Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.Regierung unausgesetzt mit dem Conferenzvorschlage und mit Betheuerungen Regierung unausgesetzt mit dem Conferenzvorschlage und mit Betheuerungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192155"/> <p xml:id="ID_1055" prev="#ID_1054" next="#ID_1056"> Regierung unausgesetzt mit dem Conferenzvorschlage und mit Betheuerungen<lb/> der günstigen Aufnahme desselben bald „bei der Mehrzahl der Mächte", bald<lb/> „bei sämmtlichen Staaten zweiten Ranges" beschäftigt. Man sollte glauben.<lb/> Napoleon III. habe alle seine Zukunftshoffnungen auf diese eine Karte gesetzt<lb/> und gedenke mit Hilfe dieser dem Vg. danczuc;, welches ihm von allen Seiten<lb/> zugerufen wird, Stand halten zu können. Das zweite Empire hat den Ein¬<lb/> druck eines in seinem Selbstvertrauen erschütterten politischen Körpers zu keiner<lb/> Zeit in so ausgesprochener Weise gemacht, wie während der abgelaufenen No¬<lb/> vemberwochen. Der Entschluß zu einer Einmischung in die italienischen Dinge<lb/> ist den leitenden Staatsmännern Frankreichs so schwer geworden, von so zahl¬<lb/> reichen Schwankungen und Meinungsveränderungen begleitet gewesen, daß sich klar<lb/> durchsehen ließ, die Negierung fühle sich von der öffentlichen Meinung, der<lb/> man in besseren Zeiten so oft und so selbstzufrieden ins Angesicht geschlagen,<lb/> vollkommen abhängig. Kaum sind die französischen Truppen in Civitavecchia<lb/> gelandet, die ersten Bataillone gegen die Freiwilligen von Mendana ins Feuer<lb/> geführt, so beeilt Marquis de Moustier sich bereits, aller Welt zu erklären.<lb/> Frankreich sei nicht gewillt, die in seinen Händen liegende römisch-italienische<lb/> Frage eigenwillig zu lösen, es fühle das Bedürfniß, Europas Meinung zu<lb/> hören und Verantwortung wie Entscheidung in die Hände eines Congresses<lb/> niederzulegen. Und an diesem Congreßgedanken wird von den Leitern der Geschicke<lb/> Frankreichs mit einer Zähigkeit festgehalten, die etwas von der Energie der Todes¬<lb/> angst hat. Man ladet Alle, die Großen wie die Kleinen ein, damit wenigstens Einige<lb/> kommen; nachdem wochenlang von einer Konferenz die Rede gewesen, welche<lb/> einen entscheidenden Machtspruch thun sollte, wird schließlich erklärt, wenn es<lb/> nicht anders sein könne und die streitenden Theile sich zu einer Unterordnung<lb/> unter diesen Orakelspruch nicht entschließen könnten, habe man nichts dawider,<lb/> wenn die Conferenz die streitige Frage blos diskutire und Meinungen über die¬<lb/> selbe austausche. Unter aller und jeder Bedingung soll die Conferenz zu Stande<lb/> kommen; mit oder ohne Programm, zu Discussionen oder zu Beschlüssen, mit der<lb/> Zustimmung oder gegen die Wünsche der Betheiligten, in Paris oder in München<lb/> — die französische Negierung muß den Kammern mit einem Erfolg, mit Be¬<lb/> weisstücken dafür entgegentreten, daß der Staat noch nicht um seinen europäi¬<lb/> schen Einfluß gebracht sei. Unterdessen hat die Unzufriedenheit der Feinde am<lb/> heimischen Heerde so beträchtlich zugenommen, daß jeder Morgen von einem<lb/> neuen Ausbruch des Vvlksunwillens zu erzählen hat: die Bewegung gegen das<lb/> Octroy wird nicht mehr von Arbeitern und Proletariern, sondern von Fabri¬<lb/> kanten und Notabeln getragen, im ciuartior latin ist von einem neuen „rvvoil<lb/> du, liorr" ernstlich die Rede und auf den Straßen wird so laut „Vivo QaribMi"<lb/> und ,A bu>s I'utriinAörL" gerufen, daß der Chef der kaiserlichen Palastpolizei<lb/> nicht mehr leugnen kann, diesen ominösen Ruf gehört zu haben. Die Kammern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0394]
Regierung unausgesetzt mit dem Conferenzvorschlage und mit Betheuerungen
der günstigen Aufnahme desselben bald „bei der Mehrzahl der Mächte", bald
„bei sämmtlichen Staaten zweiten Ranges" beschäftigt. Man sollte glauben.
