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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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fcihigkeit des preußischen Staats zu bewähren. Träger dieser Aufgabe mußte
-- wie wir die Dinge ansehen -- die nationalliberale Partei sein und nur
wenn sie dieser Aufgabe gerecht wurde, durfte sie sich rühmen, die äußere Po¬
litik Preußens wirksam unterstützt, ihre Fähigkeit zu künftiger Uebernahme der
Regierung ausgewiesen zu haben. Ob und inwieweit das geschehen ist und
geschehen wird, entscheidet über ihren Werth.

Wenn wir den Gang der Verhandlungen über den hannoverschen Pro-
vinzialfonds, der bedeutendsten aller Fragen über die künftige Organisation
der neuen Provinzen, richtig verstanden haben, so haben die übrigen Land-
tagsparteien den Nationalliberalen Verständniß und Lösung dieser Auf¬
gabe nicht eben schwer gemacht. Die Demokratie, welche sich noch jüngst
"deutsche" Fortschrittspartei nannte, hat ihre Unfähigkeit, mit andern als
den Hilfsmitteln der alten Schablone zu arbeiten, kaum je deutlicher bewiesen,
als in den Debatten vom 4., 3. und 6. Februar dieses Jahres; die Conser-
vativen haben den Standpunkt schroffen Altpreußenthums so unzweideutig
wie möglich behauptet, die Parteien des linken und rechten Centrums sind
außer Stande gewesen, zu der brennenden Frage eine feste Position zu gewin¬
nen. Von mehr wie einer Seite her wurde sogar das wunderliche Auskunfts¬
mittel ergriffen, die hannoversche Provinzialfonds-Angelegenheit für keine po¬
litische zu erklären und diese Auffassung mit dem Umstände zu stützen,
daß in der Mehrzahl der vorhandenen Parteien keine feste Stellung zu der¬
selben genommen worden. Es handele sich -- so wurde vielfach behauptet
um eine bloße Abrechnung zwischen den alten und den neuen Provinzen, bei
welcher die Entscheidung über die juristische Klagbarkeit der hannoverschen An¬
sprüche den Ausschlag gebe, und die Verschiedenheit der Anschauungen über diese
sei nicht politischer, sondern wesentlich juristischer Natur. Eine Angelegenheit,
welche für das Verhältniß des Ministeriums zu den Conservativen entscheidend
geworden, auf diese Weise ihrer politischen Bedeutung entkleiden zu wollen,
scheint uns ein mehr wie waghalsiges Unternehmen zu sein. Nichtsdesto¬
weniger wurde an demselben consequent festgehalten; die bedeutendsten der in
jenen Tagen gehaltenen Reden drehten sich darum, ob der Anspruch Han¬
novers nicht eine rechtliche Zurücksetzung der alten Provinzen bedeute; die
Ministeriellen Wünsche für Anbahnung provinzieller Selbstverwaltung wurden
mit Hinweisen darauf beantwortet, daß das Recht zur Verwendung einer
bestimmten Summe noch nicht mit Verwaltung derselben identisch sei und
der Diest'sche Antrag verlangte in angeblich folgerechter Weiterentwickelung
des ministeriellen Gedankens vor allem eine Vorlage behufs Erweiterung
des den alten Provinzen zustehenden Selbstverwaltungsrechtes. Und doch lag
die Bedeutung dieser Frage ganz wo anders: es handelte sich weder um die
Entscheidung einer stricten Rechts- und Rechnungssache, noch um die Bevor-


fcihigkeit des preußischen Staats zu bewähren. Träger dieser Aufgabe mußte
— wie wir die Dinge ansehen — die nationalliberale Partei sein und nur
wenn sie dieser Aufgabe gerecht wurde, durfte sie sich rühmen, die äußere Po¬
litik Preußens wirksam unterstützt, ihre Fähigkeit zu künftiger Uebernahme der
Regierung ausgewiesen zu haben. Ob und inwieweit das geschehen ist und
geschehen wird, entscheidet über ihren Werth.

Wenn wir den Gang der Verhandlungen über den hannoverschen Pro-
vinzialfonds, der bedeutendsten aller Fragen über die künftige Organisation
der neuen Provinzen, richtig verstanden haben, so haben die übrigen Land-
tagsparteien den Nationalliberalen Verständniß und Lösung dieser Auf¬
gabe nicht eben schwer gemacht. Die Demokratie, welche sich noch jüngst
»deutsche" Fortschrittspartei nannte, hat ihre Unfähigkeit, mit andern als
den Hilfsmitteln der alten Schablone zu arbeiten, kaum je deutlicher bewiesen,
als in den Debatten vom 4., 3. und 6. Februar dieses Jahres; die Conser-
vativen haben den Standpunkt schroffen Altpreußenthums so unzweideutig
wie möglich behauptet, die Parteien des linken und rechten Centrums sind
außer Stande gewesen, zu der brennenden Frage eine feste Position zu gewin¬
nen. Von mehr wie einer Seite her wurde sogar das wunderliche Auskunfts¬
mittel ergriffen, die hannoversche Provinzialfonds-Angelegenheit für keine po¬
litische zu erklären und diese Auffassung mit dem Umstände zu stützen,
daß in der Mehrzahl der vorhandenen Parteien keine feste Stellung zu der¬
selben genommen worden. Es handele sich — so wurde vielfach behauptet
um eine bloße Abrechnung zwischen den alten und den neuen Provinzen, bei
welcher die Entscheidung über die juristische Klagbarkeit der hannoverschen An¬
sprüche den Ausschlag gebe, und die Verschiedenheit der Anschauungen über diese
sei nicht politischer, sondern wesentlich juristischer Natur. Eine Angelegenheit,
welche für das Verhältniß des Ministeriums zu den Conservativen entscheidend
geworden, auf diese Weise ihrer politischen Bedeutung entkleiden zu wollen,
scheint uns ein mehr wie waghalsiges Unternehmen zu sein. Nichtsdesto¬
weniger wurde an demselben consequent festgehalten; die bedeutendsten der in
jenen Tagen gehaltenen Reden drehten sich darum, ob der Anspruch Han¬
novers nicht eine rechtliche Zurücksetzung der alten Provinzen bedeute; die
Ministeriellen Wünsche für Anbahnung provinzieller Selbstverwaltung wurden
mit Hinweisen darauf beantwortet, daß das Recht zur Verwendung einer
bestimmten Summe noch nicht mit Verwaltung derselben identisch sei und
der Diest'sche Antrag verlangte in angeblich folgerechter Weiterentwickelung
des ministeriellen Gedankens vor allem eine Vorlage behufs Erweiterung
des den alten Provinzen zustehenden Selbstverwaltungsrechtes. Und doch lag
die Bedeutung dieser Frage ganz wo anders: es handelte sich weder um die
Entscheidung einer stricten Rechts- und Rechnungssache, noch um die Bevor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/253>, abgerufen am 24.08.2024.