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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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und Wein übernommen haben, schwere und ängstliche Träume haben. Weil
ich gestern Abend den Wein nicht schonte, haben mich Nachts gräßliche Träume
gequält, und noch komme ich mir wie mit Menschenblut besudelt vor." "Du
bist freilich nicht mit Blut, sondern mit ganz anderer Flüssigkeit benetzt," sagte
er lachend, "übrigens war es mir im Traum, als würde ich ermordet, ich
fühlte Schmerz in der Seite, das Herz wurde mir aus dem Leibe gerissen, und
noch jetzt habe ich Athembeschwerden, die Kniee zittern mir und beim Gehe"
schwanke ich hin und her, ich möchte wohl durch ein Frühstück meinen Kräften
etwas aufhelfen." "Das Frühstück ist bereit!" erwiderte ich, nahm meinen
Reisesack von der Schulter und reichte ihm Käse und Brod hin. Nachdem wir
unter einer Platane Platz genommen, langte ich auch zu, und wie ich ihn so
gierig essen sah, fiel mir auf, daß er eingefallen und blaß wie ein Todter war.
Da stieg mir das Bild jener Nachtgespenster wieder auf und vor Entsetzen blieb
mir das kleine Stück Brot, das ich eben zu mir genommen hatte, im Schlunde
stecken, daß ich es nicht herauf noch hinunter bringen konnte. Auch die vielen
Vorübergehenden vermehrten meine Furcht; wer sollte denken, wenn von zwei
Reisegefährten der eine umgebracht wäre, der andere sei nicht der Thäter. Als
er eine gehörige Quantität Speise vertilgt hatte, fing ihn auf den guten Käse an
zu dürsten. Neben der Platane floß sachte und träge ein Fluß, dessen Wasser wie
in einem stillen See, hell wie Silber und Krystall war. "Da," sagte ich
"stille deinen Durst aus dem frischen Quell." Er stand aus, kauerte sich an
einer flachen Stelle des Uferrandes hin und bückte sich, gierig zu trinken. Kaum
hatte er mit den Lippen den Wasserspiegel berührt, da bricht die Wunde klaffend
wieder auf, der Schwamm fällt heraus, wenige Blutstropfen kommen nach.
Der entseelte Körper wäre kopfüber in den Fluß gestürzt, hätte ich ihn nicht
bei einem Beine gepackt und mit Mühe auf den nahen Uferrand gezogen, und
da verscharrte ich meinen armen Kameraden mit bitteren Thränen im Sande.
Dann floh ich voll Angst und Besorgniß für mich selbst durch unwegsame und
verlassene Einöden, als hätte ich einen Mord auf dem Gewissen, ließ Vaterland
und Haus und Heerd im Stich und ging in freiwilliger Verbannung nach
Aetolien,. wo ich mir ein neues Hauswesen gründete.




In verschiedenen Nuancirungen tritt dieser Glaube an Geister und Ge¬
spenster und alle Arten von Zaubereien noch in anderen Erzählungen hervor,
mitunter als erheiterndes Motiv, wie wenn der Zauberin statt der Haare eines
treulosen Liebhabers Bockshaare gebracht werden und ihr Zauberwort an den aus
dem Fell des Böckh gemachten Schläuchen wirksam wird. Auch das rationa¬
listische Element fehlt nicht ganz, meistens aber ist die Absicht, Grausen zu
erregen, mitunter durch solche Uebertreibung, daß die Wirkung eine andere


und Wein übernommen haben, schwere und ängstliche Träume haben. Weil
ich gestern Abend den Wein nicht schonte, haben mich Nachts gräßliche Träume
gequält, und noch komme ich mir wie mit Menschenblut besudelt vor." „Du
bist freilich nicht mit Blut, sondern mit ganz anderer Flüssigkeit benetzt," sagte
er lachend, „übrigens war es mir im Traum, als würde ich ermordet, ich
fühlte Schmerz in der Seite, das Herz wurde mir aus dem Leibe gerissen, und
noch jetzt habe ich Athembeschwerden, die Kniee zittern mir und beim Gehe»
schwanke ich hin und her, ich möchte wohl durch ein Frühstück meinen Kräften
etwas aufhelfen." „Das Frühstück ist bereit!" erwiderte ich, nahm meinen
Reisesack von der Schulter und reichte ihm Käse und Brod hin. Nachdem wir
unter einer Platane Platz genommen, langte ich auch zu, und wie ich ihn so
gierig essen sah, fiel mir auf, daß er eingefallen und blaß wie ein Todter war.
Da stieg mir das Bild jener Nachtgespenster wieder auf und vor Entsetzen blieb
mir das kleine Stück Brot, das ich eben zu mir genommen hatte, im Schlunde
stecken, daß ich es nicht herauf noch hinunter bringen konnte. Auch die vielen
Vorübergehenden vermehrten meine Furcht; wer sollte denken, wenn von zwei
Reisegefährten der eine umgebracht wäre, der andere sei nicht der Thäter. Als
er eine gehörige Quantität Speise vertilgt hatte, fing ihn auf den guten Käse an
zu dürsten. Neben der Platane floß sachte und träge ein Fluß, dessen Wasser wie
in einem stillen See, hell wie Silber und Krystall war. „Da," sagte ich
„stille deinen Durst aus dem frischen Quell." Er stand aus, kauerte sich an
einer flachen Stelle des Uferrandes hin und bückte sich, gierig zu trinken. Kaum
hatte er mit den Lippen den Wasserspiegel berührt, da bricht die Wunde klaffend
wieder auf, der Schwamm fällt heraus, wenige Blutstropfen kommen nach.
Der entseelte Körper wäre kopfüber in den Fluß gestürzt, hätte ich ihn nicht
bei einem Beine gepackt und mit Mühe auf den nahen Uferrand gezogen, und
da verscharrte ich meinen armen Kameraden mit bitteren Thränen im Sande.
Dann floh ich voll Angst und Besorgniß für mich selbst durch unwegsame und
verlassene Einöden, als hätte ich einen Mord auf dem Gewissen, ließ Vaterland
und Haus und Heerd im Stich und ging in freiwilliger Verbannung nach
Aetolien,. wo ich mir ein neues Hauswesen gründete.




