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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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oder Radschputen, denen für unehrlich gelten würde, hinter dem Pfluge her¬
zugehen oder Sohlen zu schneiden. Bis zuletzt nach Jahrhunderten so ziem¬
lich das ganze Volk aus Gentlemen in Lumpen bestehen müßte.

Da aber Niemand an eine solche conseguente Verleihung des Adels
denkt, was soll dann die fortgesetzte Scheidung der Staatsbürger in zwei
Kategorien, welche als Kaufleute, Gutsbesitzer, Offiziere, Beamte in glei¬
cher Thätigkeit neben einander stehen? Ist für die Geadelten der Adel irgend
etwas, ein Mittel, besser Carriere zu machen, mit höher Stehenden auf
gleichem Fuß zu verkehren, ein wirklicher Schmuck und eine Erhebung ihres
Lebens, so wird bei dem besten Herzen und der größten Billigkeit ihrer
Berufsgenossen von diesen die Bevorzugung Einzelner immer als ein Un¬
recht gegen alle Uebrigen empfunden werden. Und eine Verleihung des
Adels wird die Mehrzahl der nicht Nichtgeadelten selbst in dem Falle de¬
müthigen und benachtheiligen, wenn der Adel nur wirklichem persönlichem
Verdienst und nur auf Lebenszeit verliehen würde; wir wissen, daß dies
nicht der Fall ist.

Alles Leben und Gedeihen des modernen Staates beruht darauf, daß
neue Familienkraft reichlich und unablässig aus den kleinen Kreisen mensch¬
licher Thätigkeit emporringe und ohne jedes Hinderniß für jeden Zweck des
Staates nutzbar gemacht wird. Der Staat als solcher darf nichts dazu
thun, um träge, schwache und untüchtige Familien in anspruchsvoller und
geschützter Stellung zu conserviren und dadurch frischer Menschenkraft Raum
und Luft zu verengen. Wenn eine Familie der naturgemäßen Neigung
folgt, ihre Angehörigen durch gesetzliche Mittel des Privatrechts, im Be¬
sitz von Land oder Vermögen auf mehrere Geschlechter zu erhalten, so ist
das ihre Sache, der Staat wird solche conservirte Familienkraft zu gebrauchen
wissen, soweit sie seinem Interesse dient. Wenn unser alter Adel in der
Erinnerung an angesehene Vorfahren eine ihm vorzugsweise fließende Quelle
von politischer Zucht und Sittlichkeit, von treuer Hingabe an den Staat
und von edlem Selbstgefühl gegenüber Russen und Franzosen findet, so würde
dies allerdings ein Gewinn für den Staat, auch Freude und Gewinn für
die Nation werden. Niemand wird zu behaupten wagen, daß ein Adelsbrief,
der jetzt erlangt wird, solche wohlthätige Wirkungen habe, er mag weichen
und schwachen Empfindungen des Individuums wohlthun, er ist aber nichts
weniger als Beweis eines gesunden Kraftgefühls, und wir leugnen deshalb
sehr entschieden, daß er die Kraft und politische Sittlichkeit der nächsten Ge¬
ratenen des Geadelten zum Vortheil für den Staat steigern werde.

Und um endlich das Allbekannte mit groben Worten zu sagen, wir
Deutsche haben allen Respect vor einem wackern Edelmann, und gönnen
ihm herzlich gern seine Ehren und Titel. Aber wir sehen nicht, und wir


oder Radschputen, denen für unehrlich gelten würde, hinter dem Pfluge her¬
zugehen oder Sohlen zu schneiden. Bis zuletzt nach Jahrhunderten so ziem¬
lich das ganze Volk aus Gentlemen in Lumpen bestehen müßte.

Da aber Niemand an eine solche conseguente Verleihung des Adels
denkt, was soll dann die fortgesetzte Scheidung der Staatsbürger in zwei
Kategorien, welche als Kaufleute, Gutsbesitzer, Offiziere, Beamte in glei¬
cher Thätigkeit neben einander stehen? Ist für die Geadelten der Adel irgend
etwas, ein Mittel, besser Carriere zu machen, mit höher Stehenden auf
gleichem Fuß zu verkehren, ein wirklicher Schmuck und eine Erhebung ihres
Lebens, so wird bei dem besten Herzen und der größten Billigkeit ihrer
Berufsgenossen von diesen die Bevorzugung Einzelner immer als ein Un¬
recht gegen alle Uebrigen empfunden werden. Und eine Verleihung des
Adels wird die Mehrzahl der nicht Nichtgeadelten selbst in dem Falle de¬
müthigen und benachtheiligen, wenn der Adel nur wirklichem persönlichem
Verdienst und nur auf Lebenszeit verliehen würde; wir wissen, daß dies
nicht der Fall ist.

Alles Leben und Gedeihen des modernen Staates beruht darauf, daß
neue Familienkraft reichlich und unablässig aus den kleinen Kreisen mensch¬
licher Thätigkeit emporringe und ohne jedes Hinderniß für jeden Zweck des
Staates nutzbar gemacht wird. Der Staat als solcher darf nichts dazu
thun, um träge, schwache und untüchtige Familien in anspruchsvoller und
geschützter Stellung zu conserviren und dadurch frischer Menschenkraft Raum
und Luft zu verengen. Wenn eine Familie der naturgemäßen Neigung
folgt, ihre Angehörigen durch gesetzliche Mittel des Privatrechts, im Be¬
sitz von Land oder Vermögen auf mehrere Geschlechter zu erhalten, so ist
das ihre Sache, der Staat wird solche conservirte Familienkraft zu gebrauchen
wissen, soweit sie seinem Interesse dient. Wenn unser alter Adel in der
Erinnerung an angesehene Vorfahren eine ihm vorzugsweise fließende Quelle
von politischer Zucht und Sittlichkeit, von treuer Hingabe an den Staat
und von edlem Selbstgefühl gegenüber Russen und Franzosen findet, so würde
dies allerdings ein Gewinn für den Staat, auch Freude und Gewinn für
die Nation werden. Niemand wird zu behaupten wagen, daß ein Adelsbrief,
der jetzt erlangt wird, solche wohlthätige Wirkungen habe, er mag weichen
und schwachen Empfindungen des Individuums wohlthun, er ist aber nichts
weniger als Beweis eines gesunden Kraftgefühls, und wir leugnen deshalb
sehr entschieden, daß er die Kraft und politische Sittlichkeit der nächsten Ge¬
ratenen des Geadelten zum Vortheil für den Staat steigern werde.

Und um endlich das Allbekannte mit groben Worten zu sagen, wir
Deutsche haben allen Respect vor einem wackern Edelmann, und gönnen
ihm herzlich gern seine Ehren und Titel. Aber wir sehen nicht, und wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/14>, abgerufen am 22.07.2024.