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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Partei oder Coterie?

Als in Preußen und danach in vielen andern deutschen Staaten die
"deutsche Fortschrittspartei" sich bildete, als sie sich in Preußen wieder in
verschiedene Elemente auflöste, da gab es eine Menge naiver Geister und
darunter hervorragende Kammerredner, welche diese Vorgänge für rein par¬
lamentarische hielten. Viele derjenigen, welche am lautesten an die Stimme
des Landes, die Meinung des Volkes appelliren, glauben im Innern ihres
Herzens am wenigsten an die Spontanität derselben. Sie sehen die treibende
Kraft nicht, der sie gehorchen; sie bilden sich ein, vieles gemacht zu haben
oder machen zu können, wobei sie nur sehr blinde Werkzeuge waren oder
sind. Einzelne unwesentliche Nuancen und künstliche Combinationen abgerech¬
net, welche meistens nur die Uebergänge zu vermitteln oder die Gegensätze
Momentan abzustumpfen bestimmt sind, stellen die bestehenden Parteien sehr
markirte Richtungen im Volke dar, und die Evolutionen der Kammerparteien,
welche scheinbar auf gewisse persönliche Einflüsse zurückzuführen sind, spie¬
geln in der Regel eine tiefere Entwickelung des politischen Gedankens im
Volke selbst ab. Nur mit dem Vorbehalte, daß das technische Wesen der
Partei an sich auf gewissen Bedingungen und Voraussetzungen beruht, welche
das darzustellende Bild zeitweise trüben, oft sogar für kurze Zwischenräume
fälschen.

Zu diesen Voraussetzungen gehört vor allen Dingen, daß jede Partei
aus einer Vermittelung mannigfacher individueller Ansichten hervorgeht.
Nur die ganz schwachen Köpfe, welche ein Programm, ein System auswendig
lernen, um das mühselige Selbstdenken auf ewig zu sparen und alle neu
auftauchenden Fragen nach vorgefundenen Formeln flugs zu beantworten,
befriedigen sich rückhaltlos mit einer fertigen Parteibildung; die selbständig
Denkenden sind genöthigt, mit einiger Ueberwindung sich derjenigen Partei
anzuschließen, deren Gesammtrichtung ihren persönlichen Anschauungen an¬
nähernd am besten entspricht. Die Fortschritte ihrer individuellen Bildung
Müssen alsdann zur Mehrung des geistigen Capitals der Partei beitragen.
Gerade diese Art von Einwirkung bringt sie folgerichtig in Widerstreit mit


Gmizbottn l. 18"8. ' 21
Partei oder Coterie?

Als in Preußen und danach in vielen andern deutschen Staaten die
„deutsche Fortschrittspartei" sich bildete, als sie sich in Preußen wieder in
verschiedene Elemente auflöste, da gab es eine Menge naiver Geister und
darunter hervorragende Kammerredner, welche diese Vorgänge für rein par¬
lamentarische hielten. Viele derjenigen, welche am lautesten an die Stimme
des Landes, die Meinung des Volkes appelliren, glauben im Innern ihres
Herzens am wenigsten an die Spontanität derselben. Sie sehen die treibende
Kraft nicht, der sie gehorchen; sie bilden sich ein, vieles gemacht zu haben
oder machen zu können, wobei sie nur sehr blinde Werkzeuge waren oder
sind. Einzelne unwesentliche Nuancen und künstliche Combinationen abgerech¬
net, welche meistens nur die Uebergänge zu vermitteln oder die Gegensätze
Momentan abzustumpfen bestimmt sind, stellen die bestehenden Parteien sehr
markirte Richtungen im Volke dar, und die Evolutionen der Kammerparteien,
welche scheinbar auf gewisse persönliche Einflüsse zurückzuführen sind, spie¬
geln in der Regel eine tiefere Entwickelung des politischen Gedankens im
Volke selbst ab. Nur mit dem Vorbehalte, daß das technische Wesen der
Partei an sich auf gewissen Bedingungen und Voraussetzungen beruht, welche
das darzustellende Bild zeitweise trüben, oft sogar für kurze Zwischenräume
fälschen.

Zu diesen Voraussetzungen gehört vor allen Dingen, daß jede Partei
aus einer Vermittelung mannigfacher individueller Ansichten hervorgeht.
Nur die ganz schwachen Köpfe, welche ein Programm, ein System auswendig
lernen, um das mühselige Selbstdenken auf ewig zu sparen und alle neu
auftauchenden Fragen nach vorgefundenen Formeln flugs zu beantworten,
befriedigen sich rückhaltlos mit einer fertigen Parteibildung; die selbständig
Denkenden sind genöthigt, mit einiger Ueberwindung sich derjenigen Partei
anzuschließen, deren Gesammtrichtung ihren persönlichen Anschauungen an¬
nähernd am besten entspricht. Die Fortschritte ihrer individuellen Bildung
Müssen alsdann zur Mehrung des geistigen Capitals der Partei beitragen.
Gerade diese Art von Einwirkung bringt sie folgerichtig in Widerstreit mit


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[0169] Partei oder Coterie? Als in Preußen und danach in vielen andern deutschen Staaten die „deutsche Fortschrittspartei" sich bildete, als sie sich in Preußen wieder in verschiedene Elemente auflöste, da gab es eine Menge naiver Geister und darunter hervorragende Kammerredner, welche diese Vorgänge für rein par¬ lamentarische hielten. Viele derjenigen, welche am lautesten an die Stimme des Landes, die Meinung des Volkes appelliren, glauben im Innern ihres Herzens am wenigsten an die Spontanität derselben. Sie sehen die treibende Kraft nicht, der sie gehorchen; sie bilden sich ein, vieles gemacht zu haben oder machen zu können, wobei sie nur sehr blinde Werkzeuge waren oder sind. Einzelne unwesentliche Nuancen und künstliche Combinationen abgerech¬ net, welche meistens nur die Uebergänge zu vermitteln oder die Gegensätze Momentan abzustumpfen bestimmt sind, stellen die bestehenden Parteien sehr markirte Richtungen im Volke dar, und die Evolutionen der Kammerparteien, welche scheinbar auf gewisse persönliche Einflüsse zurückzuführen sind, spie¬ geln in der Regel eine tiefere Entwickelung des politischen Gedankens im Volke selbst ab. Nur mit dem Vorbehalte, daß das technische Wesen der Partei an sich auf gewissen Bedingungen und Voraussetzungen beruht, welche das darzustellende Bild zeitweise trüben, oft sogar für kurze Zwischenräume fälschen. Zu diesen Voraussetzungen gehört vor allen Dingen, daß jede Partei aus einer Vermittelung mannigfacher individueller Ansichten hervorgeht. Nur die ganz schwachen Köpfe, welche ein Programm, ein System auswendig lernen, um das mühselige Selbstdenken auf ewig zu sparen und alle neu auftauchenden Fragen nach vorgefundenen Formeln flugs zu beantworten, befriedigen sich rückhaltlos mit einer fertigen Parteibildung; die selbständig Denkenden sind genöthigt, mit einiger Ueberwindung sich derjenigen Partei anzuschließen, deren Gesammtrichtung ihren persönlichen Anschauungen an¬ nähernd am besten entspricht. Die Fortschritte ihrer individuellen Bildung Müssen alsdann zur Mehrung des geistigen Capitals der Partei beitragen. Gerade diese Art von Einwirkung bringt sie folgerichtig in Widerstreit mit Gmizbottn l. 18«8. ' 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/169>, abgerufen am 26.08.2024.