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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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den Mittelparteien gerechnet werden, hat nur eine geschlossen gestimmt, die
freiconservative. Diese Abstimmung ist aus doppelten Gründen leicht zu er¬
klären: der Kardorffsche Antrag brach dem Prinzip, um welches es sich bei dem
Kampfe der Meinungen handelte, in bequemer Weise die Spitze ab und
die Partei, welcher der Antragsteller angehörte, war aufs höchste dabei inter-
essirt, zum erstenmal in einer wichtigen Angelegenheit den Ausschlag geben
zu können. So ist es geschehen, daß sie sich über eine einheitliche Haltung
verständigte, ohne eine Entscheidung über die für das Organisationswerk
maßgebenden Prinzipien zu fällen. Von den 16 Mitgliedern des rechten
Centrums haben (unsrer Rechnung nach) 9 gegen den Kardorffschen Antrag
gestimmt und die bedeutendsten Reden, welche gegen denselben gehalten, über¬
haupt in der Provinzialfondsfrage gesprochen worden, gingen von dem Frei¬
herrn Georg von Mücke aus, der dieser Fraction sicher am nächsten steht.
Die Majorität des linken Centrums (19 Stimmen) warf ihr Gewicht gleich¬
falls gegen das Ministerium in die Wagschale.

Wir kommen zu der nationalliberalen Partei. Nach den Eigenthümlich¬
keiten ihrer Zusammensetzung wie nach der Zahl der Stimmen, über welche sie
zu gebieten hat, war vorauszusehen, daß die Entscheidung wesentlich von ihr
abhängen werde. Eine Versöhnung der Gegensätze zwischen dem Altpreußen-
thum und den Interessen der neu erworbenen Staatsgebiete lag ihr am
nächsten. Ihre Glieder hatten sich in dem Bekenntniß zu der deutschen Po¬
litik Preußens zusammengefunden, die Rücksicht auf das glückliche Zustande¬
kommen des Einigungswerks war von ihnen jederzeit als die Hauptricht¬
schnur für die Behandlung aller übrigen Fragen bezeichnet und behandelt
worden; von ihnen ließ sich erwarten, sie würden sofort den allein richtigen
Gesichtspunkt für die Beurtheilung der Provinzialfondsangelegenheit finden
und festhalten. Ganz abgesehen von dem Inhalt der Entscheidung, welche
Kir für die allein richtige halten, lag auf der Hand, daß die nationalliberale
Partei sich derselben unter allen Umständen bemächtigen mußte, schon um
den lange schuldigen Beweis zu sühren, daß sie der Situation gewachsen,
daß sie im Stande sei, die Arbeit zu bewältigen, von welcher thatsächlich die
glückliche Lösung der deutschen Frage, soweit der preußische Landtag für die¬
selbe thätig sein kann, abhängt.

Das Zustandekommen der Bundesverfassung und die Annexion der
eroberten Provinzen war auch von den Conservativen und deren näch¬
sten Nachbarn gewollt worden, -- die Fähigkeit zur Verwirklichung dieser
Ziele und zur Beseitigung der aus denselben für Preußen erwachsenden
Schwierigkeiten nahm die nationalliberale Partei, welche die besten Kräfte
der neuen Provinzen an sich gezogen und mit den einsichtigsten Männern
der alten Länder in Verbindung gebracht hatte, für sich in Anspruch.


den Mittelparteien gerechnet werden, hat nur eine geschlossen gestimmt, die
freiconservative. Diese Abstimmung ist aus doppelten Gründen leicht zu er¬
klären: der Kardorffsche Antrag brach dem Prinzip, um welches es sich bei dem
Kampfe der Meinungen handelte, in bequemer Weise die Spitze ab und
die Partei, welcher der Antragsteller angehörte, war aufs höchste dabei inter-
essirt, zum erstenmal in einer wichtigen Angelegenheit den Ausschlag geben
zu können. So ist es geschehen, daß sie sich über eine einheitliche Haltung
verständigte, ohne eine Entscheidung über die für das Organisationswerk
maßgebenden Prinzipien zu fällen. Von den 16 Mitgliedern des rechten
Centrums haben (unsrer Rechnung nach) 9 gegen den Kardorffschen Antrag
gestimmt und die bedeutendsten Reden, welche gegen denselben gehalten, über¬
haupt in der Provinzialfondsfrage gesprochen worden, gingen von dem Frei¬
herrn Georg von Mücke aus, der dieser Fraction sicher am nächsten steht.
Die Majorität des linken Centrums (19 Stimmen) warf ihr Gewicht gleich¬
falls gegen das Ministerium in die Wagschale.

Wir kommen zu der nationalliberalen Partei. Nach den Eigenthümlich¬
keiten ihrer Zusammensetzung wie nach der Zahl der Stimmen, über welche sie
zu gebieten hat, war vorauszusehen, daß die Entscheidung wesentlich von ihr
abhängen werde. Eine Versöhnung der Gegensätze zwischen dem Altpreußen-
thum und den Interessen der neu erworbenen Staatsgebiete lag ihr am
nächsten. Ihre Glieder hatten sich in dem Bekenntniß zu der deutschen Po¬
litik Preußens zusammengefunden, die Rücksicht auf das glückliche Zustande¬
kommen des Einigungswerks war von ihnen jederzeit als die Hauptricht¬
schnur für die Behandlung aller übrigen Fragen bezeichnet und behandelt
worden; von ihnen ließ sich erwarten, sie würden sofort den allein richtigen
Gesichtspunkt für die Beurtheilung der Provinzialfondsangelegenheit finden
und festhalten. Ganz abgesehen von dem Inhalt der Entscheidung, welche
Kir für die allein richtige halten, lag auf der Hand, daß die nationalliberale
Partei sich derselben unter allen Umständen bemächtigen mußte, schon um
den lange schuldigen Beweis zu sühren, daß sie der Situation gewachsen,
daß sie im Stande sei, die Arbeit zu bewältigen, von welcher thatsächlich die
glückliche Lösung der deutschen Frage, soweit der preußische Landtag für die¬
selbe thätig sein kann, abhängt.

Das Zustandekommen der Bundesverfassung und die Annexion der
eroberten Provinzen war auch von den Conservativen und deren näch¬
sten Nachbarn gewollt worden, — die Fähigkeit zur Verwirklichung dieser
Ziele und zur Beseitigung der aus denselben für Preußen erwachsenden
Schwierigkeiten nahm die nationalliberale Partei, welche die besten Kräfte
der neuen Provinzen an sich gezogen und mit den einsichtigsten Männern
der alten Länder in Verbindung gebracht hatte, für sich in Anspruch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/255>, abgerufen am 24.08.2024.