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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Practisch ist nicht so sehr die Pflicht zum Bergen, als das damit in eng¬
stem Zusammenhange stehende Recht auf Bcrgelohn die Hauptsache. Die völlige
Verkehrtheit, anstatt der allein anzuerkennenden sittlichen Pflicht zur Rettung
von Menschenleben eine juristische Pflicht zur Bergung von Waaren zu consti-
tuiren, ist eben nur erklärbar aus der geschichtlichen Entwickelung des Strandwe¬
sens, das seinen Hauptinhalt in dein Strand recht fand, und war nur möglich
dadurch, daß dieser unnatürlichen Pflicht ein unnatürliches Recht gegenüber¬
gestellt wurde.

Das eben zeigt am deutlichsten das Verwerfliche der ganzen Institution,
daß gegen jene Pflicht trotz ihrer Unnatur niemals die dadurch Betroffenen sich
aufgelehnt hoben, baß sie sich vielmehr willig dem anscheinend unerträglichen
Joche beugen, weil auf der Kehrseite der Bergelohn steht, und wiederum beweist es
wie unverhältnißmäßig hoch der Bcrgelohn ist, welcher Gewinn aus dem Bergerecht
herfließt, daß er hoch genug ist, auch jene Pflicht ohne Bedenken ertragen zu lassen.

Zwar ist, wie oben gezeigt, seit länger das Bestreben der Gesetzgebung auf
Herabdrückung des Bergelohns gerichtet gewesen, zwar darf er jetzt ohne Ueber¬
einstimmung der Parteien nicht mehr auf eine Quote des Geborgenen festgesetzt
werden und soll regelmäßig ein Drittel des Werths der geborgenen Gegen¬
stände nicht übersteigen, aber die Absicht des Gesetzes wird vielfach gehindert
durch die Praxis, welche die Maximalgrenze des Gesetzes als den Regelbetrag
festhält, und der Umstand, daß die Festsetzung des Bergelohns völlig dem richter¬
lichen Ermessen freigestellt ist und das Gesetz als Anhaltspunkt dafür neben der
aufgewendeten Mühe und Zeit und der etwa bestandenen Gefahr hauptsächlich
den Werth des Geborgenen bezeichnet (Art 746 des A. D. H. B.), führt in
der Praxis dahin, daß der Richter der Regel nach vor Festsetzung des Bcrgc-
lohns Sachverständige über die dabei maßgebenden Factoren hört.

Die der Küstenbevölkerung angehöugen, in den alten Anschauungen vom
Strandrecht aufgewachsenen Sachverständigen, die nicht anders wissen, als daß
von Alters her die Berger stets mindestens '/" des Werths erhalten haben,
urtheilen fast stets, wenn auch ohne böse Absicht, zu Gunsten der Berger, und
daß der mit solchen Verhältnissen meist nicht genügend vertraute Richter nur
schwer von dem Gutachten der Sachverständigen in erheblicher Weise abweicht,
ist natürlich.

Führen wir einige beliebig aus einer großen Zahl ähnlicher und zum Theil
selbst ernsterer Falle herausgegriffene Beispiele aus den letzten Jahren an.

1. Im Jahre 1864 wurde das holländische Tjaltschiff "Novitgedacht" auf
hoher See durch Sturm schwer beschädigt und nahm, um sich in den earo-
tinenfleler Hafen schaffen zu lassen, die Hilfe-eines begegnenden mit 3 Mann
besetzten kleinen Wattschiffes an. Das gerettete Fahrzeug wurde als reparatu"
unwürdig condemnirt und zu 300 Thlr. verkauft, die Ladung zu 7S0Thlr.'Der


Practisch ist nicht so sehr die Pflicht zum Bergen, als das damit in eng¬
stem Zusammenhange stehende Recht auf Bcrgelohn die Hauptsache. Die völlige
Verkehrtheit, anstatt der allein anzuerkennenden sittlichen Pflicht zur Rettung
von Menschenleben eine juristische Pflicht zur Bergung von Waaren zu consti-
tuiren, ist eben nur erklärbar aus der geschichtlichen Entwickelung des Strandwe¬
sens, das seinen Hauptinhalt in dein Strand recht fand, und war nur möglich
dadurch, daß dieser unnatürlichen Pflicht ein unnatürliches Recht gegenüber¬
gestellt wurde.

Das eben zeigt am deutlichsten das Verwerfliche der ganzen Institution,
daß gegen jene Pflicht trotz ihrer Unnatur niemals die dadurch Betroffenen sich
aufgelehnt hoben, baß sie sich vielmehr willig dem anscheinend unerträglichen
Joche beugen, weil auf der Kehrseite der Bergelohn steht, und wiederum beweist es
wie unverhältnißmäßig hoch der Bcrgelohn ist, welcher Gewinn aus dem Bergerecht
herfließt, daß er hoch genug ist, auch jene Pflicht ohne Bedenken ertragen zu lassen.

