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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Fuß des Balkan, über die Bewegung unter Serben, Kroaten und Ruthenen
unterrichtet ist. Rußlands Zukunft im Südosten und das Bündniß mit den
slawischen Brüdern in West und Süd sind die consequent festgehaltenen Grund¬
gedanken, welche die Politik der moskauischen Zeitung charakterisiren und von
dieser als Säulen jeder nationalen Staatskunst gepriesen werden, um Millionen
von gläubigen Anhängern in allen Schichten der Gesellschaft -- die höchsten
nicht ausgenommen, -- zu finden. Unter den verschiedensten Formen wird
dieses Thema unaufhörlich variirt: handelt sichs um die römische Frage, so
wird auf das Wünschenswerthe guter Beziehungen zu Frankreich (von Preußen
ist nie anders, als im Ton absichtlicher, fast mißtrauischer Kälte die Rede)
hingewiesen "aber unsere wahren, absolut zuverlässigen Alliirten sind doch nur
die slawischen Brüder an der Donau und am Bosporus", -- wird über die
friedlichen Thronreden der Beherrscher Frankreichs und Preußens berichtet, so
lautet der Refrain, "ob die Westeuropäer Friede mit einander halten, kann
uns gleichgültig sein, der Friede, welchen wir brauchen ist die brüderliche
Einigung mit den Stammesgenossen" u. s. w. Nicht mit Unrecht macht das
Organ der russischen Nationalpartei geltend, daß Nußland der einzige Staat
sei. welcher ein wirklich lebendes Interesse an den Vorgängen im europäischen
Südosten habe, daß es den übrigen Großmächten nur darauf ankomme, mög¬
lichst glimpflich über augenblickliche Verlegenheiten hinweg zu kommen. In
Westeuropa spielt alles andere eine größere Rolle, als die Frage nach der Zu¬
kunft der Türkei, -- Angelegenheiten von blos lokaler Bedeutung pra'valiren,
sobald sie irgendwo auftauchen, vor den höchsten Interessen des Welttheils.
Für Oestreich würde es am nächsten liegen, dem Beispiel Rußlands in dieser
Beziehung zu folgen.

Die englische Thronrede, die dritte, welche während des abgelaufenen
Monats gehauen worden ist, zeichnet sich, insoweit sie die europäischen Gesammt-
interessen berührt, durch eine geschäftliche Kühle aus, die deutlich bezeichnet,
daß die Abneigung gegen jede Betheiligung an continentalen Händeln bei den
Britten habituell geworden ist. Seit das französische Kaiserthum aufgehört
hat. eine Gefahr für das Inselreich zu sein und die englische Diplomatie sich
der Mühe überhoben glaubt, ein westmächt!indes Zusammengehen in den schwe¬
benden Fragen um jeden Preis herbeiführen zu müssen, ganz besonders aber,
seitdem Englands Wege sich von denen Frankreichs in Mexiko trennten und
die englischen Staatsmänner sich als die schärfer sehenden ausweisen, ist die
Nichtinterventionspolitik zum Range eines leitenden Grundsatzes der brittischen
Staatskunst erhoben worden. Kaum daß man Frankreich zu Liebe noch die pa-
piernen Feldzüge nach Polen und Schleswig unternahm. Das Fiasko, das Lord
Rüssel damals mit seinen Depeschen gemachthat, haben sich auch die Tones, deren
Tradition auf Beschäftigung mit'c'ontinentalen Angelegenheiten hinwies, zur Lehre


Fuß des Balkan, über die Bewegung unter Serben, Kroaten und Ruthenen
unterrichtet ist. Rußlands Zukunft im Südosten und das Bündniß mit den
slawischen Brüdern in West und Süd sind die consequent festgehaltenen Grund¬
gedanken, welche die Politik der moskauischen Zeitung charakterisiren und von
dieser als Säulen jeder nationalen Staatskunst gepriesen werden, um Millionen
von gläubigen Anhängern in allen Schichten der Gesellschaft — die höchsten
nicht ausgenommen, — zu finden. Unter den verschiedensten Formen wird
dieses Thema unaufhörlich variirt: handelt sichs um die römische Frage, so
wird auf das Wünschenswerthe guter Beziehungen zu Frankreich (von Preußen
ist nie anders, als im Ton absichtlicher, fast mißtrauischer Kälte die Rede)
hingewiesen „aber unsere wahren, absolut zuverlässigen Alliirten sind doch nur
die slawischen Brüder an der Donau und am Bosporus", — wird über die
friedlichen Thronreden der Beherrscher Frankreichs und Preußens berichtet, so
lautet der Refrain, „ob die Westeuropäer Friede mit einander halten, kann
uns gleichgültig sein, der Friede, welchen wir brauchen ist die brüderliche
Einigung mit den Stammesgenossen" u. s. w. Nicht mit Unrecht macht das
Organ der russischen Nationalpartei geltend, daß Nußland der einzige Staat
sei. welcher ein wirklich lebendes Interesse an den Vorgängen im europäischen
Südosten habe, daß es den übrigen Großmächten nur darauf ankomme, mög¬
lichst glimpflich über augenblickliche Verlegenheiten hinweg zu kommen. In
Westeuropa spielt alles andere eine größere Rolle, als die Frage nach der Zu¬
kunft der Türkei, — Angelegenheiten von blos lokaler Bedeutung pra'valiren,
sobald sie irgendwo auftauchen, vor den höchsten Interessen des Welttheils.
Für Oestreich würde es am nächsten liegen, dem Beispiel Rußlands in dieser
Beziehung zu folgen.

