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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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aber ebenso wichtig gewesen, wie die, welche ihm folgten. Noch in den letzten
Tagen des alten Jahres entschied sichs, daß jene Conferenz über die römisch-
italienische Frage, welche durch die Herbstmonate die diplomatische Welt be¬
schäftigt hatte, das Geschick all' der verwandten Unternehmungen ihres Ur¬
hebers theilen und begraben werden sollte, ehe sie geboren worden, und diese
Entscheidung fiel mit der zusammen, welche das vorxs IsMlatik über die
römische Angelegenheit fällte und welche wiederum einen Ministerwechsel in
Italien nach sich zog. Noch bevor der gesetzgebende Körper seine Verhand¬
lungen über die auswärtigen Fragen beschlossen hatte und zu den De¬
batten über die Neugestaltung der französischen Armee übergegangen war,
unterbrach die laute und entschiedene Sprache des "Russischen Invali¬
den" das Schweigen, mit welchem die Diplomatie bis dahin die orienta¬
lischen Dinge bedeckt hatte; und die politischen Gegensätze, welche die
vier continentalen Großmächte- das vergangene Jahr über in zwei ein¬
ander gegenüber stehende Lager getrennt haben, wurden am Schluß des¬
selben noch einmal mit ihren wirklichen Namen genannt. In den ersten
Tagen des neuen Jahres traten die preußischen Gesandten ihre Functionen
als Vertreter des norddeutschen Bundes bei den Höfen der Großmächte an
und beendete der k. k. Reichskanzler v. Beust das Werk der Reconstruction
Oestreichs durch Jnstallirung eines liberal-cisleithanischen Ministeriums. Be¬
gleitet wurden diese Vorgänge, namentlich soweit sie sich auf Frankreich be¬
zogen, von dem ängstlichen Mißtrauen der Börse und eines großen Theils
der Presse.

Dieses Mißtrauen ist, wie wir glauben möchten, nicht ganz grundlos
gewesen. Auch wenn man von dem eigenthümlichen Geist absieht, in welchem
die Verhandlungen über das neue französische Wehrgesetz geführt worden sind,
und wenn man den Pessimismus derer nicht theilt, welche in dem Theater-
scandal der ?ordo Le. nardi" und dem Pöbelexceß vor dem VIMeau ä'Kau
bereits Vorläufer eines pariser Volksaufstandes sehen, wird man Gedanken
darüber, daß sich in Frankreich etwas Unerwartetes vorbereitet, kaum aus
dem Wege gehen. Dem äußern Anscheine nach hat die Nordd. Allg. Ztg.
allerdings Grund gehabt, die Signatur des neuen Jahres eine friedliche zu
nennen. Daß der Eintritt der deutschen Südstaaten in den Nordbund die
französische Regierung zu einem plötzlichen Entschluß drängen werde, ist, wie
die Dinge zur Zeit liegen, kaum anzunehmen; daß man in Paris Neigung
verspüre, der orientalischen Frage zu Leibe zu gehen, scheint nach der fried¬
lichen Haltung der officiösen Presse gleichfalls wenig wahrscheinlich. Auch
in Italien gewinnt eine ruhigere Auffassung der Verhältnisse die Oberhand,
und wenn sich aus mangelnder Veranlassung zu einem Conflict auf eine fried¬
liche Zukunft schließen ließe, so könnte mit einiger Sicherheit auf eine solche


aber ebenso wichtig gewesen, wie die, welche ihm folgten. Noch in den letzten
Tagen des alten Jahres entschied sichs, daß jene Conferenz über die römisch-
italienische Frage, welche durch die Herbstmonate die diplomatische Welt be¬
schäftigt hatte, das Geschick all' der verwandten Unternehmungen ihres Ur¬
hebers theilen und begraben werden sollte, ehe sie geboren worden, und diese
Entscheidung fiel mit der zusammen, welche das vorxs IsMlatik über die
römische Angelegenheit fällte und welche wiederum einen Ministerwechsel in
Italien nach sich zog. Noch bevor der gesetzgebende Körper seine Verhand¬
lungen über die auswärtigen Fragen beschlossen hatte und zu den De¬
batten über die Neugestaltung der französischen Armee übergegangen war,
unterbrach die laute und entschiedene Sprache des „Russischen Invali¬
den" das Schweigen, mit welchem die Diplomatie bis dahin die orienta¬
lischen Dinge bedeckt hatte; und die politischen Gegensätze, welche die
vier continentalen Großmächte- das vergangene Jahr über in zwei ein¬
ander gegenüber stehende Lager getrennt haben, wurden am Schluß des¬
selben noch einmal mit ihren wirklichen Namen genannt. In den ersten
Tagen des neuen Jahres traten die preußischen Gesandten ihre Functionen
als Vertreter des norddeutschen Bundes bei den Höfen der Großmächte an
und beendete der k. k. Reichskanzler v. Beust das Werk der Reconstruction
Oestreichs durch Jnstallirung eines liberal-cisleithanischen Ministeriums. Be¬
gleitet wurden diese Vorgänge, namentlich soweit sie sich auf Frankreich be¬
zogen, von dem ängstlichen Mißtrauen der Börse und eines großen Theils
der Presse.

Dieses Mißtrauen ist, wie wir glauben möchten, nicht ganz grundlos
gewesen. Auch wenn man von dem eigenthümlichen Geist absieht, in welchem
die Verhandlungen über das neue französische Wehrgesetz geführt worden sind,
und wenn man den Pessimismus derer nicht theilt, welche in dem Theater-
scandal der ?ordo Le. nardi» und dem Pöbelexceß vor dem VIMeau ä'Kau
bereits Vorläufer eines pariser Volksaufstandes sehen, wird man Gedanken
darüber, daß sich in Frankreich etwas Unerwartetes vorbereitet, kaum aus
dem Wege gehen. Dem äußern Anscheine nach hat die Nordd. Allg. Ztg.
allerdings Grund gehabt, die Signatur des neuen Jahres eine friedliche zu
nennen. Daß der Eintritt der deutschen Südstaaten in den Nordbund die
französische Regierung zu einem plötzlichen Entschluß drängen werde, ist, wie
die Dinge zur Zeit liegen, kaum anzunehmen; daß man in Paris Neigung
verspüre, der orientalischen Frage zu Leibe zu gehen, scheint nach der fried¬
lichen Haltung der officiösen Presse gleichfalls wenig wahrscheinlich. Auch
in Italien gewinnt eine ruhigere Auffassung der Verhältnisse die Oberhand,
und wenn sich aus mangelnder Veranlassung zu einem Conflict auf eine fried¬
liche Zukunft schließen ließe, so könnte mit einiger Sicherheit auf eine solche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/122>, abgerufen am 24.08.2024.