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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Wird z. B. ein bereits mit dem Tode ringender Mensch von den Wellen
auf den Strand geschleudert, sodaß er umkommen muß, wenn er den Wellen
nicht entzogen wird, und ist dies von daneben stehenden Personen mit Leichtigkeit
auszuführen, so wird nach der Gesetzgebung der meisten Staaten die Unter¬
lassung dieser einfachen Nettungshandlung dem Strafrichter verfallen; ganz
gleich aber liegt der Fall jedenfalls, ob er sich am Strande des Meeres oder an
einem Binnenwasser ereignet.

Aber das ist nicht Gegenstand der Bergepflicht; wie schon das Wort
"Bergen" bezeichnet, handelt es sich um Rettung der Waaren. Und da fragen
wir, auf welchen innern Grund stützt sich diese Pflicht?

Es ist doch immerhin eine ganz außergewöhnliche Maßregel, wenn der
Staat Einzelnen seiner Angehörigen eine öffentliche Rechtspflicht auferlegt; es
darf das nur aus ganz besonderen Gründen und jedenfalls nur aus Rücksicht
auf das öffentliche Interesse und das Gemeinwohl geschehen. Liegt solche Rück¬
sicht aber in unserm Falle vor? Sehen wir die verwandten Fälle an, in
welchen der Staat solche außerordentliche Hilsspflicht von Einzelnen seiner An¬
gehörigen fordert, so entdecken wir einen wesentlichen Unterschied. Bei Feuers-
brünsten, bei Dcichbrüchen, bei Überschwemmungen, wo das rasende Element,
wenn ihm nicht Einhalt gethan wird, immer weiter greift in seiner zerstörenden
Kraft, da verlangt der Staat mit Recht von Jedem die Theilnahme am Rel-
tungSwerkc; da droht wirklich gemeine Gefahr in unabsehbarem Umfange, die
gemeinsame Hilfe erfordert, welche darum allgemeine Pflicht ist.

Aber die Abwehr der Gefahr ist hier der Zweck, ihrer Weiterverbreitung soll
gesteuert, größerem Unheil vorgebeugt werden.

Richt des bereits eingetretenen, sondern des noch drohenden Unglücks
wegen fordert die Staatsgewalt von ihren Angehörigen die thätige Hilfsleistung;
und wiederum auch nur deshalb, weil eine Mehrzahl von Gefährdeten da ist,
weil Keiner allein sich helfen könnte, und weil wenn Jeder nur für sich sorgte,
die Gefahr für Alle sich nur vergrößern würde. So auch in andern Fällen.

Wird z. B. durch Schneefall und dergl. eine Eisenbahn oder eine Land¬
straße in einer Weise verschüttet, daß nur außergewöhnliche Arbeitskraft sie dem
Verkehr wieder erschließen kann, da bietet der Staat wohl seine Angehörigen
zur Nothhilfe auf, aber nicht etwa, um eine einzelne eingeschneite Locomorive
zu befreien, sondern um den freien Verkehr wieder zu eröffnen, um die Nach¬
theile abzuwenden, die eine längere Stockung des Verkehrs unausbleiblich für
tausend und aber tausend Interessen mit sich führt; zur Abwendung dieser dem
Verkehr d. h. dem Gemeinwohl drohenden Gefahr wird hier eine Hilsspflicht
auferlegt, da ohne solche die zunächst Betheiligten diese Gefahr zu beseitigen
nicht im Stande sein würden.

Und in allen diesen Fällen kann solche Nothhilfe nur Verlangt werden,


Wird z. B. ein bereits mit dem Tode ringender Mensch von den Wellen
auf den Strand geschleudert, sodaß er umkommen muß, wenn er den Wellen
nicht entzogen wird, und ist dies von daneben stehenden Personen mit Leichtigkeit
auszuführen, so wird nach der Gesetzgebung der meisten Staaten die Unter¬
lassung dieser einfachen Nettungshandlung dem Strafrichter verfallen; ganz
gleich aber liegt der Fall jedenfalls, ob er sich am Strande des Meeres oder an
einem Binnenwasser ereignet.

Aber das ist nicht Gegenstand der Bergepflicht; wie schon das Wort
„Bergen" bezeichnet, handelt es sich um Rettung der Waaren. Und da fragen
wir, auf welchen innern Grund stützt sich diese Pflicht?

Es ist doch immerhin eine ganz außergewöhnliche Maßregel, wenn der
Staat Einzelnen seiner Angehörigen eine öffentliche Rechtspflicht auferlegt; es
darf das nur aus ganz besonderen Gründen und jedenfalls nur aus Rücksicht
auf das öffentliche Interesse und das Gemeinwohl geschehen. Liegt solche Rück¬
sicht aber in unserm Falle vor? Sehen wir die verwandten Fälle an, in
welchen der Staat solche außerordentliche Hilsspflicht von Einzelnen seiner An¬
gehörigen fordert, so entdecken wir einen wesentlichen Unterschied. Bei Feuers-
brünsten, bei Dcichbrüchen, bei Überschwemmungen, wo das rasende Element,
wenn ihm nicht Einhalt gethan wird, immer weiter greift in seiner zerstörenden
Kraft, da verlangt der Staat mit Recht von Jedem die Theilnahme am Rel-
tungSwerkc; da droht wirklich gemeine Gefahr in unabsehbarem Umfange, die
gemeinsame Hilfe erfordert, welche darum allgemeine Pflicht ist.

