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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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sprach: "Saget mir, Schwägerin, bei der Treue, die Ihr mir schuldig seid,
steht Ihr mit jemandem in einem Liebesverhältniß?" Und sie antwortete:
"Ja wohl, Herr!" Und er bat sie so lange, daß sie ihm zuletzt sagte, sie
liebe Guillen de Cabstaing. Dieses that sie, weil sie Guillen bekümmert
und nachdenklich gesehen hatte und wußte, daß er ihre Schwester liebe. Des¬
halb fürchtete sie, daß Raimon übel von Guillen denken möchte. Dieser war
über ihre Antwort sehr erfreut. Die Dame erzählte die ganze Sache ihrem
Gemahl und dieser fand, daß sie recht gehandelt habe und erlaubte ihr, alles
für Guillems Rettung zu thun und zu sagen. Die Dame rief darauf den
Guillen ganz allein in ihre Kammer und blieb mit ihm so lange, daß Rei-
mon dachte, sie gewähre ihm den Lohn der Liebe. Das gefiel ihm sehr wohl
und er begann zu denken, daß alles, was ihm hinterbracht war, Lüge sei
und arges Geschwätz. Nachdem nun die beiden wieder hervorgetreten waren,
wurde das Abendessen aufgetragen und sie aßen mit großer Fröhlich-
keit. Darauf ließ die Dame die Betten ihrer Gäste bereiten und zwar, um
Raimon zu täuschen, nahe bei ihrer Kammerthür. Am andern Morgen früh¬
stückten sie in Freuden auf dem Schlosse, nahmen freundlichen Abschied und
kehrten nach Roussillon zurück. Und sobald Raimon konnte, trennte er sich von
Guillen, ging zu seiner Gattin und erzählte ihr, was er von jenem und
ihrer Schwester gesehen. Darüber gerieth die Dame in große Betrübniß
und weinte die ganze Nacht hindurch. Am andern Morgen ließ sie Guillen
zu sich rufen, empfing ihn übel und nannte ihn einen Betrüger und Ver¬
räther. Aber Guillen bat sie um Gnade, da er ganz unschuldig sei an dem,
dessen sie ihn anklagte, und er entdeckte ihr alles, wie es stand, Wort für
Wort. Die Dame sandte nach ihrer Schwester und erfuhr auch durch sie,
daß Guillen ohne Schuld sei, und sie befahl ihm, daß er ein Gedicht machen
solle, worin er zeige, daß er keine andere Dame liebe, als sie allein. Darauf
dichtete er die Canzone, welche beginnt:


"Das süße Sinnen, das oft mir Liebe gibt."

Als aber Raimon das Lied hörte, welches Guillen auf seine Gattin
gemacht hatte, ließ er ihn zu einer Unterredung fern von dem Schlosse
entbieten, schlug-ihm das Haupt ab und legte es in eine Waidtasche.
Darauf riß er ihm das Herz aus dem Leibe und legte es zu dem Haupte.
Als er zum Schlosse zurückgekehrt war, ließ er das Herz rösten und auf die
Tafel seiner Gattin tragen. Und als sie es gegessen hatte, erhob er sich und
offenbarte ihr, daß das, was sie gegessen, das Herz des Guillen de Cabstaing
sei, und zeigte ihr sein Haupt und fragte sie, ob das Herz gut zu essen ge¬
wesen sei. Sie hörte, was er gesagt hatte, und erkannte das Haupt des
Herrn Guillen. Und sie antwortete ihm, es sei so gut gewesen und so
wohlschmeckend, daß ihr nie eine andere Speise und Trank den süßen Ge-


Grenzboten I. 1868. 33

sprach: „Saget mir, Schwägerin, bei der Treue, die Ihr mir schuldig seid,
steht Ihr mit jemandem in einem Liebesverhältniß?" Und sie antwortete:
„Ja wohl, Herr!" Und er bat sie so lange, daß sie ihm zuletzt sagte, sie
liebe Guillen de Cabstaing. Dieses that sie, weil sie Guillen bekümmert
und nachdenklich gesehen hatte und wußte, daß er ihre Schwester liebe. Des¬
halb fürchtete sie, daß Raimon übel von Guillen denken möchte. Dieser war
über ihre Antwort sehr erfreut. Die Dame erzählte die ganze Sache ihrem
Gemahl und dieser fand, daß sie recht gehandelt habe und erlaubte ihr, alles
für Guillems Rettung zu thun und zu sagen. Die Dame rief darauf den
Guillen ganz allein in ihre Kammer und blieb mit ihm so lange, daß Rei-
mon dachte, sie gewähre ihm den Lohn der Liebe. Das gefiel ihm sehr wohl
und er begann zu denken, daß alles, was ihm hinterbracht war, Lüge sei
und arges Geschwätz. Nachdem nun die beiden wieder hervorgetreten waren,
wurde das Abendessen aufgetragen und sie aßen mit großer Fröhlich-
keit. Darauf ließ die Dame die Betten ihrer Gäste bereiten und zwar, um
Raimon zu täuschen, nahe bei ihrer Kammerthür. Am andern Morgen früh¬
stückten sie in Freuden auf dem Schlosse, nahmen freundlichen Abschied und
kehrten nach Roussillon zurück. Und sobald Raimon konnte, trennte er sich von
Guillen, ging zu seiner Gattin und erzählte ihr, was er von jenem und
ihrer Schwester gesehen. Darüber gerieth die Dame in große Betrübniß
und weinte die ganze Nacht hindurch. Am andern Morgen ließ sie Guillen
zu sich rufen, empfing ihn übel und nannte ihn einen Betrüger und Ver¬
räther. Aber Guillen bat sie um Gnade, da er ganz unschuldig sei an dem,
dessen sie ihn anklagte, und er entdeckte ihr alles, wie es stand, Wort für
Wort. Die Dame sandte nach ihrer Schwester und erfuhr auch durch sie,
daß Guillen ohne Schuld sei, und sie befahl ihm, daß er ein Gedicht machen
solle, worin er zeige, daß er keine andere Dame liebe, als sie allein. Darauf
dichtete er die Canzone, welche beginnt:


„Das süße Sinnen, das oft mir Liebe gibt."

