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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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richtige Würdigung eine Menge von staatsmännischen Kenntnissen und Er-
wägungen voraussetzt, die bei gewöhnlichen Juristen nicht zu finden sein
werden, und weil ferner der Gegenstand der Anklage sich schwerlich durch
genaue Vorschriften des positiven Rechtes feststellen läßt, daher dem Gerichte
ein freierer Spielraum gelassen werden muß, der staatsmännische Gewiegtheit
der Mitglieder voraussetzt.

Das Verfahren wird unbedingt der öffentliche Anklageprozeß sein. Das
Haus, welches die Verfolgung beschlossen, würde zwei Ankläger vor den
Staatsgerichtshof bestellen. So wird bekanntlich in England überhaupt bei
Staatsprozessen verfahren, so verfolgten Burke und Fox im Auftrage des
Unterhauses Warren Hastings. Das Urtheil wird endgiltig gesprochen, denn
an welche Instanz sollte man noch appelliren können? Auch statuirt, soviel
uns bekannt, keine Verfassung das Recht der Appellation bei Ministeranklagen,
weil der Gerichtshof von vorn herein die höchste Instanz bildet. Was die
Strafnorm betrifft, so hat nach der amerikanischen Verfassung der Senat als
Gerichtshof zwar über die politische und die strafrechtliche Seite der Klage
zugleich zu erkennen, beschränkt sich aber in dem Urtheile darauf, die Strafe
der Entsetzung und der Amtsunfähigkeit auszusprechen und verweist, wenn
eine weitere Criminalstrafe nothwendig erscheint, die Sache an das Geschwornen¬
gericht. Wir vermögen darin nicht mit Bluntschli II. ibi. eine Vervollkomm¬
nung des Systems überhaupt zu sehen, sondern finden darin nur eine bei
den eigenthümlichen amerikanischen Institutionen zweckmäßige Einrichtung,
weil der zum Urtheil berufene Senat nach seiner Zusammensetzung keine aus¬
reichenden Garantien eines völlig unparteiischen und leidenschaftslosen Spruches
bietet, wogegen nicht abzusehen, weshalb einem im oben ausgeführten Sinne
gebildeten höchsten Gerichte eine ähnliche Beschränkung aufzulegen wäre.
Schwerlich aber wird man verlangen, daß in Ministeranklagen überhaupt
nur auf Entsetzung und Unfähigkeit erkannt werde, denn wenn z. B. ein
Hochverrath vorliegt, so wird ein Minister, welcher denselben begangen, doch
gewiß nicht gelinder bestraft werden sollen, als jeder andere.

Rößler nimmt für das Gericht die Befugniß in Anspruch, auch auf IN'
demnität zu erkennen, d. h. zu erklären, daß die Handlung zwar gesetzwidrig,
aber nicht strafbar sei. Er meint, so gut wie die Factoren, denen dies An¬
klagerecht zustehe, die Indemnität geben dürfen, so gut müsse dem Gerichte,
an dessen Urtheil appellirr wird, dies Recht zustehen, sonst müßte es Hand¬
lungen, welche formell den Gesetzen zuwiderlaufen und doch unzweifelhaft
vom Staatwohl dictirt waren, entweder bestrafen, oder es würde auf den
Weg künstlicher Gesetzesauslegung gedrängt, um die Illegalität wegzuinter-
pretiren. Hingegen aber ist zu bemerken, daß es schon an sich dem Gericht
unbenommen bleibt, den Angeklagten freizusprechen, falls es nach der Aus-


richtige Würdigung eine Menge von staatsmännischen Kenntnissen und Er-
wägungen voraussetzt, die bei gewöhnlichen Juristen nicht zu finden sein
werden, und weil ferner der Gegenstand der Anklage sich schwerlich durch
genaue Vorschriften des positiven Rechtes feststellen läßt, daher dem Gerichte
ein freierer Spielraum gelassen werden muß, der staatsmännische Gewiegtheit
der Mitglieder voraussetzt.

Das Verfahren wird unbedingt der öffentliche Anklageprozeß sein. Das
Haus, welches die Verfolgung beschlossen, würde zwei Ankläger vor den
Staatsgerichtshof bestellen. So wird bekanntlich in England überhaupt bei
Staatsprozessen verfahren, so verfolgten Burke und Fox im Auftrage des
Unterhauses Warren Hastings. Das Urtheil wird endgiltig gesprochen, denn
an welche Instanz sollte man noch appelliren können? Auch statuirt, soviel
uns bekannt, keine Verfassung das Recht der Appellation bei Ministeranklagen,
weil der Gerichtshof von vorn herein die höchste Instanz bildet. Was die
Strafnorm betrifft, so hat nach der amerikanischen Verfassung der Senat als
Gerichtshof zwar über die politische und die strafrechtliche Seite der Klage
zugleich zu erkennen, beschränkt sich aber in dem Urtheile darauf, die Strafe
der Entsetzung und der Amtsunfähigkeit auszusprechen und verweist, wenn
eine weitere Criminalstrafe nothwendig erscheint, die Sache an das Geschwornen¬
gericht. Wir vermögen darin nicht mit Bluntschli II. ibi. eine Vervollkomm¬
nung des Systems überhaupt zu sehen, sondern finden darin nur eine bei
den eigenthümlichen amerikanischen Institutionen zweckmäßige Einrichtung,
weil der zum Urtheil berufene Senat nach seiner Zusammensetzung keine aus¬
reichenden Garantien eines völlig unparteiischen und leidenschaftslosen Spruches
bietet, wogegen nicht abzusehen, weshalb einem im oben ausgeführten Sinne
gebildeten höchsten Gerichte eine ähnliche Beschränkung aufzulegen wäre.
Schwerlich aber wird man verlangen, daß in Ministeranklagen überhaupt
nur auf Entsetzung und Unfähigkeit erkannt werde, denn wenn z. B. ein
Hochverrath vorliegt, so wird ein Minister, welcher denselben begangen, doch
gewiß nicht gelinder bestraft werden sollen, als jeder andere.

