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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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lische Erinnerung zu Grunde liegt, welche von den verschiedenen Nationen zur
Ausschmückung der Schicksale besonders volksthümlicher Helden verwandt wurde.
Eine solche Beziehung sagenhafter Begebenheiten auf historische Personen ist
durch unzählige Analogien auch aus dem deutschen Epos nachzuweisen. Man
denke nur an Dietrich von Bern, den König Etzel, Carl den Großen und
viele andere Helden, welche die zeitlich und räumlich entferntesten Thatsachen,
oft vermischt mit altheidnischen Ueberlieferungen wie in einen Brennpunkt
um ihren Namen versammelt haben.

Was aber auch immer von den Schicksalen unseres Dichters einer älteren
Sage oder einer späteren Ausschmückung angehören mag, seine Lebensge¬
schichte besonders in der weiteren mehr romanhaften Fassung läßt ein über-
laschendes Licht auf die ganze Denk- und Handlungsweise der galanten Pro-
venzalen in jener Zeit fallen. Die Idee von der unbeschränkten Macht freier
Liebe ist bis in die letzten Consequenzen durchgeführt, die Gräfin Margarita,
eine hochgestellte und, wie ausdrücklich gesagt wird, mit allen Tugenden ge¬
schmückte Frau, hält es nicht unter ihrer Würde, zu einer Liebschaft mit
ihrem Dienstmann in ziemlich unzweideutiger Weise selbst den ersten Anlaß
zu geben. Aber der Erzähler, und offenbar seine Zeit mit ihm, glaubt sie
durch einen Hinweis auf die alles bezwingende Macht der Liebe genügend
entschuldigt zu haben. Im Dienste dieser Liebe gelten denn auch alle Waffen.
Guillen zaudert keinen Augenblick, die Ehre einer ganz unbeteiligten Dame
durch eine Lüge in der gefährlichsten Weise bloszustellen, um so den Ver¬
dacht Raimons von der richtigen Spur abzulenken. Raimon selbst nimmt
keinen Anstand, ihm zu einem solchen Liebeshandel mit Rath und That bei-
"ustehen, welche Treulosigkeit ihm aber mit Zinsen heimbezahlt wird, denn
die Gräfin Agnes greift in voller Uebereinstimmung mit ihrem Gemahl zu den
geschilderten, nicht eben sehr würdigen, aber dafür um so erfolgreicheren
Mitteln, den Schwager hinters Licht zu führen. Das augenblickliche Durch¬
schauen der ganzen Sache läßt außerdem bei der Dame von Lied auf einen
durch häufige Erfahrungen geübten Blick in solchen Liebeshändeln schließen.
Nachdem endlich der langgetäuschte Gemahl die Intrigue durchschaut und
blutige Rache nimmt, da fällt es Niemandem ein, daß sein Zorn durch die
grausamsten Kränkungen an Liebe, Freundschaft und Ehre wenigstens einiger¬
maßen entschuldigt wird; jeder wackere Ritter und getreue Liebhaber hält es
für seine Pflicht, den rohen Mörder zu strafen und selbst der König von
Aragon eilt herbei, die beleidigte Minne zu sühnen. Zu dem Denkmal der
Liebenden wallfahrtet man wie zu Gräbern von Heiligen. /Wenn diese
wenig edle Auffassung der zartesten Verhältnisse unser moralisches wie ästhe¬
tisches Gefühl unangenehm berührt, so muß dagegen die reine Liebe, wie sie
in den Canzonen des Trobadors athmet, mit um so größerer Sympathie er"


lische Erinnerung zu Grunde liegt, welche von den verschiedenen Nationen zur
Ausschmückung der Schicksale besonders volksthümlicher Helden verwandt wurde.
Eine solche Beziehung sagenhafter Begebenheiten auf historische Personen ist
durch unzählige Analogien auch aus dem deutschen Epos nachzuweisen. Man
denke nur an Dietrich von Bern, den König Etzel, Carl den Großen und
viele andere Helden, welche die zeitlich und räumlich entferntesten Thatsachen,
oft vermischt mit altheidnischen Ueberlieferungen wie in einen Brennpunkt
um ihren Namen versammelt haben.

Was aber auch immer von den Schicksalen unseres Dichters einer älteren
Sage oder einer späteren Ausschmückung angehören mag, seine Lebensge¬
schichte besonders in der weiteren mehr romanhaften Fassung läßt ein über-
laschendes Licht auf die ganze Denk- und Handlungsweise der galanten Pro-
venzalen in jener Zeit fallen. Die Idee von der unbeschränkten Macht freier
Liebe ist bis in die letzten Consequenzen durchgeführt, die Gräfin Margarita,
eine hochgestellte und, wie ausdrücklich gesagt wird, mit allen Tugenden ge¬
schmückte Frau, hält es nicht unter ihrer Würde, zu einer Liebschaft mit
ihrem Dienstmann in ziemlich unzweideutiger Weise selbst den ersten Anlaß
zu geben. Aber der Erzähler, und offenbar seine Zeit mit ihm, glaubt sie
durch einen Hinweis auf die alles bezwingende Macht der Liebe genügend
entschuldigt zu haben. Im Dienste dieser Liebe gelten denn auch alle Waffen.
Guillen zaudert keinen Augenblick, die Ehre einer ganz unbeteiligten Dame
durch eine Lüge in der gefährlichsten Weise bloszustellen, um so den Ver¬
dacht Raimons von der richtigen Spur abzulenken. Raimon selbst nimmt
keinen Anstand, ihm zu einem solchen Liebeshandel mit Rath und That bei-
«ustehen, welche Treulosigkeit ihm aber mit Zinsen heimbezahlt wird, denn
die Gräfin Agnes greift in voller Uebereinstimmung mit ihrem Gemahl zu den
geschilderten, nicht eben sehr würdigen, aber dafür um so erfolgreicheren
Mitteln, den Schwager hinters Licht zu führen. Das augenblickliche Durch¬
schauen der ganzen Sache läßt außerdem bei der Dame von Lied auf einen
durch häufige Erfahrungen geübten Blick in solchen Liebeshändeln schließen.
Nachdem endlich der langgetäuschte Gemahl die Intrigue durchschaut und
blutige Rache nimmt, da fällt es Niemandem ein, daß sein Zorn durch die
grausamsten Kränkungen an Liebe, Freundschaft und Ehre wenigstens einiger¬
maßen entschuldigt wird; jeder wackere Ritter und getreue Liebhaber hält es
für seine Pflicht, den rohen Mörder zu strafen und selbst der König von
Aragon eilt herbei, die beleidigte Minne zu sühnen. Zu dem Denkmal der
Liebenden wallfahrtet man wie zu Gräbern von Heiligen. /Wenn diese
wenig edle Auffassung der zartesten Verhältnisse unser moralisches wie ästhe¬
tisches Gefühl unangenehm berührt, so muß dagegen die reine Liebe, wie sie
in den Canzonen des Trobadors athmet, mit um so größerer Sympathie er«


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/269>, abgerufen am 22.07.2024.