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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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drei Stunden entfernten Rotenburg befördern lassen. Dasselbe zählt jetzt zu
denjenigen Plätzen, welche nur durch die historischen Erinnerungen, die daran
haften, und deshalb nur für einen kleinen Bruchtheil des reisenden Publicums
bemerkenswerth sind. Daß es von einer befahrenen Touristenstraße abgeschnitten
wird, hat ein völliges Zurücktreten in ein gewisses nebelhaftes Dunkel veran¬
laßt. Erst ein außerordentliches, meist nicht erfreuliches Ereigniß vermag solche
Orte für eine kurze Weile in die Mitte des Tagesgesprächs zu rücken, und so
ist denn auch im Sommer 1866 neben dem Vogelsgebirge und der Rhön we¬
nigstens der untere Theil des Tauberthales vielfach genannt worden, als er von
bewaffneten Touristen, die nicht gerade aus freien Stücken dahin gerathen
waren, durchsucht wurde. Des obern Tauberthales und der Stadt Rotenburg
wurden die feindlichen Heere erst nach Feststellung der Demarcationslinie an¬
sichtig.

Sehr steht Rotenburgs Gegenwart an Glanz und Bedeutung hinter seiner
Vergangenheit zurück, und wenn irgendwo, ist es hier geboten, einen Blick in
die Jahrhunderte zurückzuwerfen, wo in den Mauern, deren Verödung wir
heute constatiren müssen, ein kräftiges, gedeihliches Leben herrschte.

Wie die weit überwiegende Mehrzahl ihrer Schwestern, ist auch diese Stadt
über ihr Alter nicht unterrichtet. Wer den ersten Baum gefällt auf dem Hügel,
welcher kräftig in das schmale Tauberthal vorspringt, das tief in den Keuper-
kalkfelsen eingefressen ist, liegt im Dunkeln. Von einer "Rode" im weiten
Walde nämlich hat die Rotenburg ihren Namen. Jetzt verbindet den Hügel
eine schwache Anschwellung, auf der gegenwärtig die Stadt lagert, mit einer
welligen Hochebene, die im Osten sich anschließt und gegen die Quellen der
Wörnitz, der Altmühl. der Rezat, der Aisch sich hindehnt. Im Dunkeln liegt
auch, wann diese Rodung geschehen; denn die Zeit ist zum Theil vorüber, wo
die Geschichten des Mönches Humbald, den Trithemius erlog und in unsre
Geschichtsliteratur einführte, für jede Stadt der den Trojanern entstammten
Franken eine Erzählung ihres Ursprungs gaben. Eine irgend zusammenhängende
Geschichte der Burg, die aus dem freigemachten Platze angelegt wurde, beginnt
vielmehr mit dem Aussterben ihrer ersten historisch erkennbaren Herren. Es
war ein reichbegütertes Geschlecht gewesen, von den Grafen des Kochergaues
stammend, das bald nach der Komburg im Kocherthale, bald nach der Roten¬
burg sich benannte; die süddeutsche Kunstgeschichte, hat in ihrer romanischen
Epoche mehrere prächtige Stücke aus der Kirche des frühern Klosters aufzuführen,
zu welchem im Jahre 1078 einer der letzten Herren des Hauses das Stamm¬
schloß Komburg bei Hall umgeschaffen. Beim Tode des letzten Grasen fielen
die Besitzungen zum Königsgute heim, und der damalige König Heinrich der
Fünfte übergab sie.als Reichslehen seinem jüngern Schwestersöhne Conrad, der
später als Conrad der Dritte der erste Staufer auf dem Throne deutscher


drei Stunden entfernten Rotenburg befördern lassen. Dasselbe zählt jetzt zu
denjenigen Plätzen, welche nur durch die historischen Erinnerungen, die daran
haften, und deshalb nur für einen kleinen Bruchtheil des reisenden Publicums
bemerkenswerth sind. Daß es von einer befahrenen Touristenstraße abgeschnitten
wird, hat ein völliges Zurücktreten in ein gewisses nebelhaftes Dunkel veran¬
laßt. Erst ein außerordentliches, meist nicht erfreuliches Ereigniß vermag solche
Orte für eine kurze Weile in die Mitte des Tagesgesprächs zu rücken, und so
ist denn auch im Sommer 1866 neben dem Vogelsgebirge und der Rhön we¬
nigstens der untere Theil des Tauberthales vielfach genannt worden, als er von
bewaffneten Touristen, die nicht gerade aus freien Stücken dahin gerathen
waren, durchsucht wurde. Des obern Tauberthales und der Stadt Rotenburg
wurden die feindlichen Heere erst nach Feststellung der Demarcationslinie an¬
sichtig.

Sehr steht Rotenburgs Gegenwart an Glanz und Bedeutung hinter seiner
Vergangenheit zurück, und wenn irgendwo, ist es hier geboten, einen Blick in
die Jahrhunderte zurückzuwerfen, wo in den Mauern, deren Verödung wir
heute constatiren müssen, ein kräftiges, gedeihliches Leben herrschte.

