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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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zu Gunsten der Gestrandeten. Der Antheil des Rheders wuchs dadurch nach
Abzug der Kosten der Regel nach von V- auf aber leider waren die Be¬
amtenportionen geblieben, und nun, wo das Interesse des Fiscus nicht mehr
collidirte, wurde nur zu oft das den Bcrgern gebührende Drittel "wegen ab¬
sonderlicher Anstrengung" aus die Hälfte erhöht.

Besonders auf den -- bekanntlich auch dem preußischen Staate angehören¬
den ostfriesischen Inseln, die eben ihrer Lage wegen die bei weitem meisten
Strandungen in der deutschen Nordseeküste aufzuweisen hatten, riß das Un¬
wesen zumal unter dem Einfluß der kriegerischen Verhältnisse im Anfange dieses
Jahrhunderts so ein. daß der preußische Minister v. Haugwitz 1801 die Ost¬
friesische Strandverfassung für die härteste in allen europäischen Ländern er¬
klärte und es als nothwendig bezeichnete, "die dortige dem Geist unsrer Zeit
und der Kultur sowie der Würde unsres Staats widerstrebende strandrecht¬
liche Verfassung fördersamst in eine zweckmäßige Bergeeinrichtung zu verwan¬
deln." Allein es blieb bei der guten Absicht und bald trat wieder ein so
freches offenkundiges Ausrauben der gescheiterten Schiffe mit blutigen Kämpfen
der von allen Seiten ankommenden Räuber um die Beute ein, daß 1807 von
der holländischen Negierung den Insulanern und Bewohnern der Festlandsküste
bei 1000 Gulden Strafe das Fahren zu einem Strandungoplatze ohne schrift¬
liche Erlaubniß des Strandvogts und bei 100 Gulden selbst das Betreten des
Strandes in der Nähe eines gescheiterten Schiffs ohne gleiche Erlaubniß ver¬
boten werden mußte.

Das Resultat war, daß die zunächst berechtigten vom Strandvogt aufge¬
botenen Berger ihren Lohn mit mehr Ruhe verdienen konnten und von andern
Beutegierigen darin nicht gestört wurden; die Lage der Gestrandeten, beziehungs¬
weise der Nhrder wurde dabei nicht besser.

Es ist charakteristisch, daß in den Berichten über Strandungsfälle noch bis
in den Anfang dieses Jahrhunderts hinein von der Mannschaft meistens gar
nicht die Rede ist; nur zuweilen wird ihrer Rettung gelegentlich erwähnt, und
werden dann hohe Kosten für ihre Verpflegung liauidirt; oder es heißt kurz:
Mannschaft umgekommen, Schicksal der Besatzung unbekannt, Schiff "ohne
lebendige Equipage" angetrieben :c. Häufig allerdings kommt Streit
darüber vor, wer die Kosten für die Beerdigung der "Strandleichen" zutragen
habe. Im ganzen aber kümmert sich weder die Gesetzgebung noch die Küsten-
bcvölkerung um die Personen der Gestrandeten; nur um die Güter handelt es
sich und darum, von diesen einen thunlichst großen Antheil an sich zu bringen.
Auch in unsrem Jahrhundert ist dieser Standpunkt noch keineswegs gänzlich
überwunden, wenngleich die Praxis Dank der fortgeschrittenen Gesittung und
der besseren Negierungscontrole eine mildere geworden, auch die Gesetzgebung
aus Besserung hinzuwirken sich bemüht hat.


zu Gunsten der Gestrandeten. Der Antheil des Rheders wuchs dadurch nach
Abzug der Kosten der Regel nach von V- auf aber leider waren die Be¬
amtenportionen geblieben, und nun, wo das Interesse des Fiscus nicht mehr
collidirte, wurde nur zu oft das den Bcrgern gebührende Drittel „wegen ab¬
sonderlicher Anstrengung" aus die Hälfte erhöht.

Besonders auf den — bekanntlich auch dem preußischen Staate angehören¬
den ostfriesischen Inseln, die eben ihrer Lage wegen die bei weitem meisten
Strandungen in der deutschen Nordseeküste aufzuweisen hatten, riß das Un¬
wesen zumal unter dem Einfluß der kriegerischen Verhältnisse im Anfange dieses
Jahrhunderts so ein. daß der preußische Minister v. Haugwitz 1801 die Ost¬
friesische Strandverfassung für die härteste in allen europäischen Ländern er¬
klärte und es als nothwendig bezeichnete, „die dortige dem Geist unsrer Zeit
und der Kultur sowie der Würde unsres Staats widerstrebende strandrecht¬
liche Verfassung fördersamst in eine zweckmäßige Bergeeinrichtung zu verwan¬
deln." Allein es blieb bei der guten Absicht und bald trat wieder ein so
freches offenkundiges Ausrauben der gescheiterten Schiffe mit blutigen Kämpfen
der von allen Seiten ankommenden Räuber um die Beute ein, daß 1807 von
der holländischen Negierung den Insulanern und Bewohnern der Festlandsküste
bei 1000 Gulden Strafe das Fahren zu einem Strandungoplatze ohne schrift¬
liche Erlaubniß des Strandvogts und bei 100 Gulden selbst das Betreten des
Strandes in der Nähe eines gescheiterten Schiffs ohne gleiche Erlaubniß ver¬
boten werden mußte.

