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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Thatsache sein wird, über deren nachträgliche Beeinflussung durch die Meinung der
Volksvertretung man sich keine Illusionen zu machen braucht. -- Voraussichtlich
werden schon die nächsten Tage eine Unterbrechung der Thätigkeit des preußischen
Parlaments bringen; von den Vorlagen, welche nach Beginn des neuen Jahres
zur Verhandlung kommen sollen, wird das von dem Abg. Glaser beantragte
Hypothekengesetz ein besonderes Interesse haben und wir tonnen damit zufrieden
sein, daß dasselbe erst nach Beschluß der dringenden und drängenden Budget¬
arbeiten an die Reihe kommt. --

Für Oestreich steht mit dem Schluß des Jahres auch die Erledigung der
Verhandlungen über den Ausgleich mit Ungarn bevor, der trotz der Ausstellungen,
welche der Reichstag im Einzelnen gemacht hat, seinem Abschluß nahe ist.
Freilich bleibt die Entscheidung über die definitive Uebernahme des vollen Rehes
der Staatsschuld, welche Ungarn den cisleithanischen Ländern aufbürden will,
noch in suspenso, und ist das Auskunftsmittel, durch welches der Reichstag
sich vor der Hand zu helfen versucht hat, mit einem Panique der Börse beant¬
wortet worden. Nichtsdestoweniger ist der Beginn der Delegationsverhandlungen
schon für die Mitte des nächsten Monats angesetzt worden und das wiener
Publikum erwartet stündlich die Constituirung eines cisleithanischen Ministeriums.
Die Aussichten auf Verständigung über die Staatsschuldenfrage sind damit
nicht günstiger geworden, vielmehr liegt die Befürchtung nahe, der wachsende
Einfluß der magyarischen Honvedvartei werde schon in nächster Zeit seine Wir¬
kungen zu äußern beginnen und sein Aeußerstes thun, um das Maß der von den
Döatisten gemachten Concessionen hinabzudrücken. Die blinde Leidenschaftlich¬
keit, mit welcher die Anhänger Kossuths auf eine Störung des kaum geschlos¬
senen östreichisch-ungarischen Friedens hinarbeiten mit für Trennung der unga¬
rischen von der österreichischen Armee agitiren, ruft gegründete Zweifel an der
vielgerühmten politischen Reife und constitutionellen Bildung des Magyaren-
thums wach. Daß das Programm D"5als die äußerste Grenze war, bis zu
welcher Herrn v. Beusts Willfährigkeit gehen konnte, sollte den ungarischen Po¬
litikern am wenigsten zweifelhaft sein, denn sie müssen aus der Geschichte ihres
Landes wissen, daß ihnen das gleiche Maß von Autonomie bis dahin nie¬
mals zugestanden worden und daß es nicht ihr Verdienst, sondern die Macht
der inzwischen wenigstens theilweise wieder veränderten Verhältnisse war, was
Oestreich hinter die Grenzlinie zurückdrängte, an welcher sämmtliche wiener
Staatsmänner bis zum Jahre 1866 festgehalten hatten. Wird an der militä¬
rischen Einheit des Staats gerüttelt, so ist der Beweis dafür, daß der Aus¬
gleich ungarischerseits nicht ehrlich gemeint war, so gut wie geliefert; nur ein
Ungarn, das die erste Gelegenheit zur Losreißung vom Hause Habsburg be¬
nutzen will, bedarf einer selbständigen Armee. Dieselbe Frage, welche heute
Von den Percjel und Genossen mit frevelhaftem Leichtsinn als Sturmkopf gegen


Thatsache sein wird, über deren nachträgliche Beeinflussung durch die Meinung der
Volksvertretung man sich keine Illusionen zu machen braucht. — Voraussichtlich
werden schon die nächsten Tage eine Unterbrechung der Thätigkeit des preußischen
Parlaments bringen; von den Vorlagen, welche nach Beginn des neuen Jahres
zur Verhandlung kommen sollen, wird das von dem Abg. Glaser beantragte
Hypothekengesetz ein besonderes Interesse haben und wir tonnen damit zufrieden
sein, daß dasselbe erst nach Beschluß der dringenden und drängenden Budget¬
arbeiten an die Reihe kommt. —

Für Oestreich steht mit dem Schluß des Jahres auch die Erledigung der
Verhandlungen über den Ausgleich mit Ungarn bevor, der trotz der Ausstellungen,
welche der Reichstag im Einzelnen gemacht hat, seinem Abschluß nahe ist.
Freilich bleibt die Entscheidung über die definitive Uebernahme des vollen Rehes
der Staatsschuld, welche Ungarn den cisleithanischen Ländern aufbürden will,
noch in suspenso, und ist das Auskunftsmittel, durch welches der Reichstag
sich vor der Hand zu helfen versucht hat, mit einem Panique der Börse beant¬
wortet worden. Nichtsdestoweniger ist der Beginn der Delegationsverhandlungen
schon für die Mitte des nächsten Monats angesetzt worden und das wiener
Publikum erwartet stündlich die Constituirung eines cisleithanischen Ministeriums.
Die Aussichten auf Verständigung über die Staatsschuldenfrage sind damit
nicht günstiger geworden, vielmehr liegt die Befürchtung nahe, der wachsende
Einfluß der magyarischen Honvedvartei werde schon in nächster Zeit seine Wir¬
kungen zu äußern beginnen und sein Aeußerstes thun, um das Maß der von den
Döatisten gemachten Concessionen hinabzudrücken. Die blinde Leidenschaftlich¬
keit, mit welcher die Anhänger Kossuths auf eine Störung des kaum geschlos¬
senen östreichisch-ungarischen Friedens hinarbeiten mit für Trennung der unga¬
rischen von der österreichischen Armee agitiren, ruft gegründete Zweifel an der
vielgerühmten politischen Reife und constitutionellen Bildung des Magyaren-
thums wach. Daß das Programm D«5als die äußerste Grenze war, bis zu
welcher Herrn v. Beusts Willfährigkeit gehen konnte, sollte den ungarischen Po¬
litikern am wenigsten zweifelhaft sein, denn sie müssen aus der Geschichte ihres
Landes wissen, daß ihnen das gleiche Maß von Autonomie bis dahin nie¬
mals zugestanden worden und daß es nicht ihr Verdienst, sondern die Macht
der inzwischen wenigstens theilweise wieder veränderten Verhältnisse war, was
Oestreich hinter die Grenzlinie zurückdrängte, an welcher sämmtliche wiener
Staatsmänner bis zum Jahre 1866 festgehalten hatten. Wird an der militä¬
rischen Einheit des Staats gerüttelt, so ist der Beweis dafür, daß der Aus¬
gleich ungarischerseits nicht ehrlich gemeint war, so gut wie geliefert; nur ein
Ungarn, das die erste Gelegenheit zur Losreißung vom Hause Habsburg be¬
nutzen will, bedarf einer selbständigen Armee. Dieselbe Frage, welche heute
Von den Percjel und Genossen mit frevelhaftem Leichtsinn als Sturmkopf gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/518>, abgerufen am 27.09.2024.