Aber die Abwehr der Gefahr ist hier der Zweck, ihrer Weiterverbreitung soll
gesteuert, größerem Unheil vorgebeugt werden.

Richt des bereits eingetretenen, sondern des noch drohenden Unglücks
wegen fordert die Staatsgewalt von ihren Angehörigen die thätige Hilfsleistung;
und wiederum auch nur deshalb, weil eine Mehrzahl von Gefährdeten da ist,
weil Keiner allein sich helfen könnte, und weil wenn Jeder nur für sich sorgte,
die Gefahr für Alle sich nur vergrößern würde. So auch in andern Fällen.

Wird z. B. durch Schneefall und dergl. eine Eisenbahn oder eine Land¬
straße in einer Weise verschüttet, daß nur außergewöhnliche Arbeitskraft sie dem
Verkehr wieder erschließen kann, da bietet der Staat wohl seine Angehörigen
zur Nothhilfe auf, aber nicht etwa, um eine einzelne eingeschneite Locomorive
zu befreien, sondern um den freien Verkehr wieder zu eröffnen, um die Nach¬
theile abzuwenden, die eine längere Stockung des Verkehrs unausbleiblich für
tausend und aber tausend Interessen mit sich führt; zur Abwendung dieser dem
Verkehr d. h. dem Gemeinwohl drohenden Gefahr wird hier eine Hilsspflicht
auferlegt, da ohne solche die zunächst Betheiligten diese Gefahr zu beseitigen
nicht im Stande sein würden.

Und in allen diesen Fällen kann solche Nothhilfe nur Verlangt werden,


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[0423] Wird z. B. ein bereits mit dem Tode ringender Mensch von den Wellen auf den Strand geschleudert, sodaß er umkommen muß, wenn er den Wellen nicht entzogen wird, und ist dies von daneben stehenden Personen mit Leichtigkeit auszuführen, so wird nach der Gesetzgebung der meisten Staaten die Unter¬ lassung dieser einfachen Nettungshandlung dem Strafrichter verfallen; ganz gleich aber liegt der Fall jedenfalls, ob er sich am Strande des Meeres oder an einem Binnenwasser ereignet. Aber das ist nicht Gegenstand der Bergepflicht; wie schon das Wort „Bergen" bezeichnet, handelt es sich um Rettung der Waaren. Und da fragen wir, auf welchen innern Grund stützt sich diese Pflicht? Es ist doch immerhin eine ganz außergewöhnliche Maßregel, wenn der Staat Einzelnen seiner Angehörigen eine öffentliche Rechtspflicht auferlegt; es darf das nur aus ganz besonderen Gründen und jedenfalls nur aus Rücksicht auf das öffentliche Interesse und das Gemeinwohl geschehen. Liegt solche Rück¬ sicht aber in unserm Falle vor? Sehen wir die verwandten Fälle an, in welchen der Staat solche außerordentliche Hilsspflicht von Einzelnen seiner An¬ gehörigen fordert, so entdecken wir einen wesentlichen Unterschied. Bei Feuers- brünsten, bei Dcichbrüchen, bei Überschwemmungen, wo das rasende Element, wenn ihm nicht Einhalt gethan wird, immer weiter greift in seiner zerstörenden Kraft, da verlangt der Staat mit Recht von Jedem die Theilnahme am Rel- tungSwerkc; da droht wirklich gemeine Gefahr in unabsehbarem Umfange, die gemeinsame Hilfe erfordert, welche darum allgemeine Pflicht ist. Aber die Abwehr der Gefahr ist hier der Zweck, ihrer Weiterverbreitung soll gesteuert, größerem Unheil vorgebeugt werden. Richt des bereits eingetretenen, sondern des noch drohenden Unglücks wegen fordert die Staatsgewalt von ihren Angehörigen die thätige Hilfsleistung; und wiederum auch nur deshalb, weil eine Mehrzahl von Gefährdeten da ist, weil Keiner allein sich helfen könnte, und weil wenn Jeder nur für sich sorgte, die Gefahr für Alle sich nur vergrößern würde. So auch in andern Fällen. Wird z. B. durch Schneefall und dergl. eine Eisenbahn oder eine Land¬ straße in einer Weise verschüttet, daß nur außergewöhnliche Arbeitskraft sie dem Verkehr wieder erschließen kann, da bietet der Staat wohl seine Angehörigen zur Nothhilfe auf, aber nicht etwa, um eine einzelne eingeschneite Locomorive zu befreien, sondern um den freien Verkehr wieder zu eröffnen, um die Nach¬ theile abzuwenden, die eine längere Stockung des Verkehrs unausbleiblich für tausend und aber tausend Interessen mit sich führt; zur Abwendung dieser dem Verkehr d. h. dem Gemeinwohl drohenden Gefahr wird hier eine Hilsspflicht auferlegt, da ohne solche die zunächst Betheiligten diese Gefahr zu beseitigen nicht im Stande sein würden. Und in allen diesen Fällen kann solche Nothhilfe nur Verlangt werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/423>, abgerufen am 21.10.2024.