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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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König. "Wohl habe ich ihn verloren." erwiderte Bertram, "denn an dem
Tage, da der tapfere junge König, Euer Sohn starb, da verlor ich Sinn
und Verstand und Bewußtsein." Und der König, als er hörte, was Herr
Bertram sagte, weinte über den Sohn und großer Jammer ergriff ihn, und
er konnte sich nicht halten und wurde ohnmächtig vor Schmerz. Und als er von
seiner Ohnmacht wieder zu sich gekommen war. da sprach er noch immer weinend:
"Bertram, Bertram, wohl habt Ihr Recht, wenn Ihr Sinn und Denken ver¬
löre über meinen Sohn, der Euch mehr liebte, als irgend einen andern Mann
auf der Welt. Und wegen der Liebe zu ihm gebe ich Euch Leib und Habe
und Euer Schloß zurück, und schenke euch meine Gnade wieder und fünfhun¬
dert Mark Silbers für den Schaden, den Ihr durch mich gehabt." Bertram
fiel ihm zu Füßen und dankte für seine Güte.

Wenn ich oben religiöse Begeisterung als dritten Hauptimpuls proven-
zalischer Dichtung nannte, so ist hierunter jedoch keineswegs unbedingte Unter¬
werfung unter Roms drückende Geistesknechtung zu verstehen. -- Als im
13. Jahrhundert die bekreuzten Mordbrennerbanden zur Ausrottung der Albi-
genser - Ketzerei in die wonnigen Provenzethäler einbrachen, da standen die
Trobadors mit Leier und Schwert muthig zur guten Sache der Freiheit und
schleuderten die kecksten Sirventese gegen die Uebergriffe priesterlicher Gewalt.
Erklärte doch Papst Innocenz IV. in einer Bulle aus dem Jahre 1243 die
Provenzalische Mundart für eine Ketzersprache und verbot ihren Gebrauch den
Studirenden. (Siehe Faurill I. 24). Auch gegen die übertriebene Wander¬
sucht nach Palästina, welche das eigene Land der besten Kräfte beraubte,
scheint sich bald der gesunde Sinn der Trobadors gerichtet zu haben. Mar-
kabrun, der noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts blühte, und also
mit zu den frühesten Dichtern gehört, schildert mit ergreifender Innig¬
keit die Klagen eines verlassenen Mädchens, dessen Liebster dem allgemeinen
Kreuzruf gefolgt ist. "O Jesus," spricht sie, "König der Welt, durch Euch
erwächst mir großer Jammer, denn Eure Schmach zu rächen ziehen die Besten
der Erde davon; und auch mein Freund hat mich um Euch verlassen." Als
der Dichter (die Form des Gedichtes ist die eines Zwiegespräches) sie an die
Belohnungen im andern Leben erinnert, antwortet das Mädchen mit der
rührenden Naivetät des Schmerzes:


Herr -- sprach sie drauf -- das mag Wohl sein.
Daß Gott von aller Noth und Pein
In jener Welt mich will befrei'n
Er der den Sündern gern vergibt. --
Doch hier büß' ich den Liebsten ein!

So entrollt sich das Bild der Trobadordichtung vor unsern Blicken als
ein äußerst reiches und farbenvolles. Alle Interessen des Staates, der Kirche


König. „Wohl habe ich ihn verloren." erwiderte Bertram, „denn an dem
Tage, da der tapfere junge König, Euer Sohn starb, da verlor ich Sinn
und Verstand und Bewußtsein." Und der König, als er hörte, was Herr
Bertram sagte, weinte über den Sohn und großer Jammer ergriff ihn, und
er konnte sich nicht halten und wurde ohnmächtig vor Schmerz. Und als er von
seiner Ohnmacht wieder zu sich gekommen war. da sprach er noch immer weinend:
„Bertram, Bertram, wohl habt Ihr Recht, wenn Ihr Sinn und Denken ver¬
löre über meinen Sohn, der Euch mehr liebte, als irgend einen andern Mann
auf der Welt. Und wegen der Liebe zu ihm gebe ich Euch Leib und Habe
und Euer Schloß zurück, und schenke euch meine Gnade wieder und fünfhun¬
dert Mark Silbers für den Schaden, den Ihr durch mich gehabt." Bertram
fiel ihm zu Füßen und dankte für seine Güte.

