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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Städtekriege, nach Vollendung des östlichen Chors und der Ostseite des Kirchen¬
schiffs von Se. Jacob, die Westhälfte des Gotteshauses; sie wetteiferten darin
mit den benachbarten Reichsstädten ähnlicher Größe. Auch die Dinkelsbühler,
die Nördlinger bauten damals ihre dem Se. Georg geweihten Stadtkirchen, und
die Haller vollendeten das Langhaus ihrer Se. Michaelkirche. Dabei blieben
die Rotenburger nicht zurück in der innern Ausschmückung ihrer Heiligthümer.
Schon 1466 war der großartige Hochaltar mit den geschnitzten und bemalten
Figuren im Mittelstück und den Gemälden auf beiden Seiten der Flügel .ge¬
macht", wie die Aufschrift auf einem der Flügel sich bescheiden ausdrückt.

Die neue Zeit kündete sich für Rotenburg in ungestümer Weise an. Von
drei Seiten her wurde an der öffentlichen Ordnung der Stadt in dem verhäng-
nißvollen Frühjahr 1525 gerüttelt, in welchem eine Zeitlang eine radicale Um¬
wandlung der socialen und politischen Verhältnisse Süd- und Mitteldeutschlands
bevorzustehen schien. Innerhalb der Mauern erinnerte sich die niedere Bürger¬
schaft der Concessionen, welche das Patricia: nicht verwirklicht hatte, und ver¬
langte zugleich eine energische Durchführung der Reformation, zu welcher die
"Ehrbaren" um keinen Preis die Hand reichen wollten, und außerhalb stand
ihnen als kräftige Unterstützung ihrer Begehren die Bauernschaft des rotenburg-
schen Landgebiets zur Seite, welche von dem aus Schwaben auch nach Franken
wehenden revolutionären Geiste erfaßt und durch die langjährigen Kriege der
Stadt zu wohlgerüsteten, trefflich in den Waffen geschulten Streitern herange¬
zogen war. Auch ihre Dörfer, soweit sie zu den größeren zählten, waren durch
die städtische Obrigkeit selbst mit Hecken und Verdauen wohl befestigt und durch
Verstärkung der ummauerten Friedhöfe vielfach mit kleinen sturmfreien Nückzugs-
Punkten versehen worden. Auch die Bauernschaft hatte sich über manches
zu beschweren, und mit der bisherigen Form der Kirche war sie ebenfalls nicht
mehr zufrieden. Bald hatte der Ausschuß der Handwerker dem patricischen
Rathe ohne Mühe die Zügel des Regiments entwunden und sich mit der neuen
Genossenschaft der Bauern verständigt. So war der Boden geschaffen, auf
welchem ein Karlstadt mit Erfolg auftreten konnte. Zwei Tage nachdem er am
Ostermontage auf offenem Markte gepredigt, machten die Weiber in Rotenburg
einen Aufruhr, und eine kleine, erst vor kurzem erbaute zierliche Kirche unten
im Tauberthale wurde von den Müllern gestürmt, ihre schönen Altarbilder
schwammen im Flusse thalabwärts. Aber auch die furchtbare Reaction von
oben, welche nach den Siegen der Fürsten auf die zügellosen Ausschreitungen
von unten folgte, hat in Rotenburg ihre Scenen abgespielt. Als am 30. Juni
der brandenburgische Markgraf Castmir auf dem Markte Blutgericht hielt, soll
es roth wie ein Bach durch die abschüssige Schmidgasse hinuntergeflossen sein.
Gleich nach dem Wegzug Casimirs eröffnete das wiederhergestellte Patricias
durch Fortführung der grausame" Strafprocesse seine Wirksamkeit. Aber die


Grenjbottn, .IV- 1867. 8

Städtekriege, nach Vollendung des östlichen Chors und der Ostseite des Kirchen¬
schiffs von Se. Jacob, die Westhälfte des Gotteshauses; sie wetteiferten darin
mit den benachbarten Reichsstädten ähnlicher Größe. Auch die Dinkelsbühler,
die Nördlinger bauten damals ihre dem Se. Georg geweihten Stadtkirchen, und
die Haller vollendeten das Langhaus ihrer Se. Michaelkirche. Dabei blieben
die Rotenburger nicht zurück in der innern Ausschmückung ihrer Heiligthümer.
Schon 1466 war der großartige Hochaltar mit den geschnitzten und bemalten
Figuren im Mittelstück und den Gemälden auf beiden Seiten der Flügel .ge¬
macht", wie die Aufschrift auf einem der Flügel sich bescheiden ausdrückt.

Die neue Zeit kündete sich für Rotenburg in ungestümer Weise an. Von
drei Seiten her wurde an der öffentlichen Ordnung der Stadt in dem verhäng-
nißvollen Frühjahr 1525 gerüttelt, in welchem eine Zeitlang eine radicale Um¬
wandlung der socialen und politischen Verhältnisse Süd- und Mitteldeutschlands
bevorzustehen schien. Innerhalb der Mauern erinnerte sich die niedere Bürger¬
schaft der Concessionen, welche das Patricia: nicht verwirklicht hatte, und ver¬
langte zugleich eine energische Durchführung der Reformation, zu welcher die
„Ehrbaren" um keinen Preis die Hand reichen wollten, und außerhalb stand
ihnen als kräftige Unterstützung ihrer Begehren die Bauernschaft des rotenburg-
schen Landgebiets zur Seite, welche von dem aus Schwaben auch nach Franken
wehenden revolutionären Geiste erfaßt und durch die langjährigen Kriege der
Stadt zu wohlgerüsteten, trefflich in den Waffen geschulten Streitern herange¬
zogen war. Auch ihre Dörfer, soweit sie zu den größeren zählten, waren durch
die städtische Obrigkeit selbst mit Hecken und Verdauen wohl befestigt und durch
Verstärkung der ummauerten Friedhöfe vielfach mit kleinen sturmfreien Nückzugs-
Punkten versehen worden. Auch die Bauernschaft hatte sich über manches
zu beschweren, und mit der bisherigen Form der Kirche war sie ebenfalls nicht
mehr zufrieden. Bald hatte der Ausschuß der Handwerker dem patricischen
Rathe ohne Mühe die Zügel des Regiments entwunden und sich mit der neuen
Genossenschaft der Bauern verständigt. So war der Boden geschaffen, auf
welchem ein Karlstadt mit Erfolg auftreten konnte. Zwei Tage nachdem er am
Ostermontage auf offenem Markte gepredigt, machten die Weiber in Rotenburg
einen Aufruhr, und eine kleine, erst vor kurzem erbaute zierliche Kirche unten
im Tauberthale wurde von den Müllern gestürmt, ihre schönen Altarbilder
schwammen im Flusse thalabwärts. Aber auch die furchtbare Reaction von
oben, welche nach den Siegen der Fürsten auf die zügellosen Ausschreitungen
von unten folgte, hat in Rotenburg ihre Scenen abgespielt. Als am 30. Juni
der brandenburgische Markgraf Castmir auf dem Markte Blutgericht hielt, soll
es roth wie ein Bach durch die abschüssige Schmidgasse hinuntergeflossen sein.
Gleich nach dem Wegzug Casimirs eröffnete das wiederhergestellte Patricias
durch Fortführung der grausame» Strafprocesse seine Wirksamkeit. Aber die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/61>, abgerufen am 29.09.2024.