Als aber Raimon das Lied hörte, welches Guillen auf seine Gattin
gemacht hatte, ließ er ihn zu einer Unterredung fern von dem Schlosse
entbieten, schlug-ihm das Haupt ab und legte es in eine Waidtasche.
Darauf riß er ihm das Herz aus dem Leibe und legte es zu dem Haupte.
Als er zum Schlosse zurückgekehrt war, ließ er das Herz rösten und auf die
Tafel seiner Gattin tragen. Und als sie es gegessen hatte, erhob er sich und
offenbarte ihr, daß das, was sie gegessen, das Herz des Guillen de Cabstaing
sei, und zeigte ihr sein Haupt und fragte sie, ob das Herz gut zu essen ge¬
wesen sei. Sie hörte, was er gesagt hatte, und erkannte das Haupt des
Herrn Guillen. Und sie antwortete ihm, es sei so gut gewesen und so
wohlschmeckend, daß ihr nie eine andere Speise und Trank den süßen Ge-


Grenzboten I. 1868. 33
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[0265] sprach: „Saget mir, Schwägerin, bei der Treue, die Ihr mir schuldig seid, steht Ihr mit jemandem in einem Liebesverhältniß?" Und sie antwortete: „Ja wohl, Herr!" Und er bat sie so lange, daß sie ihm zuletzt sagte, sie liebe Guillen de Cabstaing. Dieses that sie, weil sie Guillen bekümmert und nachdenklich gesehen hatte und wußte, daß er ihre Schwester liebe. Des¬ halb fürchtete sie, daß Raimon übel von Guillen denken möchte. Dieser war über ihre Antwort sehr erfreut. Die Dame erzählte die ganze Sache ihrem Gemahl und dieser fand, daß sie recht gehandelt habe und erlaubte ihr, alles für Guillems Rettung zu thun und zu sagen. Die Dame rief darauf den Guillen ganz allein in ihre Kammer und blieb mit ihm so lange, daß Rei- mon dachte, sie gewähre ihm den Lohn der Liebe. Das gefiel ihm sehr wohl und er begann zu denken, daß alles, was ihm hinterbracht war, Lüge sei und arges Geschwätz. Nachdem nun die beiden wieder hervorgetreten waren, wurde das Abendessen aufgetragen und sie aßen mit großer Fröhlich- keit. Darauf ließ die Dame die Betten ihrer Gäste bereiten und zwar, um Raimon zu täuschen, nahe bei ihrer Kammerthür. Am andern Morgen früh¬ stückten sie in Freuden auf dem Schlosse, nahmen freundlichen Abschied und kehrten nach Roussillon zurück. Und sobald Raimon konnte, trennte er sich von Guillen, ging zu seiner Gattin und erzählte ihr, was er von jenem und ihrer Schwester gesehen. Darüber gerieth die Dame in große Betrübniß und weinte die ganze Nacht hindurch. Am andern Morgen ließ sie Guillen zu sich rufen, empfing ihn übel und nannte ihn einen Betrüger und Ver¬ räther. Aber Guillen bat sie um Gnade, da er ganz unschuldig sei an dem, dessen sie ihn anklagte, und er entdeckte ihr alles, wie es stand, Wort für Wort. Die Dame sandte nach ihrer Schwester und erfuhr auch durch sie, daß Guillen ohne Schuld sei, und sie befahl ihm, daß er ein Gedicht machen solle, worin er zeige, daß er keine andere Dame liebe, als sie allein. Darauf dichtete er die Canzone, welche beginnt: „Das süße Sinnen, das oft mir Liebe gibt." Als aber Raimon das Lied hörte, welches Guillen auf seine Gattin gemacht hatte, ließ er ihn zu einer Unterredung fern von dem Schlosse entbieten, schlug-ihm das Haupt ab und legte es in eine Waidtasche. Darauf riß er ihm das Herz aus dem Leibe und legte es zu dem Haupte. Als er zum Schlosse zurückgekehrt war, ließ er das Herz rösten und auf die Tafel seiner Gattin tragen. Und als sie es gegessen hatte, erhob er sich und offenbarte ihr, daß das, was sie gegessen, das Herz des Guillen de Cabstaing sei, und zeigte ihr sein Haupt und fragte sie, ob das Herz gut zu essen ge¬ wesen sei. Sie hörte, was er gesagt hatte, und erkannte das Haupt des Herrn Guillen. Und sie antwortete ihm, es sei so gut gewesen und so wohlschmeckend, daß ihr nie eine andere Speise und Trank den süßen Ge- Grenzboten I. 1868. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/265>, abgerufen am 24.08.2024.