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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Preußen abermals dieser Weg beliebt wurde, der wenigstens bisher im
günstigsten Falle zu nichts geführt hat.

Vor allem aber sollte sich die neue Wendung in den Verhandlungen
und Parteiverhältnissen der Kammer zeigen. Es begannen sich wieder die
natürlich verwandten Elemente einander zu nähern. Die Zeiten des pas
piceis schienen wiederzukehren. Die Demokratie und die Regierungspartei
bemühten sich zu vergessen, was kurze Zeit trennendes zwischen ihnen ge¬
standen war. Man erinnerte sich wieder, daß der gemeinsame Gegner die
verhaßte deutsche Partei ist und bleibt, und um sich zu rächen für die un¬
vermeidliche Annahme der Verträge, läßt man es diese fühlen, daß sie nur
ein verschwindendes Häuflein sei, man stieß das Dutzend rebellischer Schwaben
wieder in die verdiente Jsolirung. Auf diese Weise gelang es, daß der Par-
ticularismus einen großen Sieg erfocht durch den nach zweitägiger Verhand¬
lung erfolgten Beschluß, auf die von der Regierung eingebrachten Justizvor¬
lagen einzugehen und so für Würtemberg den Weg der Particulargesetzgebung
einzuschlagen, in einer Zeit, da die Aussicht auf eine gemeinsame deutsche
Gesetzgebung näher als je gerückt war.

Wahr ist, daß diese Vorlagen: eine Civilprozeßordnung, eine Strafproze߬
ordnung und eine neue Gerichtsverfassung, nur einem schon längst dringend
gefühlten Bedürfniß abzuhelfen bestimmt sind. Alt genug ist die Klage, daß
Würtemberg in der Umwandlung des Justizwesens nach den Grundsätzen der
Oeffentlichkeit und Mündlichkeit zurückgeblieben sei und jetzt mit seinem in¬
quisitorischen Prozeß fast isolirt stehe. Was in jener Richtung bisher ge¬
schehen ist, wie die Schwurgerichte und die Handelsgerichte, war Stückwerk
und Flickerei. Seit Jahren haben die Stände gemahnt, hat die Regierung
versprochen und endlich einleitende Schritte gethan. Seit dem Jahr 1861,
wo der erste Entwurf einer neuen Organisation veröffentlicht wurde, sind die
Arbeiten fortwährend in Angriff genommen, unterbrochen, wiederaufgenom¬
men und umgeändert worden. Es war kein Ende abzusehen. Jetzt auf ein¬
mal, da der norddeutsche Bund constituirt ist und kaum constituirt.eine un¬
erwartet rührige legislative Thätigkeit entwickelt, wird die Nacheiferung des
süddeutschen Particularstaats angespornt. Man will zeigen, daß man auch
reformiren kann, man will durch vollendete Thatsachen zuvorkommen der
Frage, warum man denn nicht einfach der norddeutschen Gesetzgebung sich
anschließe, und der Gefahr, daß die Competenz der gemeinsamen Organe
über die abgeschlossenen Verträge hinaus erweitert werde; man beeilt sich,
jetzt die rasch vollendeten Entwürfe vorzulegen, wenige Wochen bevor in
Berlin die Civilgesetzgebungscommission zusammentritt. Nur insofern läßt
sich das einseitige Vorgehen rechtfertigen, als die Aussicht auf ein deutsches
Strafverfahren noch ferner gerückt ist und gerade die Reform des Strafver-


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Preußen abermals dieser Weg beliebt wurde, der wenigstens bisher im
günstigsten Falle zu nichts geführt hat.

Vor allem aber sollte sich die neue Wendung in den Verhandlungen
und Parteiverhältnissen der Kammer zeigen. Es begannen sich wieder die
natürlich verwandten Elemente einander zu nähern. Die Zeiten des pas
piceis schienen wiederzukehren. Die Demokratie und die Regierungspartei
bemühten sich zu vergessen, was kurze Zeit trennendes zwischen ihnen ge¬
standen war. Man erinnerte sich wieder, daß der gemeinsame Gegner die
verhaßte deutsche Partei ist und bleibt, und um sich zu rächen für die un¬
vermeidliche Annahme der Verträge, läßt man es diese fühlen, daß sie nur
ein verschwindendes Häuflein sei, man stieß das Dutzend rebellischer Schwaben
wieder in die verdiente Jsolirung. Auf diese Weise gelang es, daß der Par-
ticularismus einen großen Sieg erfocht durch den nach zweitägiger Verhand¬
lung erfolgten Beschluß, auf die von der Regierung eingebrachten Justizvor¬
lagen einzugehen und so für Würtemberg den Weg der Particulargesetzgebung
einzuschlagen, in einer Zeit, da die Aussicht auf eine gemeinsame deutsche
Gesetzgebung näher als je gerückt war.

Wahr ist, daß diese Vorlagen: eine Civilprozeßordnung, eine Strafproze߬
ordnung und eine neue Gerichtsverfassung, nur einem schon längst dringend
gefühlten Bedürfniß abzuhelfen bestimmt sind. Alt genug ist die Klage, daß
Würtemberg in der Umwandlung des Justizwesens nach den Grundsätzen der
Oeffentlichkeit und Mündlichkeit zurückgeblieben sei und jetzt mit seinem in¬
quisitorischen Prozeß fast isolirt stehe. Was in jener Richtung bisher ge¬
schehen ist, wie die Schwurgerichte und die Handelsgerichte, war Stückwerk
und Flickerei. Seit Jahren haben die Stände gemahnt, hat die Regierung
versprochen und endlich einleitende Schritte gethan. Seit dem Jahr 1861,
wo der erste Entwurf einer neuen Organisation veröffentlicht wurde, sind die
Arbeiten fortwährend in Angriff genommen, unterbrochen, wiederaufgenom¬
men und umgeändert worden. Es war kein Ende abzusehen. Jetzt auf ein¬
mal, da der norddeutsche Bund constituirt ist und kaum constituirt.eine un¬
erwartet rührige legislative Thätigkeit entwickelt, wird die Nacheiferung des
süddeutschen Particularstaats angespornt. Man will zeigen, daß man auch
reformiren kann, man will durch vollendete Thatsachen zuvorkommen der
Frage, warum man denn nicht einfach der norddeutschen Gesetzgebung sich
anschließe, und der Gefahr, daß die Competenz der gemeinsamen Organe
über die abgeschlossenen Verträge hinaus erweitert werde; man beeilt sich,
jetzt die rasch vollendeten Entwürfe vorzulegen, wenige Wochen bevor in
Berlin die Civilgesetzgebungscommission zusammentritt. Nur insofern läßt
sich das einseitige Vorgehen rechtfertigen, als die Aussicht auf ein deutsches
Strafverfahren noch ferner gerückt ist und gerade die Reform des Strafver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/27>, abgerufen am 24.08.2024.