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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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den andern Fractionen -- sie ließ erkennen, daß es neben dieser noch andere
unausgeglichene Differenzen gebe. Wie es innerhalb der Fraction ausgesehen,
und wie groß die Minorität gewesen, welche aus Gehorsam gegen die Partei¬
disziplin für und nicht wider die Bill gestimmt hat, wissen wir nicht: die Ta¬
gespresse hat es nicht einmal für nothwendig gehalten, danach zu fragen.
Bei der ziemlich weitverbreiteten Meinung, "freiheitliche Errungenschaften"
seien nur von Werth, wenn sie zu Verfassungsparagraphen oder Parlaments¬
prärogativen geworden, hatte es überhaupt nicht ausbleiben können, daß die
berliner Presse die Frage nach dem Verhältniß einer hannoverischen Rechts¬
gewohnheit zu den altpreußischen Institutionen mit kaum verhehlter Mi߬
gunst und Geringschätzung behandelte.

Auf die Folgerungen, welche aus den Landtagsgeschicken des hanno-
verschen Provinzialfonds zu ziehen sind, weiter einzugehen, müssen wir uns
für heute versagen. Ein Schluß aus denselben liegt aber zu nahe, als daß
wir an ihm vorübergehen könnten: der, daß es in der bisherigen Weise nicht
weiter gehen kann, wenn die Bezeichnung "nationalliberal" eine andere als die
blos negative Bedeutung "weder reactionär noch fortschrittlich demokratisch"
haben soll. Wir müssen wissen, wo die nationalliberale Partei künftig zu finden
sein wird, ob im Lager des Altpreußenthums, welches durch einfache Ausdeh¬
nung ihrer Provinzialeinrichtung auf die neuen Provinzen das Organisations¬
werk zu vollbringen und die preußische Attraetionskraft zu bethätigen gedenkt,
ob wo anders, wir müssen wissen, ob der Schwerpunkt der Partei auf ihrem
linken oder auf ihrem-rechten Flügel liegt, oder endlich auf keinem von beiden
gesucht werden muß. Herrscht keine Uebereinstimmung bezüglich der Cardinal¬
sragen, so gebe man die Bezeichnung "Partei" auf und zwar ebenso für den Land¬
tag wie für den Reichstag. Trägerin der Entscheidungen des Parlaments,
welches die Beziehungen Preußens zu den verbündeten Staaten regelt, kann
nur die Partei sein, welche im Standeist, die Verbindung der annectirten
Provinzen mit dem preußischen Staat nach einem festen und klaren Prinzip
zu beiderseitiger Befriedigung durchzuführen. So lange es einen Landtag der
Preußischen Monarchie neben dem Reichstag gibt und die süddeutsche Frage
noch der Lösung harrt, ist der Trost, der eine müsse gut machen, was
der andere verdorben, ein leerer, denn er beruht auf der irrthümlichen
Voraussetzung, der neue deutsche Staat habe den preußischen bereits über¬
wachsen. Die nationale Reichtagspartei muß mit einer preußischen Organi¬
sationspartei identisch sein oder die Frage, inwieweit der preußische Staat,
inclusive Landtag, in seiner bisherigen Gestalt überhaupt möglich geblieben ist,
klopft an das Thor, noch bevor die Süddeutschen in dasselbe Einlaß gefunden.




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den andern Fractionen — sie ließ erkennen, daß es neben dieser noch andere
unausgeglichene Differenzen gebe. Wie es innerhalb der Fraction ausgesehen,
und wie groß die Minorität gewesen, welche aus Gehorsam gegen die Partei¬
disziplin für und nicht wider die Bill gestimmt hat, wissen wir nicht: die Ta¬
gespresse hat es nicht einmal für nothwendig gehalten, danach zu fragen.
Bei der ziemlich weitverbreiteten Meinung, „freiheitliche Errungenschaften"
seien nur von Werth, wenn sie zu Verfassungsparagraphen oder Parlaments¬
prärogativen geworden, hatte es überhaupt nicht ausbleiben können, daß die
berliner Presse die Frage nach dem Verhältniß einer hannoverischen Rechts¬
gewohnheit zu den altpreußischen Institutionen mit kaum verhehlter Mi߬
gunst und Geringschätzung behandelte.

