welches
unter dem Schutze der drei großen Nachbarmächte steht, bequem und für ihr
Selbstgefühl wohlthuend. Käme ihnen der unwahrscheinliche Fall eines Krieges
durch ihre selbständige Politik und würden sie von Oestreich oder Frankreich ve-
droht, so müßte der Nordbund sie schützen. Käme der Nordbund in Krieg, so
würden sie ihre Bundespflicht grade so erfüllen, wie 1866 die Verträge gegen
Oestreich, unvollständig und unwirksam, gleichviel ob aus Abneigung oder aus
Schwäche. Erst zwei Jahre sind vergangen, seit sie zu dem Bündniß mit
dem Nordbund veranlaßt wurden und selbst in dieser Zeit hat die diploma¬
tische Gewandtheit des Grasen Bismarck nicht verhindern können, daß ihre
Regierungen innerlich, dem Nordbund mehr und mehr entfremdet wurden.
In Darmstadt ist der Einfluß des französischen Gesandten übermächtig, in
Stuttgart erscheint die oscillirende Politik des Herrn von Varnvüler noch der
beste Verbündete Preußens und in Baiern ist von unberechenbaren Zufällen
abhängig, ob die unsichere Stellung des Ministeriums Hohenlohe sich durch
die nächsten Monate behaupten wird.

Dazu kommt eine andere Gefahr. Wir stehen in Wahrheit mitten in
einer Revolution, der größten vielleicht, welche unserer Nation durch ein gnaden¬
volles Geschick bestimmt ist, einer nicht weniger gewaltigen, weil sie in Acten
der Gesetzgebung und in fortwährenden Compromissen zwischen Volkswillen
und Regierungen sich vollzieht. In solcher Zeit ist mehr, als in jeder
anderen, die patriotische Wärme und Steigerung des nationalen Selbstgefühls
den leitenden'Reformatoren als allschaffende Kraft unentbehrlich. Was die
Besten und Großsinnigsten seit zwei Generationen geträumt, ersehnt, gefordert,
das ist jetzt in greifbare Nähe gerückt. Diesen Aufschwung öffentlicher
Meinung, die frohe begeisternde Empfindung wachsender Macht unter den
Deutschen kann die preußische Regierung fortan nicht entbehren. Innere
Dissonanzen, jede Kränkung privater und lokaler Interessen muß durch den
Schwung bewältigt werden, welchen die deutschen Angelegenheiten behalten,
und nur als Vertreter der höchsten nationalen Interessen Deutschlands ver¬
mag die Bundesregierung ihre hohe Stellung zu behaupten, in den Herzen
der Deutschen, wie vor dem Auslande.

Jetzt aber gewinnt die zweifelnde Empfindung Raum, daß der große
Fortschritt des Jahres 1866 doch durch ein schweres Opfer erkauft sei, durch
die Jsolirung des Südens, die trotz Zollverein und Waffenbündniß unleugbar
herbeigeführt ist. Nicht nur die Gegner murmeln, daß der Bund doch nicht
das ganze Deutschland sei, auch im Nordbund selbst ist der Gedanke nicht
zurückzuhalten, daß alles, was neu geschaffen wird, seine Sicherheit erst


Werbung Frankreichs und Oestreichs. Ihre Regierungen sind sich bewußt,
daß ihre eigene Unabhängigkeit ein großes Interesse des Auslandes geworden
ist, sie beginnen sich sicher zu fühlen und finden das isolirte Leben, welches
unter dem Schutze der drei großen Nachbarmächte steht, bequem und für ihr
Selbstgefühl wohlthuend. Käme ihnen der unwahrscheinliche Fall eines Krieges
durch ihre selbständige Politik und würden sie von Oestreich oder Frankreich ve-
droht, so müßte der Nordbund sie schützen. Käme der Nordbund in Krieg, so
würden sie ihre Bundespflicht grade so erfüllen, wie 1866 die Verträge gegen
Oestreich, unvollständig und unwirksam, gleichviel ob aus Abneigung oder aus
Schwäche. Erst zwei Jahre sind vergangen, seit sie zu dem Bündniß mit
dem Nordbund veranlaßt wurden und selbst in dieser Zeit hat die diploma¬
tische Gewandtheit des Grasen Bismarck nicht verhindern können, daß ihre
Regierungen innerlich, dem Nordbund mehr und mehr entfremdet wurden.
In Darmstadt ist der Einfluß des französischen Gesandten übermächtig, in
Stuttgart erscheint die oscillirende Politik des Herrn von Varnvüler noch der
beste Verbündete Preußens und in Baiern ist von unberechenbaren Zufällen
abhängig, ob die unsichere Stellung des Ministeriums Hohenlohe sich durch
die nächsten Monate behaupten wird.

