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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Italien anerkennen, derselbe, der heute die Errichtung eines Gesandtschafts¬
postens in Florenz dringend befürwortete, derselbe, der wiederholt als das
Kennzeichen eines Staatsmanns die Fähigkeit aufgestellt hatte, sich ohne vor¬
gefaßte Meinungen auch in veränderte Lagen und Verhältnisse zu schicken.
Und Römer, der dem Minister alle seine Handlungen ins Gedächtniß zurück¬
rief, drückte schließlich in heiterer Wendung die zuversichtliche Erwartung
aus, daß Herr v. Varnbüler, durch die Macht der Verhältnisse genöthigt,
seinen bisherigen Verdiensten um die nationale Sache in Bälde auch noch
das weitere hinzufügen werde, den Eintritt Würtembergs in den norddeutschen
Bund zu beantragen und durchzuführen.

In der That hatte Herr v. Varnbüler nicht vergessen, sich auch diesmal
ein Hinterpförtchen offen zu lassen. Er hatte in seiner Rede dazwischengestreut,
man möge mit Ruhe abwarten, "was das Geschick über uns verhängt", er
hatte von unberechenbaren "Fügungen der Vorsehung" gesprochen, und auf
Römers Aeußerungen hin gab er zu, daß sich allerdings "mit absoluter Ge¬
wißheit die Ereignisse der Zukunft nicht voraussagen lassen." Es fehlt nicht
an boshaften Stimmen, welche hinter der antipreußischen Demonstration eine
sehr berechnete Absicht wittern: es gilt die abgeneigte Kammermehrheit gün¬
stig zu stimmen für das neue Militärgesetz.

Wie dem aber auch sei, so viel geht aus all den angeführten Sympto¬
men hervor, daß. was an unsrer Negierung liegt, der durch die Verträge
geschaffene Zustand von unberechenbarer Dauer sein wird. Sie denkt nicht
daran, aus eigenem Antrieb einen Schritt weiter zu thun. Sie wird allem
Anschein nach auch bei den Wahlen zum Zollparlament nur solche Candida-
ten begünstigen, welche, mit dem Zollparlament zufrieden, nicht nach weiterem
begehren. Bleibt es wirklich dem freien Willen der Südstaaten überlassen,
wie bald die definitive Vereinigung zu Stande kommen soll, so darf man sich
das Warten nicht verdrießen lassen. Wird Baden dazu verurtheilt, gleichen
Schritt zu halten mit Würtemberg und Bayern, so ist die Beseitigung der
Mainlinie vertagt bis ans Ende aller Tage.

Ist dagegen Baden, wozu es früher oder später kommen muß, dem
norddeutschen Bund beigetreten, so darf man bei den bewährten staatsmän¬
nischen Eigenschaften unsers Premiers mit Sicherheit annehmen, daß auch
dieses Ereigniß eine jener "Fügungen der Vorsehung" sein wird, denen er
7. gelernt hat sich in Weisheit zu beugen.




Italien anerkennen, derselbe, der heute die Errichtung eines Gesandtschafts¬
postens in Florenz dringend befürwortete, derselbe, der wiederholt als das
Kennzeichen eines Staatsmanns die Fähigkeit aufgestellt hatte, sich ohne vor¬
gefaßte Meinungen auch in veränderte Lagen und Verhältnisse zu schicken.
Und Römer, der dem Minister alle seine Handlungen ins Gedächtniß zurück¬
rief, drückte schließlich in heiterer Wendung die zuversichtliche Erwartung
aus, daß Herr v. Varnbüler, durch die Macht der Verhältnisse genöthigt,
seinen bisherigen Verdiensten um die nationale Sache in Bälde auch noch
das weitere hinzufügen werde, den Eintritt Würtembergs in den norddeutschen
Bund zu beantragen und durchzuführen.

In der That hatte Herr v. Varnbüler nicht vergessen, sich auch diesmal
ein Hinterpförtchen offen zu lassen. Er hatte in seiner Rede dazwischengestreut,
man möge mit Ruhe abwarten, „was das Geschick über uns verhängt", er
hatte von unberechenbaren „Fügungen der Vorsehung" gesprochen, und auf
Römers Aeußerungen hin gab er zu, daß sich allerdings „mit absoluter Ge¬
wißheit die Ereignisse der Zukunft nicht voraussagen lassen." Es fehlt nicht
an boshaften Stimmen, welche hinter der antipreußischen Demonstration eine
sehr berechnete Absicht wittern: es gilt die abgeneigte Kammermehrheit gün¬
stig zu stimmen für das neue Militärgesetz.

