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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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letzte Wohnhaus in Wölsdorf wurde von seinem Eigenthümer Georg Heinrich
Bock (gestorben im Juli dieses Jahres) und dessen bejahrten Vater 1806 be-
wohnt. Es liegt in dem dazu gehörigen geräumigen Garten, der heraus an
die Straße stößt. Die mir schon Vorher bekannte Familie Bock sah von den
Fenstern ihrer Wohnung aus in deren Nähe in dem Garten den Prinzen mit
seinen Adjutanten halten und hörte ihn von dort aus Befehle geben. Dort
wurde ihm das Pferd, auf dem er saß, todt geschossen. Schnell bestieg er ein
anderes Pferd; aber der ihn immer näher und stärker umgebende Druck des
Feindes nöthigte ihn, den Garten zu verlassen und über die Straße in den
Hohlweg zu reiten, der rechts ab, nach den Haidenbergen zu, an die Saale und
über diese nach Prcilipp führt. Rechts in jener Hohle befindet sich eine an den
Meisten Stellen senkrechte Lehmwand. Auf dieser stand unten, nahe am Aus¬
gangs der Hohle, ein verwitterter EichenstumMel, von welchem einige Wurzeln
an der Wand herunter, halb von dieser eingehüllt, halb zu Tage liegend, unten
in die Erde gewachsen waren. Die Höhe der Lehmwand beträgt dort 8 Fuß
Auf jenem Punkte sah sich der Prinz rechts von der Lehmwand, von links und
von vorn von mehreren andrängenden französischen Reitern umschlossen und
zum Gefecht genöthigt. Sein Adjutant von Klitzing war in jenem Ge>
dränge von dem Prinzen abgesperrt und auf den herandrängenden Feind ge¬
worfen worden. Nur seine Tapferkeit und sein gutes Pferd konnten ihn von
Gefangenschaft oder eigenem Tode retten".

"Am Morgen des 11. October, wo die Plünderung noch in den Straßen
der Stadt wüthete und kein Dienstmädchen über die Straße geschickt werden
konnte, erhielt ich von meinem Vater die Ordre, das nöthige Salz in unsere
Küche zu schaffen. Sofort begab ich mich in das Haus des Salzkrämers
Peter Franke in der Schloßgasse. In der Frankeschen Wohnstube traf ich den
Franke und dessen Einquartierung, einen französischen Reiter, der zu den leich¬
ten Dragonern gehörte. Corporal war und einen geraden Säbel trug. Franke
sagte mir: "Das ist der, welcher gestern den Prinzen erstochen hat; er will mir
etwas sagen oder von mir etwas haben, aber er kann kein deutsches Wort
reden." Ich fragte ihn in seiner Sprache, was ihm gefällig sei. Hierüber
hoch erfreut, sagte er mir, daß er die Stelle, auf welcher er gestern mit dem
Prinzen gekämpft, näher zu betrachten wünsche, doch befürchte er ohne Führer
den Weg zu verfehlen. Dankbar nahm er mein Anerbieten, ihn zu begleiten,
an, und ich ging nun mit ihm, nachdem Franke die Beförderung meines Salzes
übernommen hatte, auf dem nächsten Wege über Graba nach Wölsdorf zu.
Er erzählte mir von der gestrigen Affaire, von der Tapferkeit und Unbesiegbar¬
keit der großen Nation und dergl. in. Als wir an den Bockschen Garten
kamen, betrachtete er denselben aufmerksam. Er ging in den Hohlweg. Nahe
an dessen Ausgange bei dem auf der Lehmwand rechts stehenden Eichstummel


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letzte Wohnhaus in Wölsdorf wurde von seinem Eigenthümer Georg Heinrich
Bock (gestorben im Juli dieses Jahres) und dessen bejahrten Vater 1806 be-
wohnt. Es liegt in dem dazu gehörigen geräumigen Garten, der heraus an
die Straße stößt. Die mir schon Vorher bekannte Familie Bock sah von den
Fenstern ihrer Wohnung aus in deren Nähe in dem Garten den Prinzen mit
seinen Adjutanten halten und hörte ihn von dort aus Befehle geben. Dort
wurde ihm das Pferd, auf dem er saß, todt geschossen. Schnell bestieg er ein
anderes Pferd; aber der ihn immer näher und stärker umgebende Druck des
Feindes nöthigte ihn, den Garten zu verlassen und über die Straße in den
Hohlweg zu reiten, der rechts ab, nach den Haidenbergen zu, an die Saale und
über diese nach Prcilipp führt. Rechts in jener Hohle befindet sich eine an den
Meisten Stellen senkrechte Lehmwand. Auf dieser stand unten, nahe am Aus¬
gangs der Hohle, ein verwitterter EichenstumMel, von welchem einige Wurzeln
an der Wand herunter, halb von dieser eingehüllt, halb zu Tage liegend, unten
in die Erde gewachsen waren. Die Höhe der Lehmwand beträgt dort 8 Fuß
Auf jenem Punkte sah sich der Prinz rechts von der Lehmwand, von links und
von vorn von mehreren andrängenden französischen Reitern umschlossen und
zum Gefecht genöthigt. Sein Adjutant von Klitzing war in jenem Ge>
dränge von dem Prinzen abgesperrt und auf den herandrängenden Feind ge¬
worfen worden. Nur seine Tapferkeit und sein gutes Pferd konnten ihn von
Gefangenschaft oder eigenem Tode retten".