Napoleon III. habe alle seine Zukunftshoffnungen auf diese eine Karte gesetzt
und gedenke mit Hilfe dieser dem Vg. danczuc;, welches ihm von allen Seiten
zugerufen wird, Stand halten zu können. Das zweite Empire hat den Ein¬
druck eines in seinem Selbstvertrauen erschütterten politischen Körpers zu keiner
Zeit in so ausgesprochener Weise gemacht, wie während der abgelaufenen No¬
vemberwochen. Der Entschluß zu einer Einmischung in die italienischen Dinge
ist den leitenden Staatsmännern Frankreichs so schwer geworden, von so zahl¬
reichen Schwankungen und Meinungsveränderungen begleitet gewesen, daß sich klar
durchsehen ließ, die Negierung fühle sich von der öffentlichen Meinung, der
man in besseren Zeiten so oft und so selbstzufrieden ins Angesicht geschlagen,
vollkommen abhängig. Kaum sind die französischen Truppen in Civitavecchia
gelandet, die ersten Bataillone gegen die Freiwilligen von Mendana ins Feuer
geführt, so beeilt Marquis de Moustier sich bereits, aller Welt zu erklären.
Frankreich sei nicht gewillt, die in seinen Händen liegende römisch-italienische
Frage eigenwillig zu lösen, es fühle das Bedürfniß, Europas Meinung zu
hören und Verantwortung wie Entscheidung in die Hände eines Congresses
niederzulegen. Und an diesem Congreßgedanken wird von den Leitern der Geschicke
Frankreichs mit einer Zähigkeit festgehalten, die etwas von der Energie der Todes¬
angst hat. Man ladet Alle, die Großen wie die Kleinen ein, damit wenigstens Einige
kommen; nachdem wochenlang von einer Konferenz die Rede gewesen, welche
einen entscheidenden Machtspruch thun sollte, wird schließlich erklärt, wenn es
nicht anders sein könne und die streitenden Theile sich zu einer Unterordnung
unter diesen Orakelspruch nicht entschließen könnten, habe man nichts dawider,
wenn die Conferenz die streitige Frage blos diskutire und Meinungen über die¬
selbe austausche. Unter aller und jeder Bedingung soll die Conferenz zu Stande
kommen; mit oder ohne Programm, zu Discussionen oder zu Beschlüssen, mit der
Zustimmung oder gegen die Wünsche der Betheiligten, in Paris oder in München
— die französische Negierung muß den Kammern mit einem Erfolg, mit Be¬
weisstücken dafür entgegentreten, daß der Staat noch nicht um seinen europäi¬
schen Einfluß gebracht sei. Unterdessen hat die Unzufriedenheit der Feinde am
heimischen Heerde so beträchtlich zugenommen, daß jeder Morgen von einem
neuen Ausbruch des Vvlksunwillens zu erzählen hat: die Bewegung gegen das
Octroy wird nicht mehr von Arbeitern und Proletariern, sondern von Fabri¬
kanten und Notabeln getragen, im ciuartior latin ist von einem neuen „rvvoil
du, liorr" ernstlich die Rede und auf den Straßen wird so laut „Vivo QaribMi"
und ,A bu>s I'utriinAörL" gerufen, daß der Chef der kaiserlichen Palastpolizei
nicht mehr leugnen kann, diesen ominösen Ruf gehört zu haben. Die Kammern
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