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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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sammenfassenden Darstellung bereits genügend vorgearbeitet ist. So konnte
das Bücherwesen des römischen Alterthums, über das wir eine Menge von
Nachrichten und Anschauungen in zahlreichen erhaltenen Büchern und Schreib-
geräthen besitzen, die bereits wiederholt in guten Monographien verwerthet
sind, sehr ausführlich behandelt werden.

Das vorliegende Buch ist wie wenige andere geeignet, uns mit Genug¬
thuung über die Fortschritte unserer Alterthumswissenschaft zu erfüllen. Man
hört auch über die classische Philologie und Alterthumskunde, wie über alle
in lebhafter Entwicklung begriffenen Wissenschaften, häufig die Klage, daß
sie sich mehr und mehr in Specialitäten auflöse, deren Zusammenhang all¬
mählich immer lockerer werde. Zahlreiche Disciplinen, die vor einem halben
Jahrhundert theils noch gar nicht als integrirende Bestandtheile einer um¬
fassenden philologischen Bildung anerkannt wurden, theils keine selbständige
Existenz gewonnen hatten, sind zu Wissenschaften erwachsen, deren völlige
Beherrschung und Durchdringung mehr Kraft absorbirt, als ehemals die
freilich oberflächlichere Orientirung auf sehr viel weiteren Gebieten. Dies
zeigt sich auch im akademischen Unterricht: dasselbe Fach, zu dessen Ver¬
tretung vor fünfzig Jahren ein einziger Docent vollkommen ausreichte,
erfordert bereits drei, vier oder mehr Lehrer, und diese vermögen den
immer wachsenden Unterrichtsstoff kaum zu bewältigen. Wer wollte leugnen,
daß mit der zunehmenden Vertiefung in Einzelnheiten oft die Erhebung zu
allgemeineren Anschauungen schwieriger wird, mit der Virtuosität und Mei¬
sterschaft innerhalb eines beschränkten Gebietes die Einseitigkeit zunimmt,
daß zuweilen die Masse des Stoffs das Streben hemmt, in den Geist der
Erscheinungen des antiken Lebens einzudringen, ja wohl hier und da selbst
das Verlangen danach erstickt.

Außer einer ungewöhnlichen Vielseitigkeit der Studien besitzt der Ver¬
fasser auch in außerordentlichem Grade den nie ermüdenden, liebevollen Fleiß
des Sammlers, der auf dem Gebiete der Alterthumskunde ganz besonders
erfordert wird. Denn hier gilt es, nichts gering zu achten, große Mühe um
kleinen Gewinn nicht zu scheuen, auch die winzigsten und entstelltesten Ueber¬
reste, die sich finden lassen, nicht zu verschmähen. Wer ein unzähligemal
als werthlos bei Seite geworfenes, unscheinbares Fragment immer wieder
zu betrachten und mit andern zusammenzuhalten nicht müde wird, entdeckt
doch oft die Stelle, an der es eingepaßt werden kann, um nun vielleicht eine
lang vermißte, überraschende Ergänzung eines bisher unvollständigen und
darum unverständlichen Ganzen zu bilden. Der Verfasser hat manches bis
zum abschreckenden öde und unerfreuliche Gebiet durchsucht, das bisher die
wenigsten Forscher des römischen Alterthums auch nur betreten haben, da
die meisten es vorzogen, die schon von den Schriftstellern der Thesauren


sammenfassenden Darstellung bereits genügend vorgearbeitet ist. So konnte
das Bücherwesen des römischen Alterthums, über das wir eine Menge von
Nachrichten und Anschauungen in zahlreichen erhaltenen Büchern und Schreib-
geräthen besitzen, die bereits wiederholt in guten Monographien verwerthet
sind, sehr ausführlich behandelt werden.

Das vorliegende Buch ist wie wenige andere geeignet, uns mit Genug¬
thuung über die Fortschritte unserer Alterthumswissenschaft zu erfüllen. Man
hört auch über die classische Philologie und Alterthumskunde, wie über alle
in lebhafter Entwicklung begriffenen Wissenschaften, häufig die Klage, daß
sie sich mehr und mehr in Specialitäten auflöse, deren Zusammenhang all¬
mählich immer lockerer werde. Zahlreiche Disciplinen, die vor einem halben
Jahrhundert theils noch gar nicht als integrirende Bestandtheile einer um¬
fassenden philologischen Bildung anerkannt wurden, theils keine selbständige
Existenz gewonnen hatten, sind zu Wissenschaften erwachsen, deren völlige
Beherrschung und Durchdringung mehr Kraft absorbirt, als ehemals die
freilich oberflächlichere Orientirung auf sehr viel weiteren Gebieten. Dies
zeigt sich auch im akademischen Unterricht: dasselbe Fach, zu dessen Ver¬
tretung vor fünfzig Jahren ein einziger Docent vollkommen ausreichte,
erfordert bereits drei, vier oder mehr Lehrer, und diese vermögen den
immer wachsenden Unterrichtsstoff kaum zu bewältigen. Wer wollte leugnen,
daß mit der zunehmenden Vertiefung in Einzelnheiten oft die Erhebung zu
allgemeineren Anschauungen schwieriger wird, mit der Virtuosität und Mei¬
sterschaft innerhalb eines beschränkten Gebietes die Einseitigkeit zunimmt,
daß zuweilen die Masse des Stoffs das Streben hemmt, in den Geist der
Erscheinungen des antiken Lebens einzudringen, ja wohl hier und da selbst
das Verlangen danach erstickt.

