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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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kam. Der wurde sehr betrübt und erzürnte gewaltig, sowohl weil er seinen
besten Freund verlieren sollte, als auch noch mehr über die Schmach seiner
Gattin. Und als Guillen in Begleitung blos eines Dieners auf die Jagd
mit dem Sperber gegangen war, ließ Herr Raimon nach ihm fragen, wo er
wäre. Ein Diener sagte ihm, er sei zur Jagd mit dem Sperber ausgezogen
und bezeichnete ihm die Richtung. Gleich wappnete sich Herr Raimon mit
einer verdeckten Rüstung, ließ seinen Renner vorführen und nahm seinen
Weg nach der Seite, wohin Guillen gegangen war; und er ritt so lange,
bis er ihn fand. Als Guillen ihn kommen sah, nahm es ihn Wunder und
sogleich schöpfte er schlimmen Verdacht. Doch er ging ihm entgegen und
sagte: "Seid willkommen, Herr; doch wie so ganz allein?" Herr Raimon
antwortete: "Ich suchte Euch, um mit Euch der Rede zu pflegen; habt Ihr
etwas erlegt?" -- "Wenig, Herr, denn ich habe wenig gefunden, und wie
Ihr wißt, sagt das Sprichwort: wer wenig findet, kann nicht viel erlegen." --
"Lassen wir jetzt dies Gespräch," erwiderte Herr Raimon, "und antwortet
mir mit der Treue, welche Ihr mir schuldig seid, auf alles was ich Euch
fragen werde." "Bei Gott, Herr, wenn es gesagt werden kann, so will ich
es Euch sagen." -- "Nein," sprach Raimon, "ich will nicht, daß Ihr Vorbe¬
halte macht, sondern Ihr sollt mir alles beantworten." -- "So fragt denn,
Herr, wie Ihr beliebt," sprach Guillen, "ich will Euch die Wahrheit sagen."
Und Herr Raimon fragte: "Guillen, bei Gott und eurer Treue, habt Ihr
eine Dame, für die ihr singt und die Euch in Liebe gefesselt hält?" Guillen
antwortete: "Herr, wie sollte ich singen, wenn Liebe mich nicht bezwungen
hätte; wisset, daß ich ganz in ihrer Macht bin." Und Raimon sprach weiter:
"Wohl glaube ich Euch, denn wie könntet Ihr sonst so reizend singen, aber
jetzt möchte ich wissen, wenn es Euch gefällt, wer Eure Dame ist?" -- "El,
Herr," rief Guillen aus, "bedenket, was Ihr mich fragt, und ob es recht ist,
seine Liebe zu verrathen." -- Raimon erwiderte: "Ich verspreche, Euch zu
helfen nach allen Kräften." Und er redete so viel auf ihn ein, daß Guillen
endlich sagte: "So wisset denn, Herr, ich liebe die Schwester der Dame Mar-
garita, Eurer Gattin, und ich bitte Euch, daß Ihr mir helfet oder mir wenig'
fleus nicht entgegen seid." "Nehmt Handschlag und Treue," sagte Raimon,
"daß ich Euch nach all meinen Kräften beistehen werde." Er verpflichtete sich
ihm und fuhr dann fort: "Lasset uns jetzt gleich zu ihrer Wohnung gehen,
denn sie liegt in der Nähe." "Auch ich bitte darum," sprach Guillen, "bei
Gott." So nahmen sie ihren Weg nach dem Schlosse Lied. Und als sie
angekommen waren, wurden sie wohl aufgenommen von Herrn Robert i>on
Taraskon und seiner Gattin, der Dame Agnes, Schwester der Dame Mar-
garita. Und Raimon nahm die Dame Agnes bei der Hand und führte sie
in ein Ruhegemach und sie setzten sich auf ein Ruhebett. Und Herr Raimon


kam. Der wurde sehr betrübt und erzürnte gewaltig, sowohl weil er seinen
besten Freund verlieren sollte, als auch noch mehr über die Schmach seiner
Gattin. Und als Guillen in Begleitung blos eines Dieners auf die Jagd
mit dem Sperber gegangen war, ließ Herr Raimon nach ihm fragen, wo er
wäre. Ein Diener sagte ihm, er sei zur Jagd mit dem Sperber ausgezogen
und bezeichnete ihm die Richtung. Gleich wappnete sich Herr Raimon mit
einer verdeckten Rüstung, ließ seinen Renner vorführen und nahm seinen
Weg nach der Seite, wohin Guillen gegangen war; und er ritt so lange,
bis er ihn fand. Als Guillen ihn kommen sah, nahm es ihn Wunder und
sogleich schöpfte er schlimmen Verdacht. Doch er ging ihm entgegen und
sagte: „Seid willkommen, Herr; doch wie so ganz allein?" Herr Raimon
antwortete: „Ich suchte Euch, um mit Euch der Rede zu pflegen; habt Ihr
etwas erlegt?" — „Wenig, Herr, denn ich habe wenig gefunden, und wie
Ihr wißt, sagt das Sprichwort: wer wenig findet, kann nicht viel erlegen." —
„Lassen wir jetzt dies Gespräch," erwiderte Herr Raimon, „und antwortet
mir mit der Treue, welche Ihr mir schuldig seid, auf alles was ich Euch
fragen werde." „Bei Gott, Herr, wenn es gesagt werden kann, so will ich
es Euch sagen." — „Nein," sprach Raimon, „ich will nicht, daß Ihr Vorbe¬
halte macht, sondern Ihr sollt mir alles beantworten." — „So fragt denn,
Herr, wie Ihr beliebt," sprach Guillen, „ich will Euch die Wahrheit sagen."
Und Herr Raimon fragte: „Guillen, bei Gott und eurer Treue, habt Ihr
eine Dame, für die ihr singt und die Euch in Liebe gefesselt hält?" Guillen
antwortete: „Herr, wie sollte ich singen, wenn Liebe mich nicht bezwungen
hätte; wisset, daß ich ganz in ihrer Macht bin." Und Raimon sprach weiter:
„Wohl glaube ich Euch, denn wie könntet Ihr sonst so reizend singen, aber
jetzt möchte ich wissen, wenn es Euch gefällt, wer Eure Dame ist?" — „El,
Herr," rief Guillen aus, „bedenket, was Ihr mich fragt, und ob es recht ist,
seine Liebe zu verrathen." — Raimon erwiderte: „Ich verspreche, Euch zu
helfen nach allen Kräften." Und er redete so viel auf ihn ein, daß Guillen
endlich sagte: „So wisset denn, Herr, ich liebe die Schwester der Dame Mar-
garita, Eurer Gattin, und ich bitte Euch, daß Ihr mir helfet oder mir wenig'
fleus nicht entgegen seid." „Nehmt Handschlag und Treue," sagte Raimon,
„daß ich Euch nach all meinen Kräften beistehen werde." Er verpflichtete sich
ihm und fuhr dann fort: „Lasset uns jetzt gleich zu ihrer Wohnung gehen,
denn sie liegt in der Nähe." „Auch ich bitte darum," sprach Guillen, „bei
Gott." So nahmen sie ihren Weg nach dem Schlosse Lied. Und als sie
angekommen waren, wurden sie wohl aufgenommen von Herrn Robert i>on
Taraskon und seiner Gattin, der Dame Agnes, Schwester der Dame Mar-
garita. Und Raimon nahm die Dame Agnes bei der Hand und führte sie
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/264>, abgerufen am 05.02.2025.