Die englische Thronrede, die dritte, welche während des abgelaufenen
Monats gehauen worden ist, zeichnet sich, insoweit sie die europäischen Gesammt-
interessen berührt, durch eine geschäftliche Kühle aus, die deutlich bezeichnet,
daß die Abneigung gegen jede Betheiligung an continentalen Händeln bei den
Britten habituell geworden ist. Seit das französische Kaiserthum aufgehört
hat. eine Gefahr für das Inselreich zu sein und die englische Diplomatie sich
der Mühe überhoben glaubt, ein westmächt!indes Zusammengehen in den schwe¬
benden Fragen um jeden Preis herbeiführen zu müssen, ganz besonders aber,
seitdem Englands Wege sich von denen Frankreichs in Mexiko trennten und
die englischen Staatsmänner sich als die schärfer sehenden ausweisen, ist die
Nichtinterventionspolitik zum Range eines leitenden Grundsatzes der brittischen
Staatskunst erhoben worden. Kaum daß man Frankreich zu Liebe noch die pa-
piernen Feldzüge nach Polen und Schleswig unternahm. Das Fiasko, das Lord
Rüssel damals mit seinen Depeschen gemachthat, haben sich auch die Tones, deren
Tradition auf Beschäftigung mit'c'ontinentalen Angelegenheiten hinwies, zur Lehre


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[0402] Fuß des Balkan, über die Bewegung unter Serben, Kroaten und Ruthenen unterrichtet ist. Rußlands Zukunft im Südosten und das Bündniß mit den slawischen Brüdern in West und Süd sind die consequent festgehaltenen Grund¬ gedanken, welche die Politik der moskauischen Zeitung charakterisiren und von dieser als Säulen jeder nationalen Staatskunst gepriesen werden, um Millionen von gläubigen Anhängern in allen Schichten der Gesellschaft — die höchsten nicht ausgenommen, — zu finden. Unter den verschiedensten Formen wird dieses Thema unaufhörlich variirt: handelt sichs um die römische Frage, so wird auf das Wünschenswerthe guter Beziehungen zu Frankreich (von Preußen ist nie anders, als im Ton absichtlicher, fast mißtrauischer Kälte die Rede) hingewiesen „aber unsere wahren, absolut zuverlässigen Alliirten sind doch nur die slawischen Brüder an der Donau und am Bosporus", — wird über die friedlichen Thronreden der Beherrscher Frankreichs und Preußens berichtet, so lautet der Refrain, „ob die Westeuropäer Friede mit einander halten, kann uns gleichgültig sein, der Friede, welchen wir brauchen ist die brüderliche Einigung mit den Stammesgenossen" u. s. w. Nicht mit Unrecht macht das Organ der russischen Nationalpartei geltend, daß Nußland der einzige Staat sei. welcher ein wirklich lebendes Interesse an den Vorgängen im europäischen Südosten habe, daß es den übrigen Großmächten nur darauf ankomme, mög¬ lichst glimpflich über augenblickliche Verlegenheiten hinweg zu kommen. In Westeuropa spielt alles andere eine größere Rolle, als die Frage nach der Zu¬ kunft der Türkei, — Angelegenheiten von blos lokaler Bedeutung pra'valiren, sobald sie irgendwo auftauchen, vor den höchsten Interessen des Welttheils. Für Oestreich würde es am nächsten liegen, dem Beispiel Rußlands in dieser Beziehung zu folgen. Die englische Thronrede, die dritte, welche während des abgelaufenen Monats gehauen worden ist, zeichnet sich, insoweit sie die europäischen Gesammt- interessen berührt, durch eine geschäftliche Kühle aus, die deutlich bezeichnet, daß die Abneigung gegen jede Betheiligung an continentalen Händeln bei den Britten habituell geworden ist. Seit das französische Kaiserthum aufgehört hat. eine Gefahr für das Inselreich zu sein und die englische Diplomatie sich der Mühe überhoben glaubt, ein westmächt!indes Zusammengehen in den schwe¬ benden Fragen um jeden Preis herbeiführen zu müssen, ganz besonders aber, seitdem Englands Wege sich von denen Frankreichs in Mexiko trennten und die englischen Staatsmänner sich als die schärfer sehenden ausweisen, ist die Nichtinterventionspolitik zum Range eines leitenden Grundsatzes der brittischen Staatskunst erhoben worden. Kaum daß man Frankreich zu Liebe noch die pa- piernen Feldzüge nach Polen und Schleswig unternahm. Das Fiasko, das Lord Rüssel damals mit seinen Depeschen gemachthat, haben sich auch die Tones, deren Tradition auf Beschäftigung mit'c'ontinentalen Angelegenheiten hinwies, zur Lehre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/402>, abgerufen am 27.09.2024.