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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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eine hat man sich gewöhnt, das andere macht sich nur aus größeren Reisen
oder bei Rimessen ins Ausland bemerklich, die verhältnißmäßig wenigen
Leuten überhaupt, und auch diesen meistens nicht gerade alle Tage vorkom¬
men. Warum sich also der Unbequemlichkeit einer radicalen Reform in Din¬
gen aussetzen, deren nie bewegte Festigkeit und Stetigkeit sür Jedermann zu
den Bedingungen des Wohlseins zu gehören scheint? Analog dem Spruche,
daß die kleinen Leiden des Lebens schwerer auszuhalten sind.als die großen,
könnte man sagen, der Mensch entschlösse sich eher zu einer Revolution, die
die Regierung umstürzt und vielleicht die Staatsform abändert, als zur An¬
nahme ganz neuer Münzen. Wenn man sich dies in Süddeutschland ver¬
gegenwärtigt, so kann man es nicht für unwahrscheinlich ansehen, daß eine
Berathung im Schoße des norddeutschen Reichstages in den Beschluß aus¬
tiefe, der Thaler zu dreißig Silbergroschen oder dreihundertundsechzig Pfen¬
nigen sei fortan die deutsche Münzeinheit. In diesem Falle hätte Süddeutsch¬
land die Wahl, entweder bei seinem Gulden zu bleiben, oder den norddeut¬
schen Thaler ebenfalls anzunehmen, oder endlich zum Frankensystem überzu¬
gehen. Die eine Alternative wäre so fatal, ja unannehmbar, wie die andere.
Das Praktischrichtigste wäre ohne Frage auch dann der Uebergang zum
Frankensystem, das in Frankreich und der Schweiz, auf zwei Grenzseiten also,
Süddeutschland bereits umschließt, während der Thaler nur die nördliche
Grenze besetzt hält, die östliche das östreichische Papiergeldwesen. Damit
aber hätten wir keine nationale Münzeinheit. Die Süddeutschen dürfen auch
kaum hoffen, ihr Uebergang zum Frankensystem, dem Weltmünzwesen der
Zukunft, werde denjenigen Norddeutschlands beschleunigen; umgekehrt, es
liegt nur zu nahe, daß er ihn aufhalten und vielleicht ganz hintertreiben
würde. So wäre denn die Aussicht auf nationale Münzeinheit wahrschein¬
lich vollends getrübt, immer aber auch für den Augenblick eine noch weitere
Kluft als bisher zwischen Nord und Süd ausgerissen. Diesem Dilemma
läßt sich nur durch Verlegung der Entscheidung ins Zollparlament -- ins
deutsche Parlament, wie man es schlechthin nennen sollte -- entgehen. Da
können die Süddeutschen mit unmittelbarer Wirkung auf die Abstimmenden
hervorheben, um wieviel leichter der Norden einen Wechsel, der nach dem
Urtheil seiner kundigsten Männer früher oder später doch unvermeidlich
einmal eintreten muß. jetzt auf der Stelle vornehmen kann, um sich dadurch
Zwei große Vortheile gleichzeitig zu sichern, Einheit mit Süddeutschland und
Einheit mit einem bedeutenden Theil der übrigen Welt, --als der Süden zu
dem herrschenden Systeme des Nordens übergehen kann, um dann nach kurzer
Frist abermals, gemeinschaftlich mit dem Norden, eine Münzrevolution durch¬
zumachen, und zu demjenigen System überzugehen, das zur Weltherrschaft
auserkoren erscheint. Ein solches Plaidoyer würde nicht nur aller Voraus-


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eine hat man sich gewöhnt, das andere macht sich nur aus größeren Reisen
oder bei Rimessen ins Ausland bemerklich, die verhältnißmäßig wenigen
Leuten überhaupt, und auch diesen meistens nicht gerade alle Tage vorkom¬
men. Warum sich also der Unbequemlichkeit einer radicalen Reform in Din¬
gen aussetzen, deren nie bewegte Festigkeit und Stetigkeit sür Jedermann zu
den Bedingungen des Wohlseins zu gehören scheint? Analog dem Spruche,
daß die kleinen Leiden des Lebens schwerer auszuhalten sind.als die großen,
könnte man sagen, der Mensch entschlösse sich eher zu einer Revolution, die
die Regierung umstürzt und vielleicht die Staatsform abändert, als zur An¬
nahme ganz neuer Münzen. Wenn man sich dies in Süddeutschland ver¬
gegenwärtigt, so kann man es nicht für unwahrscheinlich ansehen, daß eine
Berathung im Schoße des norddeutschen Reichstages in den Beschluß aus¬
tiefe, der Thaler zu dreißig Silbergroschen oder dreihundertundsechzig Pfen¬
nigen sei fortan die deutsche Münzeinheit. In diesem Falle hätte Süddeutsch¬
land die Wahl, entweder bei seinem Gulden zu bleiben, oder den norddeut¬
schen Thaler ebenfalls anzunehmen, oder endlich zum Frankensystem überzu¬
gehen. Die eine Alternative wäre so fatal, ja unannehmbar, wie die andere.
Das Praktischrichtigste wäre ohne Frage auch dann der Uebergang zum
Frankensystem, das in Frankreich und der Schweiz, auf zwei Grenzseiten also,
Süddeutschland bereits umschließt, während der Thaler nur die nördliche
Grenze besetzt hält, die östliche das östreichische Papiergeldwesen. Damit
aber hätten wir keine nationale Münzeinheit. Die Süddeutschen dürfen auch
kaum hoffen, ihr Uebergang zum Frankensystem, dem Weltmünzwesen der
Zukunft, werde denjenigen Norddeutschlands beschleunigen; umgekehrt, es
liegt nur zu nahe, daß er ihn aufhalten und vielleicht ganz hintertreiben
würde. So wäre denn die Aussicht auf nationale Münzeinheit wahrschein¬
lich vollends getrübt, immer aber auch für den Augenblick eine noch weitere
Kluft als bisher zwischen Nord und Süd ausgerissen. Diesem Dilemma
läßt sich nur durch Verlegung der Entscheidung ins Zollparlament — ins
deutsche Parlament, wie man es schlechthin nennen sollte — entgehen. Da
können die Süddeutschen mit unmittelbarer Wirkung auf die Abstimmenden
hervorheben, um wieviel leichter der Norden einen Wechsel, der nach dem
Urtheil seiner kundigsten Männer früher oder später doch unvermeidlich
einmal eintreten muß. jetzt auf der Stelle vornehmen kann, um sich dadurch
Zwei große Vortheile gleichzeitig zu sichern, Einheit mit Süddeutschland und
Einheit mit einem bedeutenden Theil der übrigen Welt, —als der Süden zu
dem herrschenden Systeme des Nordens übergehen kann, um dann nach kurzer
Frist abermals, gemeinschaftlich mit dem Norden, eine Münzrevolution durch¬
zumachen, und zu demjenigen System überzugehen, das zur Weltherrschaft
auserkoren erscheint. Ein solches Plaidoyer würde nicht nur aller Voraus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/307>, abgerufen am 22.07.2024.