Auf die Folgerungen, welche aus den Landtagsgeschicken des hanno-
verschen Provinzialfonds zu ziehen sind, weiter einzugehen, müssen wir uns
für heute versagen. Ein Schluß aus denselben liegt aber zu nahe, als daß
wir an ihm vorübergehen könnten: der, daß es in der bisherigen Weise nicht
weiter gehen kann, wenn die Bezeichnung „nationalliberal" eine andere als die
blos negative Bedeutung „weder reactionär noch fortschrittlich demokratisch"
haben soll. Wir müssen wissen, wo die nationalliberale Partei künftig zu finden
sein wird, ob im Lager des Altpreußenthums, welches durch einfache Ausdeh¬
nung ihrer Provinzialeinrichtung auf die neuen Provinzen das Organisations¬
werk zu vollbringen und die preußische Attraetionskraft zu bethätigen gedenkt,
ob wo anders, wir müssen wissen, ob der Schwerpunkt der Partei auf ihrem
linken oder auf ihrem-rechten Flügel liegt, oder endlich auf keinem von beiden
gesucht werden muß. Herrscht keine Uebereinstimmung bezüglich der Cardinal¬
sragen, so gebe man die Bezeichnung „Partei" auf und zwar ebenso für den Land¬
tag wie für den Reichstag. Trägerin der Entscheidungen des Parlaments,
welches die Beziehungen Preußens zu den verbündeten Staaten regelt, kann
nur die Partei sein, welche im Standeist, die Verbindung der annectirten
Provinzen mit dem preußischen Staat nach einem festen und klaren Prinzip
zu beiderseitiger Befriedigung durchzuführen. So lange es einen Landtag der
Preußischen Monarchie neben dem Reichstag gibt und die süddeutsche Frage
noch der Lösung harrt, ist der Trost, der eine müsse gut machen, was
der andere verdorben, ein leerer, denn er beruht auf der irrthümlichen
Voraussetzung, der neue deutsche Staat habe den preußischen bereits über¬
wachsen. Die nationale Reichtagspartei muß mit einer preußischen Organi¬
sationspartei identisch sein oder die Frage, inwieweit der preußische Staat,
inclusive Landtag, in seiner bisherigen Gestalt überhaupt möglich geblieben ist,
klopft an das Thor, noch bevor die Süddeutschen in dasselbe Einlaß gefunden.




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[0257] den andern Fractionen — sie ließ erkennen, daß es neben dieser noch andere unausgeglichene Differenzen gebe. Wie es innerhalb der Fraction ausgesehen, und wie groß die Minorität gewesen, welche aus Gehorsam gegen die Partei¬ disziplin für und nicht wider die Bill gestimmt hat, wissen wir nicht: die Ta¬ gespresse hat es nicht einmal für nothwendig gehalten, danach zu fragen. Bei der ziemlich weitverbreiteten Meinung, „freiheitliche Errungenschaften" seien nur von Werth, wenn sie zu Verfassungsparagraphen oder Parlaments¬ prärogativen geworden, hatte es überhaupt nicht ausbleiben können, daß die berliner Presse die Frage nach dem Verhältniß einer hannoverischen Rechts¬ gewohnheit zu den altpreußischen Institutionen mit kaum verhehlter Mi߬ gunst und Geringschätzung behandelte. Auf die Folgerungen, welche aus den Landtagsgeschicken des hanno- verschen Provinzialfonds zu ziehen sind, weiter einzugehen, müssen wir uns für heute versagen. Ein Schluß aus denselben liegt aber zu nahe, als daß wir an ihm vorübergehen könnten: der, daß es in der bisherigen Weise nicht weiter gehen kann, wenn die Bezeichnung „nationalliberal" eine andere als die blos negative Bedeutung „weder reactionär noch fortschrittlich demokratisch" haben soll. Wir müssen wissen, wo die nationalliberale Partei künftig zu finden sein wird, ob im Lager des Altpreußenthums, welches durch einfache Ausdeh¬ nung ihrer Provinzialeinrichtung auf die neuen Provinzen das Organisations¬ werk zu vollbringen und die preußische Attraetionskraft zu bethätigen gedenkt, ob wo anders, wir müssen wissen, ob der Schwerpunkt der Partei auf ihrem linken oder auf ihrem-rechten Flügel liegt, oder endlich auf keinem von beiden gesucht werden muß. Herrscht keine Uebereinstimmung bezüglich der Cardinal¬ sragen, so gebe man die Bezeichnung „Partei" auf und zwar ebenso für den Land¬ tag wie für den Reichstag. Trägerin der Entscheidungen des Parlaments, welches die Beziehungen Preußens zu den verbündeten Staaten regelt, kann nur die Partei sein, welche im Standeist, die Verbindung der annectirten Provinzen mit dem preußischen Staat nach einem festen und klaren Prinzip zu beiderseitiger Befriedigung durchzuführen. So lange es einen Landtag der Preußischen Monarchie neben dem Reichstag gibt und die süddeutsche Frage noch der Lösung harrt, ist der Trost, der eine müsse gut machen, was der andere verdorben, ein leerer, denn er beruht auf der irrthümlichen Voraussetzung, der neue deutsche Staat habe den preußischen bereits über¬ wachsen. Die nationale Reichtagspartei muß mit einer preußischen Organi¬ sationspartei identisch sein oder die Frage, inwieweit der preußische Staat, inclusive Landtag, in seiner bisherigen Gestalt überhaupt möglich geblieben ist, klopft an das Thor, noch bevor die Süddeutschen in dasselbe Einlaß gefunden. Grenzboten I. 18K8.32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/257>, abgerufen am 22.07.2024.