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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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ist nicht nur überhaupt hergestellt, sondern durch Gewalt der Waffen herge¬
stellt. Aeußere Verwicklungen oder innere Ereignisse können den natürlichen
Lauf der Dinge beschleunigen oder aufhalten. Ein äußerer Krieg kann aus¬
brechen und jeden die Herrschaft des preußischen Systems setzt noch einiger¬
maßen hemmenden Widerstand schweigen machen. Es kann ein Revolutions¬
wind über Deutschland wehen, es kann der König von Preußen, wenn er
nach einander alle Parteien benutzt hat, ohne einer einzigen Vertrauen einzu¬
flößen, eines Tags die Erfahrung machen, daß er sich am höchsten erhebt,
wenn er mit eigenen Händen die natürlichen Stützen seines Thrones wieder
hervorsucht. Wenn dagegen auf den Sturm von Sadowa eine längere Ruhe
folgt, so darf man jetzt schon voraussehen, wie inmitten der Umbildung
Deutschlands die liberalen Ideen erwachen, ihre alten Vertheidiger wieder¬
finden, neue sammeln und gegen das Ueberströmen des Cäsarismus über
Centraleuropa ankämpfen. Ja wer weiß, ob sie, bei günstigem Volkswinde,
nicht eines Tages Herrn v. Bismarck selbst unter ihre eifrigsten Diener zäh¬
len werden.

Wie dem auch sei, eine völlig ungewisse Zukunft läßt sich heutzutage
nicht durchschauen; aber unsere Rolle ist niemals die jener blinden Bewun¬
derer des Erfolgs gewesen, die ihn nur vorauszusehen streben, um ihn von
weitem anzubeten. Müssen wir uns, angesichts einer so tiefen Umwälzung,
wie diejenige, über welche Deutschland in diesem Augenblicke hinwegschreitet,
nicht, ohne mit der Lichtung des Dunkels künftiger Möglichkeiten oder mit
dem Bedauern einer unwiederbringlichen Vergangenheit Zeit und Mühe zu
verschwenden, lieber an billige Beurtheilung der Gegenwart halten? Vielleicht
vermögen wir sogar von jetzt an zu erkennen, wohin sich unsere Sympathien
zu wenden haben, sowohl als Franzosen, wie als Liberale, und ich möchte
wohl auch sagen, als aufrichtige Freunde Deutschlands-




ist nicht nur überhaupt hergestellt, sondern durch Gewalt der Waffen herge¬
stellt. Aeußere Verwicklungen oder innere Ereignisse können den natürlichen
Lauf der Dinge beschleunigen oder aufhalten. Ein äußerer Krieg kann aus¬
brechen und jeden die Herrschaft des preußischen Systems setzt noch einiger¬
maßen hemmenden Widerstand schweigen machen. Es kann ein Revolutions¬
wind über Deutschland wehen, es kann der König von Preußen, wenn er
nach einander alle Parteien benutzt hat, ohne einer einzigen Vertrauen einzu¬
flößen, eines Tags die Erfahrung machen, daß er sich am höchsten erhebt,
wenn er mit eigenen Händen die natürlichen Stützen seines Thrones wieder
hervorsucht. Wenn dagegen auf den Sturm von Sadowa eine längere Ruhe
folgt, so darf man jetzt schon voraussehen, wie inmitten der Umbildung
Deutschlands die liberalen Ideen erwachen, ihre alten Vertheidiger wieder¬
finden, neue sammeln und gegen das Ueberströmen des Cäsarismus über
Centraleuropa ankämpfen. Ja wer weiß, ob sie, bei günstigem Volkswinde,
nicht eines Tages Herrn v. Bismarck selbst unter ihre eifrigsten Diener zäh¬
len werden.

Wie dem auch sei, eine völlig ungewisse Zukunft läßt sich heutzutage
nicht durchschauen; aber unsere Rolle ist niemals die jener blinden Bewun¬
derer des Erfolgs gewesen, die ihn nur vorauszusehen streben, um ihn von
weitem anzubeten. Müssen wir uns, angesichts einer so tiefen Umwälzung,
wie diejenige, über welche Deutschland in diesem Augenblicke hinwegschreitet,
nicht, ohne mit der Lichtung des Dunkels künftiger Möglichkeiten oder mit
dem Bedauern einer unwiederbringlichen Vergangenheit Zeit und Mühe zu
verschwenden, lieber an billige Beurtheilung der Gegenwart halten? Vielleicht
vermögen wir sogar von jetzt an zu erkennen, wohin sich unsere Sympathien
zu wenden haben, sowohl als Franzosen, wie als Liberale, und ich möchte
wohl auch sagen, als aufrichtige Freunde Deutschlands-




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[0141] ist nicht nur überhaupt hergestellt, sondern durch Gewalt der Waffen herge¬ stellt. Aeußere Verwicklungen oder innere Ereignisse können den natürlichen Lauf der Dinge beschleunigen oder aufhalten. Ein äußerer Krieg kann aus¬ brechen und jeden die Herrschaft des preußischen Systems setzt noch einiger¬ maßen hemmenden Widerstand schweigen machen. Es kann ein Revolutions¬ wind über Deutschland wehen, es kann der König von Preußen, wenn er nach einander alle Parteien benutzt hat, ohne einer einzigen Vertrauen einzu¬ flößen, eines Tags die Erfahrung machen, daß er sich am höchsten erhebt, wenn er mit eigenen Händen die natürlichen Stützen seines Thrones wieder hervorsucht. Wenn dagegen auf den Sturm von Sadowa eine längere Ruhe folgt, so darf man jetzt schon voraussehen, wie inmitten der Umbildung Deutschlands die liberalen Ideen erwachen, ihre alten Vertheidiger wieder¬ finden, neue sammeln und gegen das Ueberströmen des Cäsarismus über Centraleuropa ankämpfen. Ja wer weiß, ob sie, bei günstigem Volkswinde, nicht eines Tages Herrn v. Bismarck selbst unter ihre eifrigsten Diener zäh¬ len werden. Wie dem auch sei, eine völlig ungewisse Zukunft läßt sich heutzutage nicht durchschauen; aber unsere Rolle ist niemals die jener blinden Bewun¬ derer des Erfolgs gewesen, die ihn nur vorauszusehen streben, um ihn von weitem anzubeten. Müssen wir uns, angesichts einer so tiefen Umwälzung, wie diejenige, über welche Deutschland in diesem Augenblicke hinwegschreitet, nicht, ohne mit der Lichtung des Dunkels künftiger Möglichkeiten oder mit dem Bedauern einer unwiederbringlichen Vergangenheit Zeit und Mühe zu verschwenden, lieber an billige Beurtheilung der Gegenwart halten? Vielleicht vermögen wir sogar von jetzt an zu erkennen, wohin sich unsere Sympathien zu wenden haben, sowohl als Franzosen, wie als Liberale, und ich möchte wohl auch sagen, als aufrichtige Freunde Deutschlands-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/141>, abgerufen am 05.02.2025.