Dazu kommt eine andere Gefahr. Wir stehen in Wahrheit mitten in
einer Revolution, der größten vielleicht, welche unserer Nation durch ein gnaden¬
volles Geschick bestimmt ist, einer nicht weniger gewaltigen, weil sie in Acten
der Gesetzgebung und in fortwährenden Compromissen zwischen Volkswillen
und Regierungen sich vollzieht. In solcher Zeit ist mehr, als in jeder
anderen, die patriotische Wärme und Steigerung des nationalen Selbstgefühls
den leitenden'Reformatoren als allschaffende Kraft unentbehrlich. Was die
Besten und Großsinnigsten seit zwei Generationen geträumt, ersehnt, gefordert,
das ist jetzt in greifbare Nähe gerückt. Diesen Aufschwung öffentlicher
Meinung, die frohe begeisternde Empfindung wachsender Macht unter den
Deutschen kann die preußische Regierung fortan nicht entbehren. Innere
Dissonanzen, jede Kränkung privater und lokaler Interessen muß durch den
Schwung bewältigt werden, welchen die deutschen Angelegenheiten behalten,
und nur als Vertreter der höchsten nationalen Interessen Deutschlands ver¬
mag die Bundesregierung ihre hohe Stellung zu behaupten, in den Herzen
der Deutschen, wie vor dem Auslande.

Jetzt aber gewinnt die zweifelnde Empfindung Raum, daß der große
Fortschritt des Jahres 1866 doch durch ein schweres Opfer erkauft sei, durch
die Jsolirung des Südens, die trotz Zollverein und Waffenbündniß unleugbar
herbeigeführt ist. Nicht nur die Gegner murmeln, daß der Bund doch nicht
das ganze Deutschland sei, auch im Nordbund selbst ist der Gedanke nicht
zurückzuhalten, daß alles, was neu geschaffen wird, seine Sicherheit erst


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[0318] Werbung Frankreichs und Oestreichs. Ihre Regierungen sind sich bewußt, daß ihre eigene Unabhängigkeit ein großes Interesse des Auslandes geworden ist, sie beginnen sich sicher zu fühlen und finden das isolirte Leben, welches unter dem Schutze der drei großen Nachbarmächte steht, bequem und für ihr Selbstgefühl wohlthuend. Käme ihnen der unwahrscheinliche Fall eines Krieges durch ihre selbständige Politik und würden sie von Oestreich oder Frankreich ve- droht, so müßte der Nordbund sie schützen. Käme der Nordbund in Krieg, so würden sie ihre Bundespflicht grade so erfüllen, wie 1866 die Verträge gegen Oestreich, unvollständig und unwirksam, gleichviel ob aus Abneigung oder aus Schwäche. Erst zwei Jahre sind vergangen, seit sie zu dem Bündniß mit dem Nordbund veranlaßt wurden und selbst in dieser Zeit hat die diploma¬ tische Gewandtheit des Grasen Bismarck nicht verhindern können, daß ihre Regierungen innerlich, dem Nordbund mehr und mehr entfremdet wurden. In Darmstadt ist der Einfluß des französischen Gesandten übermächtig, in Stuttgart erscheint die oscillirende Politik des Herrn von Varnvüler noch der beste Verbündete Preußens und in Baiern ist von unberechenbaren Zufällen abhängig, ob die unsichere Stellung des Ministeriums Hohenlohe sich durch die nächsten Monate behaupten wird. Dazu kommt eine andere Gefahr. Wir stehen in Wahrheit mitten in einer Revolution, der größten vielleicht, welche unserer Nation durch ein gnaden¬ volles Geschick bestimmt ist, einer nicht weniger gewaltigen, weil sie in Acten der Gesetzgebung und in fortwährenden Compromissen zwischen Volkswillen und Regierungen sich vollzieht. In solcher Zeit ist mehr, als in jeder anderen, die patriotische Wärme und Steigerung des nationalen Selbstgefühls den leitenden'Reformatoren als allschaffende Kraft unentbehrlich. Was die Besten und Großsinnigsten seit zwei Generationen geträumt, ersehnt, gefordert, das ist jetzt in greifbare Nähe gerückt. Diesen Aufschwung öffentlicher Meinung, die frohe begeisternde Empfindung wachsender Macht unter den Deutschen kann die preußische Regierung fortan nicht entbehren. Innere Dissonanzen, jede Kränkung privater und lokaler Interessen muß durch den Schwung bewältigt werden, welchen die deutschen Angelegenheiten behalten, und nur als Vertreter der höchsten nationalen Interessen Deutschlands ver¬ mag die Bundesregierung ihre hohe Stellung zu behaupten, in den Herzen der Deutschen, wie vor dem Auslande. Jetzt aber gewinnt die zweifelnde Empfindung Raum, daß der große Fortschritt des Jahres 1866 doch durch ein schweres Opfer erkauft sei, durch die Jsolirung des Südens, die trotz Zollverein und Waffenbündniß unleugbar herbeigeführt ist. Nicht nur die Gegner murmeln, daß der Bund doch nicht das ganze Deutschland sei, auch im Nordbund selbst ist der Gedanke nicht zurückzuhalten, daß alles, was neu geschaffen wird, seine Sicherheit erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/318>, abgerufen am 22.07.2024.