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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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5.-.. Es ist Pflicht der Selbstzucht, offen einzugestehen: diesem ^Ansprüche
hat die nationalliberale Partei im vorligenden Falle nicht genügt. Weder
ist es ihr gelungen, aus der Entscheidung über den Provinzialfonds für
sich selbst Capital zu schlagen, noch hat sie auch nur vermocht, den in
ihrem Inneren herrschenden Gegensätzen die Rücksicht auf die dskors ab¬
zuzwingen und bei ihren eigenen Mitgliedern das Gefühl des Unbehagens
zu überwinden, welches sich nachgerade aller Landtags-Vertreter der neuen
Provinzen bemächtigt zu haben scheint, auch derer, die von ihrer preußischen
Gesinnung im Reichstage die unwiderleglichsten Beweise geliefert haben. Wir
haben vielmehr zwei Mal binnen einer Woche erleben müssen, daß eine be-^
trächtliche Anzahl von Parteigenossen in Fragen von maßgebender Bedeutung
gegen die Mehrheit der Fraction stimmten: das Gesetz über die Abfindung
der Depossedirten zählte einige 30, das über den Provinzialfonds 21 national¬
liberale Gegner. Man halte uns nicht entgegen, die Bill über die Deposse¬
dirten sei in der That heikler Natur gewesen, und das Interesse der nationalen
Sache habe eine möglichst starke Minorität gegen dieselbe wünschenswert!)
gemacht; wenn es sich um die Feststellung des Maßes von Vertrauen han¬
delt, welches die Partei zu der äußeren Politik der Regierung hat, so hat
die Partei nur das eine Interesse: geschlossen aufzutreten und durch ihr
Gewicht zu wirken -- für oder wider die Regierungsvorlage, darauf kommt
es nicht an. Eine Partei, welche mangelhafte Autorität auf die eigenen Glieder
übt, kann eine solche bei der Regierung nicht beanspruchen, sie verringert ihren
eigenen Werth und den Preis, den sie für ihre Zustimmung fordern kann-
Bezüglich des Provinzialfonds ist dieses Verhältniß noch peinlicher gewesen;
in dieser Frage, welche wie keine andere ein Kriterium für die Gesundheit
der von den verschiedenen Parteien befolgten inneren Politik bot, haben die
Nationalliberalen ihre innere oder äußere Ueberlegenheit über die übrigen
Fractionen leider nicht bewiesen, sondern den Vortheil vollständig unbenutzt
gelassen, den ihnen der Zwiespalt zwischen den Conservativen und dem
Ministerium bot. Weder haben sie von der Frage, welche für die gesammte
Organisation der neuen Provinzen und des neuen Staats präjudicirlich ist,
Besitz genommen, noch ist es ihnen gelungen, durch festes Zusammenstehen
den Beweis zu liefern, daß sie als Träger einer nationalen Politik die
Schwierigkeiten nicht zu fürchten hätten, angesichts welcher die andern Par¬
teien entweder Schiffbruch litten oder den Kopf in den Sand steckten. Im
Gegentheil, ihre Abstimmung war ebenso zerfahren wie die der beiden be¬
nachbarten Parteien des Centrums und der Confer.vativen; ja diese Abstimmung
lieferte nicht nur den Beweis, daß im Schooß der nationalliberalen Partei der
Gegensatz zwischen Alt- und Neupreußen ebenso unüberwunden sei, wie bei


5.-.. Es ist Pflicht der Selbstzucht, offen einzugestehen: diesem ^Ansprüche
hat die nationalliberale Partei im vorligenden Falle nicht genügt. Weder
ist es ihr gelungen, aus der Entscheidung über den Provinzialfonds für
sich selbst Capital zu schlagen, noch hat sie auch nur vermocht, den in
ihrem Inneren herrschenden Gegensätzen die Rücksicht auf die dskors ab¬
zuzwingen und bei ihren eigenen Mitgliedern das Gefühl des Unbehagens
zu überwinden, welches sich nachgerade aller Landtags-Vertreter der neuen
Provinzen bemächtigt zu haben scheint, auch derer, die von ihrer preußischen
Gesinnung im Reichstage die unwiderleglichsten Beweise geliefert haben. Wir
haben vielmehr zwei Mal binnen einer Woche erleben müssen, daß eine be-^
trächtliche Anzahl von Parteigenossen in Fragen von maßgebender Bedeutung
gegen die Mehrheit der Fraction stimmten: das Gesetz über die Abfindung
der Depossedirten zählte einige 30, das über den Provinzialfonds 21 national¬
liberale Gegner. Man halte uns nicht entgegen, die Bill über die Deposse¬
dirten sei in der That heikler Natur gewesen, und das Interesse der nationalen
Sache habe eine möglichst starke Minorität gegen dieselbe wünschenswert!)
gemacht; wenn es sich um die Feststellung des Maßes von Vertrauen han¬
delt, welches die Partei zu der äußeren Politik der Regierung hat, so hat
die Partei nur das eine Interesse: geschlossen aufzutreten und durch ihr
Gewicht zu wirken — für oder wider die Regierungsvorlage, darauf kommt
es nicht an. Eine Partei, welche mangelhafte Autorität auf die eigenen Glieder
übt, kann eine solche bei der Regierung nicht beanspruchen, sie verringert ihren
eigenen Werth und den Preis, den sie für ihre Zustimmung fordern kann-
Bezüglich des Provinzialfonds ist dieses Verhältniß noch peinlicher gewesen;
in dieser Frage, welche wie keine andere ein Kriterium für die Gesundheit
der von den verschiedenen Parteien befolgten inneren Politik bot, haben die
Nationalliberalen ihre innere oder äußere Ueberlegenheit über die übrigen
Fractionen leider nicht bewiesen, sondern den Vortheil vollständig unbenutzt
gelassen, den ihnen der Zwiespalt zwischen den Conservativen und dem
Ministerium bot. Weder haben sie von der Frage, welche für die gesammte
Organisation der neuen Provinzen und des neuen Staats präjudicirlich ist,
Besitz genommen, noch ist es ihnen gelungen, durch festes Zusammenstehen
den Beweis zu liefern, daß sie als Träger einer nationalen Politik die
Schwierigkeiten nicht zu fürchten hätten, angesichts welcher die andern Par¬
teien entweder Schiffbruch litten oder den Kopf in den Sand steckten. Im
Gegentheil, ihre Abstimmung war ebenso zerfahren wie die der beiden be¬
nachbarten Parteien des Centrums und der Confer.vativen; ja diese Abstimmung
lieferte nicht nur den Beweis, daß im Schooß der nationalliberalen Partei der
Gegensatz zwischen Alt- und Neupreußen ebenso unüberwunden sei, wie bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/256>, abgerufen am 22.07.2024.