Wie dem aber auch sei, so viel geht aus all den angeführten Sympto¬
men hervor, daß. was an unsrer Negierung liegt, der durch die Verträge
geschaffene Zustand von unberechenbarer Dauer sein wird. Sie denkt nicht
daran, aus eigenem Antrieb einen Schritt weiter zu thun. Sie wird allem
Anschein nach auch bei den Wahlen zum Zollparlament nur solche Candida-
ten begünstigen, welche, mit dem Zollparlament zufrieden, nicht nach weiterem
begehren. Bleibt es wirklich dem freien Willen der Südstaaten überlassen,
wie bald die definitive Vereinigung zu Stande kommen soll, so darf man sich
das Warten nicht verdrießen lassen. Wird Baden dazu verurtheilt, gleichen
Schritt zu halten mit Würtemberg und Bayern, so ist die Beseitigung der
Mainlinie vertagt bis ans Ende aller Tage.

Ist dagegen Baden, wozu es früher oder später kommen muß, dem
norddeutschen Bund beigetreten, so darf man bei den bewährten staatsmän¬
nischen Eigenschaften unsers Premiers mit Sicherheit annehmen, daß auch
dieses Ereigniß eine jener „Fügungen der Vorsehung" sein wird, denen er
7. gelernt hat sich in Weisheit zu beugen.




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[0030] Italien anerkennen, derselbe, der heute die Errichtung eines Gesandtschafts¬ postens in Florenz dringend befürwortete, derselbe, der wiederholt als das Kennzeichen eines Staatsmanns die Fähigkeit aufgestellt hatte, sich ohne vor¬ gefaßte Meinungen auch in veränderte Lagen und Verhältnisse zu schicken. Und Römer, der dem Minister alle seine Handlungen ins Gedächtniß zurück¬ rief, drückte schließlich in heiterer Wendung die zuversichtliche Erwartung aus, daß Herr v. Varnbüler, durch die Macht der Verhältnisse genöthigt, seinen bisherigen Verdiensten um die nationale Sache in Bälde auch noch das weitere hinzufügen werde, den Eintritt Würtembergs in den norddeutschen Bund zu beantragen und durchzuführen. In der That hatte Herr v. Varnbüler nicht vergessen, sich auch diesmal ein Hinterpförtchen offen zu lassen. Er hatte in seiner Rede dazwischengestreut, man möge mit Ruhe abwarten, „was das Geschick über uns verhängt", er hatte von unberechenbaren „Fügungen der Vorsehung" gesprochen, und auf Römers Aeußerungen hin gab er zu, daß sich allerdings „mit absoluter Ge¬ wißheit die Ereignisse der Zukunft nicht voraussagen lassen." Es fehlt nicht an boshaften Stimmen, welche hinter der antipreußischen Demonstration eine sehr berechnete Absicht wittern: es gilt die abgeneigte Kammermehrheit gün¬ stig zu stimmen für das neue Militärgesetz. Wie dem aber auch sei, so viel geht aus all den angeführten Sympto¬ men hervor, daß. was an unsrer Negierung liegt, der durch die Verträge geschaffene Zustand von unberechenbarer Dauer sein wird. Sie denkt nicht daran, aus eigenem Antrieb einen Schritt weiter zu thun. Sie wird allem Anschein nach auch bei den Wahlen zum Zollparlament nur solche Candida- ten begünstigen, welche, mit dem Zollparlament zufrieden, nicht nach weiterem begehren. Bleibt es wirklich dem freien Willen der Südstaaten überlassen, wie bald die definitive Vereinigung zu Stande kommen soll, so darf man sich das Warten nicht verdrießen lassen. Wird Baden dazu verurtheilt, gleichen Schritt zu halten mit Würtemberg und Bayern, so ist die Beseitigung der Mainlinie vertagt bis ans Ende aller Tage. Ist dagegen Baden, wozu es früher oder später kommen muß, dem norddeutschen Bund beigetreten, so darf man bei den bewährten staatsmän¬ nischen Eigenschaften unsers Premiers mit Sicherheit annehmen, daß auch dieses Ereigniß eine jener „Fügungen der Vorsehung" sein wird, denen er 7. gelernt hat sich in Weisheit zu beugen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/30>, abgerufen am 05.02.2025.