Zwar ist, wie oben gezeigt, seit länger das Bestreben der Gesetzgebung auf
Herabdrückung des Bergelohns gerichtet gewesen, zwar darf er jetzt ohne Ueber¬
einstimmung der Parteien nicht mehr auf eine Quote des Geborgenen festgesetzt
werden und soll regelmäßig ein Drittel des Werths der geborgenen Gegen¬
stände nicht übersteigen, aber die Absicht des Gesetzes wird vielfach gehindert
durch die Praxis, welche die Maximalgrenze des Gesetzes als den Regelbetrag
festhält, und der Umstand, daß die Festsetzung des Bergelohns völlig dem richter¬
lichen Ermessen freigestellt ist und das Gesetz als Anhaltspunkt dafür neben der
aufgewendeten Mühe und Zeit und der etwa bestandenen Gefahr hauptsächlich
den Werth des Geborgenen bezeichnet (Art 746 des A. D. H. B.), führt in
der Praxis dahin, daß der Richter der Regel nach vor Festsetzung des Bcrgc-
lohns Sachverständige über die dabei maßgebenden Factoren hört.

Die der Küstenbevölkerung angehöugen, in den alten Anschauungen vom
Strandrecht aufgewachsenen Sachverständigen, die nicht anders wissen, als daß
von Alters her die Berger stets mindestens '/» des Werths erhalten haben,
urtheilen fast stets, wenn auch ohne böse Absicht, zu Gunsten der Berger, und
daß der mit solchen Verhältnissen meist nicht genügend vertraute Richter nur
schwer von dem Gutachten der Sachverständigen in erheblicher Weise abweicht,
ist natürlich.

Führen wir einige beliebig aus einer großen Zahl ähnlicher und zum Theil
selbst ernsterer Falle herausgegriffene Beispiele aus den letzten Jahren an.

1. Im Jahre 1864 wurde das holländische Tjaltschiff „Novitgedacht" auf
hoher See durch Sturm schwer beschädigt und nahm, um sich in den earo-
tinenfleler Hafen schaffen zu lassen, die Hilfe-eines begegnenden mit 3 Mann
besetzten kleinen Wattschiffes an. Das gerettete Fahrzeug wurde als reparatu»
unwürdig condemnirt und zu 300 Thlr. verkauft, die Ladung zu 7S0Thlr.'Der


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[0426] Practisch ist nicht so sehr die Pflicht zum Bergen, als das damit in eng¬ stem Zusammenhange stehende Recht auf Bcrgelohn die Hauptsache. Die völlige Verkehrtheit, anstatt der allein anzuerkennenden sittlichen Pflicht zur Rettung von Menschenleben eine juristische Pflicht zur Bergung von Waaren zu consti- tuiren, ist eben nur erklärbar aus der geschichtlichen Entwickelung des Strandwe¬ sens, das seinen Hauptinhalt in dein Strand recht fand, und war nur möglich dadurch, daß dieser unnatürlichen Pflicht ein unnatürliches Recht gegenüber¬ gestellt wurde. Das eben zeigt am deutlichsten das Verwerfliche der ganzen Institution, daß gegen jene Pflicht trotz ihrer Unnatur niemals die dadurch Betroffenen sich aufgelehnt hoben, baß sie sich vielmehr willig dem anscheinend unerträglichen Joche beugen, weil auf der Kehrseite der Bergelohn steht, und wiederum beweist es wie unverhältnißmäßig hoch der Bcrgelohn ist, welcher Gewinn aus dem Bergerecht herfließt, daß er hoch genug ist, auch jene Pflicht ohne Bedenken ertragen zu lassen. Zwar ist, wie oben gezeigt, seit länger das Bestreben der Gesetzgebung auf Herabdrückung des Bergelohns gerichtet gewesen, zwar darf er jetzt ohne Ueber¬ einstimmung der Parteien nicht mehr auf eine Quote des Geborgenen festgesetzt werden und soll regelmäßig ein Drittel des Werths der geborgenen Gegen¬ stände nicht übersteigen, aber die Absicht des Gesetzes wird vielfach gehindert durch die Praxis, welche die Maximalgrenze des Gesetzes als den Regelbetrag festhält, und der Umstand, daß die Festsetzung des Bergelohns völlig dem richter¬ lichen Ermessen freigestellt ist und das Gesetz als Anhaltspunkt dafür neben der aufgewendeten Mühe und Zeit und der etwa bestandenen Gefahr hauptsächlich den Werth des Geborgenen bezeichnet (Art 746 des A. D. H. B.), führt in der Praxis dahin, daß der Richter der Regel nach vor Festsetzung des Bcrgc- lohns Sachverständige über die dabei maßgebenden Factoren hört. Die der Küstenbevölkerung angehöugen, in den alten Anschauungen vom Strandrecht aufgewachsenen Sachverständigen, die nicht anders wissen, als daß von Alters her die Berger stets mindestens '/» des Werths erhalten haben, urtheilen fast stets, wenn auch ohne böse Absicht, zu Gunsten der Berger, und daß der mit solchen Verhältnissen meist nicht genügend vertraute Richter nur schwer von dem Gutachten der Sachverständigen in erheblicher Weise abweicht, ist natürlich. Führen wir einige beliebig aus einer großen Zahl ähnlicher und zum Theil selbst ernsterer Falle herausgegriffene Beispiele aus den letzten Jahren an. 1. Im Jahre 1864 wurde das holländische Tjaltschiff „Novitgedacht" auf hoher See durch Sturm schwer beschädigt und nahm, um sich in den earo- tinenfleler Hafen schaffen zu lassen, die Hilfe-eines begegnenden mit 3 Mann besetzten kleinen Wattschiffes an. Das gerettete Fahrzeug wurde als reparatu» unwürdig condemnirt und zu 300 Thlr. verkauft, die Ladung zu 7S0Thlr.'Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/426>, abgerufen am 20.10.2024.