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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Wir hatten den Namen eines gewissen Nikanor erkundet, der in Thracier,
lebte und durch intime Freundschaft mit Democharcs verbunden war; in dessen
Name" faßten wir ein Schreiben ab, in welchem er als guter Freund seine
Jagdbeute zum Geschenk übersandte. Am späten Abend brachten wir unter dem
Schuh der Dunkelheit Thrasyleon in seinem Käfig mit dem untergeschobenen Brief
dem Democharcs, der ganz erstaunt über die Größe des Bären und hoch erfreut
über die so erwünscht kommende Liberalität seines Freundes uns als Ucber-
vringem zehn Goldstücke auszuzahlen befahl. Eine Menge Menschen strömte
herzu, wie jede Neuigkeit zum Schauen anzulocken pflegt und staunte das große
Thier an, aber Thrasyleon wußte geschickt die sich hinzudrängenden Neugierigen
durch drohende Bewegungen zurückzuscheuchen. Es war nur eine Stimme der
Befriedigung, daß das günstige Geschick dem glücklichen Democharcs nach so¬
viel Verlusten einen solchen Ersatz darbot. Er befahl nun, das Thier sogleich
mit aller Vorsicht aufs Land zu bringen, aber ich machte dagegen Vorstel¬
lungen. "Sieh dich ja vor." sagte ich "das durch den Sonnenbrand und die
lange Reise ermattete Thier in Gesellschaft anderer zu bringen, die noch dazu,
wie ich höre, nicht bei guter Gesundheit sind; sorge lieber für einen geräu¬
migen luftigen Platz bei deiner Wohnung, wo möglich neben einem erfrischen¬
den Bassin. Du weißt ja, daß diese Thiere in dichten Wäldern und kühlen
Grotten an lustigen Quellen ihr Lager haben." Durch diese Erinnerung be-
denklich gemacht und im Andenken an die vielen zu Grunde gegangenen Thiere
gab Dcmochares gleich nach und hieß uns nach unserem Ermessen einen Platz
für den Käsig aussuchen. "Wir sind auch bereit." setzte ich hinzu "hier bei
dem Käfig die Nacht über Wache zu halten, um dem von Hitze und Ermüdung
arg mitgenommenen Thier zur rechten Zeit Futter zu geben, wie es gewohnt
ist." "Wir brauchen euch keine Beschwerde zu machen," erwiderte er "die
ganze Dienerschaft ist mit dem Warten der Bären seit langer Zeit vertraut."
Darauf verabschiedeten wir uns und gingen zum Stadtthor hinaus, wo wir
vom Wege abwärts und entlegen ein Grabmal erblickten. Da machten wir
die alten halb verfallenen und aufgedeckten Särge von ihren in Staub und Asche
zerfallenen Bewohnern frei, um Raum für die Bande zu gewinnen, und zogen nach
der alten Räuberregel zu der Zeit, wo der erste Schlaf die Besinnung der Menschen
gefesselt hält, in mondscheinloser Dunkelheit, mit Schwertern bewaffnet im geordneten
Zuge vor Dcmochares Haus, wo wir uns zur Plünderung bereit aufstellten.
Thrasyleon, der ebenfalls das richtige Näubertempo wahrgenommen hatte, kroch
zu gleicher Zeit aus dem Käsig und machte sogleich die Wächter, die neben
dem Käfig eingeschlafen waren, sowie den Thürhüter mit dem Schwerte nieder,
öffnete uns das Thor und führte uns, die wir rasch ins Haus eingedrungen
waren, zu einem Speicher, in den er Abends das Geld hatte hineintragen
sehen. Nachdem wir ihn mit Gewalt erbrochen hatten, hieß ich jeden Käme-


Wir hatten den Namen eines gewissen Nikanor erkundet, der in Thracier,
lebte und durch intime Freundschaft mit Democharcs verbunden war; in dessen
Name» faßten wir ein Schreiben ab, in welchem er als guter Freund seine
Jagdbeute zum Geschenk übersandte. Am späten Abend brachten wir unter dem
Schuh der Dunkelheit Thrasyleon in seinem Käfig mit dem untergeschobenen Brief
dem Democharcs, der ganz erstaunt über die Größe des Bären und hoch erfreut
über die so erwünscht kommende Liberalität seines Freundes uns als Ucber-
vringem zehn Goldstücke auszuzahlen befahl. Eine Menge Menschen strömte
herzu, wie jede Neuigkeit zum Schauen anzulocken pflegt und staunte das große
Thier an, aber Thrasyleon wußte geschickt die sich hinzudrängenden Neugierigen
durch drohende Bewegungen zurückzuscheuchen. Es war nur eine Stimme der
Befriedigung, daß das günstige Geschick dem glücklichen Democharcs nach so¬
viel Verlusten einen solchen Ersatz darbot. Er befahl nun, das Thier sogleich
mit aller Vorsicht aufs Land zu bringen, aber ich machte dagegen Vorstel¬
lungen. „Sieh dich ja vor." sagte ich „das durch den Sonnenbrand und die
lange Reise ermattete Thier in Gesellschaft anderer zu bringen, die noch dazu,
wie ich höre, nicht bei guter Gesundheit sind; sorge lieber für einen geräu¬
migen luftigen Platz bei deiner Wohnung, wo möglich neben einem erfrischen¬
den Bassin. Du weißt ja, daß diese Thiere in dichten Wäldern und kühlen
Grotten an lustigen Quellen ihr Lager haben." Durch diese Erinnerung be-
denklich gemacht und im Andenken an die vielen zu Grunde gegangenen Thiere
gab Dcmochares gleich nach und hieß uns nach unserem Ermessen einen Platz
für den Käsig aussuchen. „Wir sind auch bereit." setzte ich hinzu „hier bei
dem Käfig die Nacht über Wache zu halten, um dem von Hitze und Ermüdung
arg mitgenommenen Thier zur rechten Zeit Futter zu geben, wie es gewohnt
ist." „Wir brauchen euch keine Beschwerde zu machen," erwiderte er „die
ganze Dienerschaft ist mit dem Warten der Bären seit langer Zeit vertraut."