Außer einer ungewöhnlichen Vielseitigkeit der Studien besitzt der Ver¬
fasser auch in außerordentlichem Grade den nie ermüdenden, liebevollen Fleiß
des Sammlers, der auf dem Gebiete der Alterthumskunde ganz besonders
erfordert wird. Denn hier gilt es, nichts gering zu achten, große Mühe um
kleinen Gewinn nicht zu scheuen, auch die winzigsten und entstelltesten Ueber¬
reste, die sich finden lassen, nicht zu verschmähen. Wer ein unzähligemal
als werthlos bei Seite geworfenes, unscheinbares Fragment immer wieder
zu betrachten und mit andern zusammenzuhalten nicht müde wird, entdeckt
doch oft die Stelle, an der es eingepaßt werden kann, um nun vielleicht eine
lang vermißte, überraschende Ergänzung eines bisher unvollständigen und
darum unverständlichen Ganzen zu bilden. Der Verfasser hat manches bis
zum abschreckenden öde und unerfreuliche Gebiet durchsucht, das bisher die
wenigsten Forscher des römischen Alterthums auch nur betreten haben, da
die meisten es vorzogen, die schon von den Schriftstellern der Thesauren


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[0210] sammenfassenden Darstellung bereits genügend vorgearbeitet ist. So konnte das Bücherwesen des römischen Alterthums, über das wir eine Menge von Nachrichten und Anschauungen in zahlreichen erhaltenen Büchern und Schreib- geräthen besitzen, die bereits wiederholt in guten Monographien verwerthet sind, sehr ausführlich behandelt werden. Das vorliegende Buch ist wie wenige andere geeignet, uns mit Genug¬ thuung über die Fortschritte unserer Alterthumswissenschaft zu erfüllen. Man hört auch über die classische Philologie und Alterthumskunde, wie über alle in lebhafter Entwicklung begriffenen Wissenschaften, häufig die Klage, daß sie sich mehr und mehr in Specialitäten auflöse, deren Zusammenhang all¬ mählich immer lockerer werde. Zahlreiche Disciplinen, die vor einem halben Jahrhundert theils noch gar nicht als integrirende Bestandtheile einer um¬ fassenden philologischen Bildung anerkannt wurden, theils keine selbständige Existenz gewonnen hatten, sind zu Wissenschaften erwachsen, deren völlige Beherrschung und Durchdringung mehr Kraft absorbirt, als ehemals die freilich oberflächlichere Orientirung auf sehr viel weiteren Gebieten. Dies zeigt sich auch im akademischen Unterricht: dasselbe Fach, zu dessen Ver¬ tretung vor fünfzig Jahren ein einziger Docent vollkommen ausreichte, erfordert bereits drei, vier oder mehr Lehrer, und diese vermögen den immer wachsenden Unterrichtsstoff kaum zu bewältigen. Wer wollte leugnen, daß mit der zunehmenden Vertiefung in Einzelnheiten oft die Erhebung zu allgemeineren Anschauungen schwieriger wird, mit der Virtuosität und Mei¬ sterschaft innerhalb eines beschränkten Gebietes die Einseitigkeit zunimmt, daß zuweilen die Masse des Stoffs das Streben hemmt, in den Geist der Erscheinungen des antiken Lebens einzudringen, ja wohl hier und da selbst das Verlangen danach erstickt. Außer einer ungewöhnlichen Vielseitigkeit der Studien besitzt der Ver¬ fasser auch in außerordentlichem Grade den nie ermüdenden, liebevollen Fleiß des Sammlers, der auf dem Gebiete der Alterthumskunde ganz besonders erfordert wird. Denn hier gilt es, nichts gering zu achten, große Mühe um kleinen Gewinn nicht zu scheuen, auch die winzigsten und entstelltesten Ueber¬ reste, die sich finden lassen, nicht zu verschmähen. Wer ein unzähligemal als werthlos bei Seite geworfenes, unscheinbares Fragment immer wieder zu betrachten und mit andern zusammenzuhalten nicht müde wird, entdeckt doch oft die Stelle, an der es eingepaßt werden kann, um nun vielleicht eine lang vermißte, überraschende Ergänzung eines bisher unvollständigen und darum unverständlichen Ganzen zu bilden. Der Verfasser hat manches bis zum abschreckenden öde und unerfreuliche Gebiet durchsucht, das bisher die wenigsten Forscher des römischen Alterthums auch nur betreten haben, da die meisten es vorzogen, die schon von den Schriftstellern der Thesauren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/210>, abgerufen am 22.07.2024.