„Am Morgen des 11. October, wo die Plünderung noch in den Straßen
der Stadt wüthete und kein Dienstmädchen über die Straße geschickt werden
konnte, erhielt ich von meinem Vater die Ordre, das nöthige Salz in unsere
Küche zu schaffen. Sofort begab ich mich in das Haus des Salzkrämers
Peter Franke in der Schloßgasse. In der Frankeschen Wohnstube traf ich den
Franke und dessen Einquartierung, einen französischen Reiter, der zu den leich¬
ten Dragonern gehörte. Corporal war und einen geraden Säbel trug. Franke
sagte mir: „Das ist der, welcher gestern den Prinzen erstochen hat; er will mir
etwas sagen oder von mir etwas haben, aber er kann kein deutsches Wort
reden." Ich fragte ihn in seiner Sprache, was ihm gefällig sei. Hierüber
hoch erfreut, sagte er mir, daß er die Stelle, auf welcher er gestern mit dem
Prinzen gekämpft, näher zu betrachten wünsche, doch befürchte er ohne Führer
den Weg zu verfehlen. Dankbar nahm er mein Anerbieten, ihn zu begleiten,
an, und ich ging nun mit ihm, nachdem Franke die Beförderung meines Salzes
übernommen hatte, auf dem nächsten Wege über Graba nach Wölsdorf zu.
Er erzählte mir von der gestrigen Affaire, von der Tapferkeit und Unbesiegbar¬
keit der großen Nation und dergl. in. Als wir an den Bockschen Garten
kamen, betrachtete er denselben aufmerksam. Er ging in den Hohlweg. Nahe
an dessen Ausgange bei dem auf der Lehmwand rechts stehenden Eichstummel


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[0095] letzte Wohnhaus in Wölsdorf wurde von seinem Eigenthümer Georg Heinrich Bock (gestorben im Juli dieses Jahres) und dessen bejahrten Vater 1806 be- wohnt. Es liegt in dem dazu gehörigen geräumigen Garten, der heraus an die Straße stößt. Die mir schon Vorher bekannte Familie Bock sah von den Fenstern ihrer Wohnung aus in deren Nähe in dem Garten den Prinzen mit seinen Adjutanten halten und hörte ihn von dort aus Befehle geben. Dort wurde ihm das Pferd, auf dem er saß, todt geschossen. Schnell bestieg er ein anderes Pferd; aber der ihn immer näher und stärker umgebende Druck des Feindes nöthigte ihn, den Garten zu verlassen und über die Straße in den Hohlweg zu reiten, der rechts ab, nach den Haidenbergen zu, an die Saale und über diese nach Prcilipp führt. Rechts in jener Hohle befindet sich eine an den Meisten Stellen senkrechte Lehmwand. Auf dieser stand unten, nahe am Aus¬ gangs der Hohle, ein verwitterter EichenstumMel, von welchem einige Wurzeln an der Wand herunter, halb von dieser eingehüllt, halb zu Tage liegend, unten in die Erde gewachsen waren. Die Höhe der Lehmwand beträgt dort 8 Fuß Auf jenem Punkte sah sich der Prinz rechts von der Lehmwand, von links und von vorn von mehreren andrängenden französischen Reitern umschlossen und zum Gefecht genöthigt. Sein Adjutant von Klitzing war in jenem Ge> dränge von dem Prinzen abgesperrt und auf den herandrängenden Feind ge¬ worfen worden. Nur seine Tapferkeit und sein gutes Pferd konnten ihn von Gefangenschaft oder eigenem Tode retten". „Am Morgen des 11. October, wo die Plünderung noch in den Straßen der Stadt wüthete und kein Dienstmädchen über die Straße geschickt werden konnte, erhielt ich von meinem Vater die Ordre, das nöthige Salz in unsere Küche zu schaffen. Sofort begab ich mich in das Haus des Salzkrämers Peter Franke in der Schloßgasse. In der Frankeschen Wohnstube traf ich den Franke und dessen Einquartierung, einen französischen Reiter, der zu den leich¬ ten Dragonern gehörte. Corporal war und einen geraden Säbel trug. Franke sagte mir: „Das ist der, welcher gestern den Prinzen erstochen hat; er will mir etwas sagen oder von mir etwas haben, aber er kann kein deutsches Wort reden." Ich fragte ihn in seiner Sprache, was ihm gefällig sei. Hierüber hoch erfreut, sagte er mir, daß er die Stelle, auf welcher er gestern mit dem Prinzen gekämpft, näher zu betrachten wünsche, doch befürchte er ohne Führer den Weg zu verfehlen. Dankbar nahm er mein Anerbieten, ihn zu begleiten, an, und ich ging nun mit ihm, nachdem Franke die Beförderung meines Salzes übernommen hatte, auf dem nächsten Wege über Graba nach Wölsdorf zu. Er erzählte mir von der gestrigen Affaire, von der Tapferkeit und Unbesiegbar¬ keit der großen Nation und dergl. in. Als wir an den Bockschen Garten kamen, betrachtete er denselben aufmerksam. Er ging in den Hohlweg. Nahe an dessen Ausgange bei dem auf der Lehmwand rechts stehenden Eichstummel 12-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/95>, abgerufen am 20.10.2024.