Darauf verabschiedeten wir uns und gingen zum Stadtthor hinaus, wo wir
vom Wege abwärts und entlegen ein Grabmal erblickten. Da machten wir
die alten halb verfallenen und aufgedeckten Särge von ihren in Staub und Asche
zerfallenen Bewohnern frei, um Raum für die Bande zu gewinnen, und zogen nach
der alten Räuberregel zu der Zeit, wo der erste Schlaf die Besinnung der Menschen
gefesselt hält, in mondscheinloser Dunkelheit, mit Schwertern bewaffnet im geordneten
Zuge vor Dcmochares Haus, wo wir uns zur Plünderung bereit aufstellten.
Thrasyleon, der ebenfalls das richtige Näubertempo wahrgenommen hatte, kroch
zu gleicher Zeit aus dem Käsig und machte sogleich die Wächter, die neben
dem Käfig eingeschlafen waren, sowie den Thürhüter mit dem Schwerte nieder,
öffnete uns das Thor und führte uns, die wir rasch ins Haus eingedrungen
waren, zu einem Speicher, in den er Abends das Geld hatte hineintragen
sehen. Nachdem wir ihn mit Gewalt erbrochen hatten, hieß ich jeden Käme-


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[0462] Wir hatten den Namen eines gewissen Nikanor erkundet, der in Thracier, lebte und durch intime Freundschaft mit Democharcs verbunden war; in dessen Name» faßten wir ein Schreiben ab, in welchem er als guter Freund seine Jagdbeute zum Geschenk übersandte. Am späten Abend brachten wir unter dem Schuh der Dunkelheit Thrasyleon in seinem Käfig mit dem untergeschobenen Brief dem Democharcs, der ganz erstaunt über die Größe des Bären und hoch erfreut über die so erwünscht kommende Liberalität seines Freundes uns als Ucber- vringem zehn Goldstücke auszuzahlen befahl. Eine Menge Menschen strömte herzu, wie jede Neuigkeit zum Schauen anzulocken pflegt und staunte das große Thier an, aber Thrasyleon wußte geschickt die sich hinzudrängenden Neugierigen durch drohende Bewegungen zurückzuscheuchen. Es war nur eine Stimme der Befriedigung, daß das günstige Geschick dem glücklichen Democharcs nach so¬ viel Verlusten einen solchen Ersatz darbot. Er befahl nun, das Thier sogleich mit aller Vorsicht aufs Land zu bringen, aber ich machte dagegen Vorstel¬ lungen. „Sieh dich ja vor." sagte ich „das durch den Sonnenbrand und die lange Reise ermattete Thier in Gesellschaft anderer zu bringen, die noch dazu, wie ich höre, nicht bei guter Gesundheit sind; sorge lieber für einen geräu¬ migen luftigen Platz bei deiner Wohnung, wo möglich neben einem erfrischen¬ den Bassin. Du weißt ja, daß diese Thiere in dichten Wäldern und kühlen Grotten an lustigen Quellen ihr Lager haben." Durch diese Erinnerung be- denklich gemacht und im Andenken an die vielen zu Grunde gegangenen Thiere gab Dcmochares gleich nach und hieß uns nach unserem Ermessen einen Platz für den Käsig aussuchen. „Wir sind auch bereit." setzte ich hinzu „hier bei dem Käfig die Nacht über Wache zu halten, um dem von Hitze und Ermüdung arg mitgenommenen Thier zur rechten Zeit Futter zu geben, wie es gewohnt ist." „Wir brauchen euch keine Beschwerde zu machen," erwiderte er „die ganze Dienerschaft ist mit dem Warten der Bären seit langer Zeit vertraut." Darauf verabschiedeten wir uns und gingen zum Stadtthor hinaus, wo wir vom Wege abwärts und entlegen ein Grabmal erblickten. Da machten wir die alten halb verfallenen und aufgedeckten Särge von ihren in Staub und Asche zerfallenen Bewohnern frei, um Raum für die Bande zu gewinnen, und zogen nach der alten Räuberregel zu der Zeit, wo der erste Schlaf die Besinnung der Menschen gefesselt hält, in mondscheinloser Dunkelheit, mit Schwertern bewaffnet im geordneten Zuge vor Dcmochares Haus, wo wir uns zur Plünderung bereit aufstellten. Thrasyleon, der ebenfalls das richtige Näubertempo wahrgenommen hatte, kroch zu gleicher Zeit aus dem Käsig und machte sogleich die Wächter, die neben dem Käfig eingeschlafen waren, sowie den Thürhüter mit dem Schwerte nieder, öffnete uns das Thor und führte uns, die wir rasch ins Haus eingedrungen waren, zu einem Speicher, in den er Abends das Geld hatte hineintragen sehen. Nachdem wir ihn mit Gewalt erbrochen hatten, hieß ich jeden Käme-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/462>, abgerufen am 20.10.2024.