Rößler nimmt für das Gericht die Befugniß in Anspruch, auch auf IN'
demnität zu erkennen, d. h. zu erklären, daß die Handlung zwar gesetzwidrig,
aber nicht strafbar sei. Er meint, so gut wie die Factoren, denen dies An¬
klagerecht zustehe, die Indemnität geben dürfen, so gut müsse dem Gerichte,
an dessen Urtheil appellirr wird, dies Recht zustehen, sonst müßte es Hand¬
lungen, welche formell den Gesetzen zuwiderlaufen und doch unzweifelhaft
vom Staatwohl dictirt waren, entweder bestrafen, oder es würde auf den
Weg künstlicher Gesetzesauslegung gedrängt, um die Illegalität wegzuinter-
pretiren. Hingegen aber ist zu bemerken, daß es schon an sich dem Gericht
unbenommen bleibt, den Angeklagten freizusprechen, falls es nach der Aus-


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[0242] richtige Würdigung eine Menge von staatsmännischen Kenntnissen und Er- wägungen voraussetzt, die bei gewöhnlichen Juristen nicht zu finden sein werden, und weil ferner der Gegenstand der Anklage sich schwerlich durch genaue Vorschriften des positiven Rechtes feststellen läßt, daher dem Gerichte ein freierer Spielraum gelassen werden muß, der staatsmännische Gewiegtheit der Mitglieder voraussetzt. Das Verfahren wird unbedingt der öffentliche Anklageprozeß sein. Das Haus, welches die Verfolgung beschlossen, würde zwei Ankläger vor den Staatsgerichtshof bestellen. So wird bekanntlich in England überhaupt bei Staatsprozessen verfahren, so verfolgten Burke und Fox im Auftrage des Unterhauses Warren Hastings. Das Urtheil wird endgiltig gesprochen, denn an welche Instanz sollte man noch appelliren können? Auch statuirt, soviel uns bekannt, keine Verfassung das Recht der Appellation bei Ministeranklagen, weil der Gerichtshof von vorn herein die höchste Instanz bildet. Was die Strafnorm betrifft, so hat nach der amerikanischen Verfassung der Senat als Gerichtshof zwar über die politische und die strafrechtliche Seite der Klage zugleich zu erkennen, beschränkt sich aber in dem Urtheile darauf, die Strafe der Entsetzung und der Amtsunfähigkeit auszusprechen und verweist, wenn eine weitere Criminalstrafe nothwendig erscheint, die Sache an das Geschwornen¬ gericht. Wir vermögen darin nicht mit Bluntschli II. ibi. eine Vervollkomm¬ nung des Systems überhaupt zu sehen, sondern finden darin nur eine bei den eigenthümlichen amerikanischen Institutionen zweckmäßige Einrichtung, weil der zum Urtheil berufene Senat nach seiner Zusammensetzung keine aus¬ reichenden Garantien eines völlig unparteiischen und leidenschaftslosen Spruches bietet, wogegen nicht abzusehen, weshalb einem im oben ausgeführten Sinne gebildeten höchsten Gerichte eine ähnliche Beschränkung aufzulegen wäre. Schwerlich aber wird man verlangen, daß in Ministeranklagen überhaupt nur auf Entsetzung und Unfähigkeit erkannt werde, denn wenn z. B. ein Hochverrath vorliegt, so wird ein Minister, welcher denselben begangen, doch gewiß nicht gelinder bestraft werden sollen, als jeder andere. Rößler nimmt für das Gericht die Befugniß in Anspruch, auch auf IN' demnität zu erkennen, d. h. zu erklären, daß die Handlung zwar gesetzwidrig, aber nicht strafbar sei. Er meint, so gut wie die Factoren, denen dies An¬ klagerecht zustehe, die Indemnität geben dürfen, so gut müsse dem Gerichte, an dessen Urtheil appellirr wird, dies Recht zustehen, sonst müßte es Hand¬ lungen, welche formell den Gesetzen zuwiderlaufen und doch unzweifelhaft vom Staatwohl dictirt waren, entweder bestrafen, oder es würde auf den Weg künstlicher Gesetzesauslegung gedrängt, um die Illegalität wegzuinter- pretiren. Hingegen aber ist zu bemerken, daß es schon an sich dem Gericht unbenommen bleibt, den Angeklagten freizusprechen, falls es nach der Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/242>, abgerufen am 22.07.2024.