Das Resultat war, daß die zunächst berechtigten vom Strandvogt aufge¬
botenen Berger ihren Lohn mit mehr Ruhe verdienen konnten und von andern
Beutegierigen darin nicht gestört wurden; die Lage der Gestrandeten, beziehungs¬
weise der Nhrder wurde dabei nicht besser.

Es ist charakteristisch, daß in den Berichten über Strandungsfälle noch bis
in den Anfang dieses Jahrhunderts hinein von der Mannschaft meistens gar
nicht die Rede ist; nur zuweilen wird ihrer Rettung gelegentlich erwähnt, und
werden dann hohe Kosten für ihre Verpflegung liauidirt; oder es heißt kurz:
Mannschaft umgekommen, Schicksal der Besatzung unbekannt, Schiff „ohne
lebendige Equipage" angetrieben :c. Häufig allerdings kommt Streit
darüber vor, wer die Kosten für die Beerdigung der „Strandleichen" zutragen
habe. Im ganzen aber kümmert sich weder die Gesetzgebung noch die Küsten-
bcvölkerung um die Personen der Gestrandeten; nur um die Güter handelt es
sich und darum, von diesen einen thunlichst großen Antheil an sich zu bringen.
Auch in unsrem Jahrhundert ist dieser Standpunkt noch keineswegs gänzlich
überwunden, wenngleich die Praxis Dank der fortgeschrittenen Gesittung und
der besseren Negierungscontrole eine mildere geworden, auch die Gesetzgebung
aus Besserung hinzuwirken sich bemüht hat.


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[0420] zu Gunsten der Gestrandeten. Der Antheil des Rheders wuchs dadurch nach Abzug der Kosten der Regel nach von V- auf aber leider waren die Be¬ amtenportionen geblieben, und nun, wo das Interesse des Fiscus nicht mehr collidirte, wurde nur zu oft das den Bcrgern gebührende Drittel „wegen ab¬ sonderlicher Anstrengung" aus die Hälfte erhöht. Besonders auf den — bekanntlich auch dem preußischen Staate angehören¬ den ostfriesischen Inseln, die eben ihrer Lage wegen die bei weitem meisten Strandungen in der deutschen Nordseeküste aufzuweisen hatten, riß das Un¬ wesen zumal unter dem Einfluß der kriegerischen Verhältnisse im Anfange dieses Jahrhunderts so ein. daß der preußische Minister v. Haugwitz 1801 die Ost¬ friesische Strandverfassung für die härteste in allen europäischen Ländern er¬ klärte und es als nothwendig bezeichnete, „die dortige dem Geist unsrer Zeit und der Kultur sowie der Würde unsres Staats widerstrebende strandrecht¬ liche Verfassung fördersamst in eine zweckmäßige Bergeeinrichtung zu verwan¬ deln." Allein es blieb bei der guten Absicht und bald trat wieder ein so freches offenkundiges Ausrauben der gescheiterten Schiffe mit blutigen Kämpfen der von allen Seiten ankommenden Räuber um die Beute ein, daß 1807 von der holländischen Negierung den Insulanern und Bewohnern der Festlandsküste bei 1000 Gulden Strafe das Fahren zu einem Strandungoplatze ohne schrift¬ liche Erlaubniß des Strandvogts und bei 100 Gulden selbst das Betreten des Strandes in der Nähe eines gescheiterten Schiffs ohne gleiche Erlaubniß ver¬ boten werden mußte. Das Resultat war, daß die zunächst berechtigten vom Strandvogt aufge¬ botenen Berger ihren Lohn mit mehr Ruhe verdienen konnten und von andern Beutegierigen darin nicht gestört wurden; die Lage der Gestrandeten, beziehungs¬ weise der Nhrder wurde dabei nicht besser. Es ist charakteristisch, daß in den Berichten über Strandungsfälle noch bis in den Anfang dieses Jahrhunderts hinein von der Mannschaft meistens gar nicht die Rede ist; nur zuweilen wird ihrer Rettung gelegentlich erwähnt, und werden dann hohe Kosten für ihre Verpflegung liauidirt; oder es heißt kurz: Mannschaft umgekommen, Schicksal der Besatzung unbekannt, Schiff „ohne lebendige Equipage" angetrieben :c. Häufig allerdings kommt Streit darüber vor, wer die Kosten für die Beerdigung der „Strandleichen" zutragen habe. Im ganzen aber kümmert sich weder die Gesetzgebung noch die Küsten- bcvölkerung um die Personen der Gestrandeten; nur um die Güter handelt es sich und darum, von diesen einen thunlichst großen Antheil an sich zu bringen. Auch in unsrem Jahrhundert ist dieser Standpunkt noch keineswegs gänzlich überwunden, wenngleich die Praxis Dank der fortgeschrittenen Gesittung und der besseren Negierungscontrole eine mildere geworden, auch die Gesetzgebung aus Besserung hinzuwirken sich bemüht hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/420>, abgerufen am 21.10.2024.