Wie die weit überwiegende Mehrzahl ihrer Schwestern, ist auch diese Stadt
über ihr Alter nicht unterrichtet. Wer den ersten Baum gefällt auf dem Hügel,
welcher kräftig in das schmale Tauberthal vorspringt, das tief in den Keuper-
kalkfelsen eingefressen ist, liegt im Dunkeln. Von einer „Rode" im weiten
Walde nämlich hat die Rotenburg ihren Namen. Jetzt verbindet den Hügel
eine schwache Anschwellung, auf der gegenwärtig die Stadt lagert, mit einer
welligen Hochebene, die im Osten sich anschließt und gegen die Quellen der
Wörnitz, der Altmühl. der Rezat, der Aisch sich hindehnt. Im Dunkeln liegt
auch, wann diese Rodung geschehen; denn die Zeit ist zum Theil vorüber, wo
die Geschichten des Mönches Humbald, den Trithemius erlog und in unsre
Geschichtsliteratur einführte, für jede Stadt der den Trojanern entstammten
Franken eine Erzählung ihres Ursprungs gaben. Eine irgend zusammenhängende
Geschichte der Burg, die aus dem freigemachten Platze angelegt wurde, beginnt
vielmehr mit dem Aussterben ihrer ersten historisch erkennbaren Herren. Es
war ein reichbegütertes Geschlecht gewesen, von den Grafen des Kochergaues
stammend, das bald nach der Komburg im Kocherthale, bald nach der Roten¬
burg sich benannte; die süddeutsche Kunstgeschichte, hat in ihrer romanischen
Epoche mehrere prächtige Stücke aus der Kirche des frühern Klosters aufzuführen,
zu welchem im Jahre 1078 einer der letzten Herren des Hauses das Stamm¬
schloß Komburg bei Hall umgeschaffen. Beim Tode des letzten Grasen fielen
die Besitzungen zum Königsgute heim, und der damalige König Heinrich der
Fünfte übergab sie.als Reichslehen seinem jüngern Schwestersöhne Conrad, der
später als Conrad der Dritte der erste Staufer auf dem Throne deutscher


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[0056] drei Stunden entfernten Rotenburg befördern lassen. Dasselbe zählt jetzt zu denjenigen Plätzen, welche nur durch die historischen Erinnerungen, die daran haften, und deshalb nur für einen kleinen Bruchtheil des reisenden Publicums bemerkenswerth sind. Daß es von einer befahrenen Touristenstraße abgeschnitten wird, hat ein völliges Zurücktreten in ein gewisses nebelhaftes Dunkel veran¬ laßt. Erst ein außerordentliches, meist nicht erfreuliches Ereigniß vermag solche Orte für eine kurze Weile in die Mitte des Tagesgesprächs zu rücken, und so ist denn auch im Sommer 1866 neben dem Vogelsgebirge und der Rhön we¬ nigstens der untere Theil des Tauberthales vielfach genannt worden, als er von bewaffneten Touristen, die nicht gerade aus freien Stücken dahin gerathen waren, durchsucht wurde. Des obern Tauberthales und der Stadt Rotenburg wurden die feindlichen Heere erst nach Feststellung der Demarcationslinie an¬ sichtig. Sehr steht Rotenburgs Gegenwart an Glanz und Bedeutung hinter seiner Vergangenheit zurück, und wenn irgendwo, ist es hier geboten, einen Blick in die Jahrhunderte zurückzuwerfen, wo in den Mauern, deren Verödung wir heute constatiren müssen, ein kräftiges, gedeihliches Leben herrschte. Wie die weit überwiegende Mehrzahl ihrer Schwestern, ist auch diese Stadt über ihr Alter nicht unterrichtet. Wer den ersten Baum gefällt auf dem Hügel, welcher kräftig in das schmale Tauberthal vorspringt, das tief in den Keuper- kalkfelsen eingefressen ist, liegt im Dunkeln. Von einer „Rode" im weiten Walde nämlich hat die Rotenburg ihren Namen. Jetzt verbindet den Hügel eine schwache Anschwellung, auf der gegenwärtig die Stadt lagert, mit einer welligen Hochebene, die im Osten sich anschließt und gegen die Quellen der Wörnitz, der Altmühl. der Rezat, der Aisch sich hindehnt. Im Dunkeln liegt auch, wann diese Rodung geschehen; denn die Zeit ist zum Theil vorüber, wo die Geschichten des Mönches Humbald, den Trithemius erlog und in unsre Geschichtsliteratur einführte, für jede Stadt der den Trojanern entstammten Franken eine Erzählung ihres Ursprungs gaben. Eine irgend zusammenhängende Geschichte der Burg, die aus dem freigemachten Platze angelegt wurde, beginnt vielmehr mit dem Aussterben ihrer ersten historisch erkennbaren Herren. Es war ein reichbegütertes Geschlecht gewesen, von den Grafen des Kochergaues stammend, das bald nach der Komburg im Kocherthale, bald nach der Roten¬ burg sich benannte; die süddeutsche Kunstgeschichte, hat in ihrer romanischen Epoche mehrere prächtige Stücke aus der Kirche des frühern Klosters aufzuführen, zu welchem im Jahre 1078 einer der letzten Herren des Hauses das Stamm¬ schloß Komburg bei Hall umgeschaffen. Beim Tode des letzten Grasen fielen die Besitzungen zum Königsgute heim, und der damalige König Heinrich der Fünfte übergab sie.als Reichslehen seinem jüngern Schwestersöhne Conrad, der später als Conrad der Dritte der erste Staufer auf dem Throne deutscher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/56>, abgerufen am 20.10.2024.