Wenn ich oben religiöse Begeisterung als dritten Hauptimpuls proven-
zalischer Dichtung nannte, so ist hierunter jedoch keineswegs unbedingte Unter¬
werfung unter Roms drückende Geistesknechtung zu verstehen. — Als im
13. Jahrhundert die bekreuzten Mordbrennerbanden zur Ausrottung der Albi-
genser - Ketzerei in die wonnigen Provenzethäler einbrachen, da standen die
Trobadors mit Leier und Schwert muthig zur guten Sache der Freiheit und
schleuderten die kecksten Sirventese gegen die Uebergriffe priesterlicher Gewalt.
Erklärte doch Papst Innocenz IV. in einer Bulle aus dem Jahre 1243 die
Provenzalische Mundart für eine Ketzersprache und verbot ihren Gebrauch den
Studirenden. (Siehe Faurill I. 24). Auch gegen die übertriebene Wander¬
sucht nach Palästina, welche das eigene Land der besten Kräfte beraubte,
scheint sich bald der gesunde Sinn der Trobadors gerichtet zu haben. Mar-
kabrun, der noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts blühte, und also
mit zu den frühesten Dichtern gehört, schildert mit ergreifender Innig¬
keit die Klagen eines verlassenen Mädchens, dessen Liebster dem allgemeinen
Kreuzruf gefolgt ist. „O Jesus," spricht sie, „König der Welt, durch Euch
erwächst mir großer Jammer, denn Eure Schmach zu rächen ziehen die Besten
der Erde davon; und auch mein Freund hat mich um Euch verlassen." Als
der Dichter (die Form des Gedichtes ist die eines Zwiegespräches) sie an die
Belohnungen im andern Leben erinnert, antwortet das Mädchen mit der
rührenden Naivetät des Schmerzes:


Herr — sprach sie drauf — das mag Wohl sein.
Daß Gott von aller Noth und Pein
In jener Welt mich will befrei'n
Er der den Sündern gern vergibt. —
Doch hier büß' ich den Liebsten ein!

So entrollt sich das Bild der Trobadordichtung vor unsern Blicken als
ein äußerst reiches und farbenvolles. Alle Interessen des Staates, der Kirche


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[0261] König. „Wohl habe ich ihn verloren." erwiderte Bertram, „denn an dem Tage, da der tapfere junge König, Euer Sohn starb, da verlor ich Sinn und Verstand und Bewußtsein." Und der König, als er hörte, was Herr Bertram sagte, weinte über den Sohn und großer Jammer ergriff ihn, und er konnte sich nicht halten und wurde ohnmächtig vor Schmerz. Und als er von seiner Ohnmacht wieder zu sich gekommen war. da sprach er noch immer weinend: „Bertram, Bertram, wohl habt Ihr Recht, wenn Ihr Sinn und Denken ver¬ löre über meinen Sohn, der Euch mehr liebte, als irgend einen andern Mann auf der Welt. Und wegen der Liebe zu ihm gebe ich Euch Leib und Habe und Euer Schloß zurück, und schenke euch meine Gnade wieder und fünfhun¬ dert Mark Silbers für den Schaden, den Ihr durch mich gehabt." Bertram fiel ihm zu Füßen und dankte für seine Güte. Wenn ich oben religiöse Begeisterung als dritten Hauptimpuls proven- zalischer Dichtung nannte, so ist hierunter jedoch keineswegs unbedingte Unter¬ werfung unter Roms drückende Geistesknechtung zu verstehen. — Als im 13. Jahrhundert die bekreuzten Mordbrennerbanden zur Ausrottung der Albi- genser - Ketzerei in die wonnigen Provenzethäler einbrachen, da standen die Trobadors mit Leier und Schwert muthig zur guten Sache der Freiheit und schleuderten die kecksten Sirventese gegen die Uebergriffe priesterlicher Gewalt. Erklärte doch Papst Innocenz IV. in einer Bulle aus dem Jahre 1243 die Provenzalische Mundart für eine Ketzersprache und verbot ihren Gebrauch den Studirenden. (Siehe Faurill I. 24). Auch gegen die übertriebene Wander¬ sucht nach Palästina, welche das eigene Land der besten Kräfte beraubte, scheint sich bald der gesunde Sinn der Trobadors gerichtet zu haben. Mar- kabrun, der noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts blühte, und also mit zu den frühesten Dichtern gehört, schildert mit ergreifender Innig¬ keit die Klagen eines verlassenen Mädchens, dessen Liebster dem allgemeinen Kreuzruf gefolgt ist. „O Jesus," spricht sie, „König der Welt, durch Euch erwächst mir großer Jammer, denn Eure Schmach zu rächen ziehen die Besten der Erde davon; und auch mein Freund hat mich um Euch verlassen." Als der Dichter (die Form des Gedichtes ist die eines Zwiegespräches) sie an die Belohnungen im andern Leben erinnert, antwortet das Mädchen mit der rührenden Naivetät des Schmerzes: Herr — sprach sie drauf — das mag Wohl sein. Daß Gott von aller Noth und Pein In jener Welt mich will befrei'n Er der den Sündern gern vergibt. — Doch hier büß' ich den Liebsten ein! So entrollt sich das Bild der Trobadordichtung vor unsern Blicken als ein äußerst reiches und farbenvolles. Alle Interessen des Staates, der Kirche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/261>, abgerufen am 22.07.2024.