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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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die größere repräsentirt weniger den Ultramontanismus, sehr deutlich das
gleichgiltige, unpolitische und dem Norden abgeneigte bavarische Selbstgefühl.

Es ist die dritte der neuen Bildungen Deutschlands, welche fast zwei
Jahre nach der Krisis von 1866 ihre parlamentarische Wirksamkeit beginnen
soll, und wir haben Zeit genug gehabt zu erkennen, daß die Schwierigkeit,
einen neuen Staatsbäu deutscher Einheit aufzuführen, durch die Dreizahl der
nöthiggewordenen neuen Organisationen wesentlich vermehrt wird. Das
vergrößerte Preußen, der Nordbund, der neue Zollverein sollen nebeneinander
eingeordnet werden, nach allen Richtungen gehen die wichtigsten Acte der
Gesetzgebung, auf jedem der drei Gebiete andere Parteileidenschaften und
andere divergirende Interessen. Kein Wunder, wenn unter solchen Stürmen
alte und neue Parteien auf einzelne Tage in innere Verstörung gerathen.
Aehnliche Unsicherheit würde ihnen in keinem Staate der Welt, nicht in
England, nicht in Amerika erspart bleiben, und wir sind nicht der Ansicht,
daß man solche unvermeidliche Parteierschütterungen als ein Symptom poli¬
tischer Jugend betrachten darf. Vor allem halten wir die Ueberzeugung fest,
daß die große nationale Partei, deren Bildung zu den größten Erfolgen des
Jahres 1867 gehört, ihren Zusammenhang und Einfluß in den vorstehenden
Kämpfen für die Einheit des Vaterlandes einmüthig und entschlossen in die
Wagschale legen wird.

Die schwierigste Frage ist für uns der Eintritt der Südstaaten in den
Nordbund. Wenn die Regierungen und Völker des Nordhundes die Ant¬
wort darauf nur von den Gründen der Zweckmäßigkeit, welche ihnen die
innere Organisation des Nordbunds angibt, herleiten dürften, so müßte
ihnen als bequem und vortheilhaft erscheinen, den Eintritt der Südstaaten
einer spätern Zeit vorzubehalten/ Und es ist begreiflich, wenn auch die
Besten und Entschlossensten mit Besorgniß an eine neue Steigerung der
Schwierigkeiten in der Gesetzgebung denken, an neue unberechenbare Fluc-
tuationen der Parteien und an mögliche Verwickelungen mit dem Auslande.

Aber der Eintritt der Südstaaten ist auf der andern Seite eine Forde¬
rung des höchsten nationalen Interesses, eines Interesses, welches fast mit
jeder Woche zwingender wird. Es ist zunächst ein Irrthum, daß die Zeit
allein und die ruhige Verkehrsarbeit des Friedens den Süden ohne große
Erschütterungen mit dem Norden vereinigen werde. Die Verkehrsinteressen
haben unter dem alten Zollverein fast 40 Jahre ihre Fäden gezogen, jene
Gebiete sind in Handel und Industrie eng mit dem Norden verbunden und
doch hat das Jahr 1866 den politischen Zusammenhang nicht befestigt,
sondern gelockert. Seitdem sind die Südstaaten, was sie bis jetzt nie waren,
europäische Souveränitäten geworden, mit einer eigenthümlichen dynastischen
Politik, drei von ihnen Gegenstand der zärtlichsten Theilnahme und Um-


die größere repräsentirt weniger den Ultramontanismus, sehr deutlich das
gleichgiltige, unpolitische und dem Norden abgeneigte bavarische Selbstgefühl.

Es ist die dritte der neuen Bildungen Deutschlands, welche fast zwei
Jahre nach der Krisis von 1866 ihre parlamentarische Wirksamkeit beginnen
soll, und wir haben Zeit genug gehabt zu erkennen, daß die Schwierigkeit,
einen neuen Staatsbäu deutscher Einheit aufzuführen, durch die Dreizahl der
nöthiggewordenen neuen Organisationen wesentlich vermehrt wird. Das
vergrößerte Preußen, der Nordbund, der neue Zollverein sollen nebeneinander
eingeordnet werden, nach allen Richtungen gehen die wichtigsten Acte der
Gesetzgebung, auf jedem der drei Gebiete andere Parteileidenschaften und
andere divergirende Interessen. Kein Wunder, wenn unter solchen Stürmen
alte und neue Parteien auf einzelne Tage in innere Verstörung gerathen.
Aehnliche Unsicherheit würde ihnen in keinem Staate der Welt, nicht in
England, nicht in Amerika erspart bleiben, und wir sind nicht der Ansicht,
daß man solche unvermeidliche Parteierschütterungen als ein Symptom poli¬
tischer Jugend betrachten darf. Vor allem halten wir die Ueberzeugung fest,
daß die große nationale Partei, deren Bildung zu den größten Erfolgen des
Jahres 1867 gehört, ihren Zusammenhang und Einfluß in den vorstehenden
Kämpfen für die Einheit des Vaterlandes einmüthig und entschlossen in die
Wagschale legen wird.

Die schwierigste Frage ist für uns der Eintritt der Südstaaten in den
Nordbund. Wenn die Regierungen und Völker des Nordhundes die Ant¬
wort darauf nur von den Gründen der Zweckmäßigkeit, welche ihnen die
innere Organisation des Nordbunds angibt, herleiten dürften, so müßte
ihnen als bequem und vortheilhaft erscheinen, den Eintritt der Südstaaten
einer spätern Zeit vorzubehalten/ Und es ist begreiflich, wenn auch die
Besten und Entschlossensten mit Besorgniß an eine neue Steigerung der
Schwierigkeiten in der Gesetzgebung denken, an neue unberechenbare Fluc-
tuationen der Parteien und an mögliche Verwickelungen mit dem Auslande.

Aber der Eintritt der Südstaaten ist auf der andern Seite eine Forde¬
rung des höchsten nationalen Interesses, eines Interesses, welches fast mit
jeder Woche zwingender wird. Es ist zunächst ein Irrthum, daß die Zeit
allein und die ruhige Verkehrsarbeit des Friedens den Süden ohne große
Erschütterungen mit dem Norden vereinigen werde. Die Verkehrsinteressen
haben unter dem alten Zollverein fast 40 Jahre ihre Fäden gezogen, jene
Gebiete sind in Handel und Industrie eng mit dem Norden verbunden und
doch hat das Jahr 1866 den politischen Zusammenhang nicht befestigt,
sondern gelockert. Seitdem sind die Südstaaten, was sie bis jetzt nie waren,
europäische Souveränitäten geworden, mit einer eigenthümlichen dynastischen
Politik, drei von ihnen Gegenstand der zärtlichsten Theilnahme und Um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/317>, abgerufen am 24.08.2024.