In verschiedenen Nuancirungen tritt dieser Glaube an Geister und Ge¬
spenster und alle Arten von Zaubereien noch in anderen Erzählungen hervor,
mitunter als erheiterndes Motiv, wie wenn der Zauberin statt der Haare eines
treulosen Liebhabers Bockshaare gebracht werden und ihr Zauberwort an den aus
dem Fell des Böckh gemachten Schläuchen wirksam wird. Auch das rationa¬
listische Element fehlt nicht ganz, meistens aber ist die Absicht, Grausen zu
erregen, mitunter durch solche Uebertreibung, daß die Wirkung eine andere


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[0458] und Wein übernommen haben, schwere und ängstliche Träume haben. Weil ich gestern Abend den Wein nicht schonte, haben mich Nachts gräßliche Träume gequält, und noch komme ich mir wie mit Menschenblut besudelt vor." „Du bist freilich nicht mit Blut, sondern mit ganz anderer Flüssigkeit benetzt," sagte er lachend, „übrigens war es mir im Traum, als würde ich ermordet, ich fühlte Schmerz in der Seite, das Herz wurde mir aus dem Leibe gerissen, und noch jetzt habe ich Athembeschwerden, die Kniee zittern mir und beim Gehe» schwanke ich hin und her, ich möchte wohl durch ein Frühstück meinen Kräften etwas aufhelfen." „Das Frühstück ist bereit!" erwiderte ich, nahm meinen Reisesack von der Schulter und reichte ihm Käse und Brod hin. Nachdem wir unter einer Platane Platz genommen, langte ich auch zu, und wie ich ihn so gierig essen sah, fiel mir auf, daß er eingefallen und blaß wie ein Todter war. Da stieg mir das Bild jener Nachtgespenster wieder auf und vor Entsetzen blieb mir das kleine Stück Brot, das ich eben zu mir genommen hatte, im Schlunde stecken, daß ich es nicht herauf noch hinunter bringen konnte. Auch die vielen Vorübergehenden vermehrten meine Furcht; wer sollte denken, wenn von zwei Reisegefährten der eine umgebracht wäre, der andere sei nicht der Thäter. Als er eine gehörige Quantität Speise vertilgt hatte, fing ihn auf den guten Käse an zu dürsten. Neben der Platane floß sachte und träge ein Fluß, dessen Wasser wie in einem stillen See, hell wie Silber und Krystall war. „Da," sagte ich „stille deinen Durst aus dem frischen Quell." Er stand aus, kauerte sich an einer flachen Stelle des Uferrandes hin und bückte sich, gierig zu trinken. Kaum hatte er mit den Lippen den Wasserspiegel berührt, da bricht die Wunde klaffend wieder auf, der Schwamm fällt heraus, wenige Blutstropfen kommen nach. Der entseelte Körper wäre kopfüber in den Fluß gestürzt, hätte ich ihn nicht bei einem Beine gepackt und mit Mühe auf den nahen Uferrand gezogen, und da verscharrte ich meinen armen Kameraden mit bitteren Thränen im Sande. Dann floh ich voll Angst und Besorgniß für mich selbst durch unwegsame und verlassene Einöden, als hätte ich einen Mord auf dem Gewissen, ließ Vaterland und Haus und Heerd im Stich und ging in freiwilliger Verbannung nach Aetolien,. wo ich mir ein neues Hauswesen gründete. In verschiedenen Nuancirungen tritt dieser Glaube an Geister und Ge¬ spenster und alle Arten von Zaubereien noch in anderen Erzählungen hervor, mitunter als erheiterndes Motiv, wie wenn der Zauberin statt der Haare eines treulosen Liebhabers Bockshaare gebracht werden und ihr Zauberwort an den aus dem Fell des Böckh gemachten Schläuchen wirksam wird. Auch das rationa¬ listische Element fehlt nicht ganz, meistens aber ist die Absicht, Grausen zu erregen, mitunter durch solche Uebertreibung, daß die Wirkung eine andere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/458>, abgerufen am 27.09.2024.