Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schritt ist in den Ostseeprovinzen nur im Bunde mit dem deutschen Element
möglich, jeder andere Weg führt unfehlbar zur Barbarei. In einem aristokra¬
tischen Lande, dessen Bildung Jahrhunderte lang von einer Schicht der Be¬
völkerung getragen wurde, schließen sich alle tüchtigen und wirklich strebsamen
Kräfte dieser an. Die Opposition gegen ihre Herrschaft fällt zusammen mit
der Oppsition gegen die Bildung, mit welcher sie sich ein Mal identificirt hat;
soll die natürliche Entwickelung ihren Verlauf nehmen und zum Ziel gelangen,
so kann das nur dadurch geschehen, daß alle Bewohner des Landes schließlich
zur herrschenden Classe gehören und in diese aufgehen. Der umgekehrte Ver¬
lauf, -- im vorliegenden Fall der, den die russische Demokratie verlangt, --
würde zu einem Bildungsrückschritt, zum Herabsinken auf eine niedere Stufe
führen. Wenn die moskauer nationalen des Glaubens sind, mit ihrer Hilfe
werde es gelingen, die Letten und Ehlen sofort zu einer höheren, das deutsche
Niveau überragenden Bildungsstufe zu führen, so bewegen sie sich in einem
Irrthum der gröbsten Art. Weder kommt die Cultur des inneren Rußlands
der der Ostseeprovinzen gleich, noch besitzt Rußland das Maß an überschüssigen
Vildungskräften, das erforderlich wäre, um das deutsche Arbeitsfeld am riga¬
ischen und finnischen Meerbusen zu überfluthen. Die Arbeit, welche die Deut-
schen in Liv-, Est- und Kurland nicht thun, bleibt überhaupt umgethan -- schon
ihren passiven Widerstand zu brechen, müßten russische Kräfte aufgeboten werden,
die in ihrer Heimat besser verwerthet würden und welche kaum aufzubringen
wären. Wo sollten gar die Mittel herkommen, um das Zerstörte neu aufzubauen
und den Ausfall an vorgethaner Arbeit zu ersetzen, der durch die Vernichtung siebcn-
bundertjährigcr Thätigkeit nothwendig entstünde? Gerade derjenige Stand, auf
den es hauptsächlich ankäme, der gebildete Mittelstand fehlt in Rußland noch
immer -- Hunderte russischer Lehrstühle in Gymnasien und Universitäten, Volks¬
schulen und Fachanstalten stehen Jahr aus und Jahr ein leer, -- wer soll die Hun¬
derte lutherischer Prediger und Cantoren, die Gelehrten, Techniker und Geschäfts¬
leute ersetzen, welche in Liv-, Est- und Kurland wirken? Sollen diese aufhören, aus
dem Quell deutscher Bildung zu schöpfen, in deutschem Geist zu wirken und
durch die überschüssigen Kräfte, die das Mutterland noch täglich seiner vergesse¬
nen Colonie spendet, regenerirt zu werden, so hören sie auf zu sein, was sie
waren, sind sie um das beste Theil ihrer Arbeits-Macht und Lust gebracht.

Die idealen Triebfedern, welche den Menschen zur Anspannung seiner
Kräfte begeistern und ihm die Fähigkeit verleihen, über die Grenze dessen, was er
zur gegebenen Zeit vermag, rastlos hinauszustrebcn, sie lassen sich nicht will¬
kürlich wie Triebräder einer Maschine ausnehmen und durch neue ersetzen. Ein
Stamm, der durch nahezu ein Jahrtausend in deutschem Geiste thätig gewesen
ist. vermag nicht, auch wenn er wollen konnte, im Handumdrchn ein anderer
zu werden und seine alten Ideale mit slawisch-byzantinischen zu vertauschen.


schritt ist in den Ostseeprovinzen nur im Bunde mit dem deutschen Element
möglich, jeder andere Weg führt unfehlbar zur Barbarei. In einem aristokra¬
tischen Lande, dessen Bildung Jahrhunderte lang von einer Schicht der Be¬
völkerung getragen wurde, schließen sich alle tüchtigen und wirklich strebsamen
Kräfte dieser an. Die Opposition gegen ihre Herrschaft fällt zusammen mit
der Oppsition gegen die Bildung, mit welcher sie sich ein Mal identificirt hat;
soll die natürliche Entwickelung ihren Verlauf nehmen und zum Ziel gelangen,
so kann das nur dadurch geschehen, daß alle Bewohner des Landes schließlich
zur herrschenden Classe gehören und in diese aufgehen. Der umgekehrte Ver¬
lauf, — im vorliegenden Fall der, den die russische Demokratie verlangt, —
würde zu einem Bildungsrückschritt, zum Herabsinken auf eine niedere Stufe
führen. Wenn die moskauer nationalen des Glaubens sind, mit ihrer Hilfe
werde es gelingen, die Letten und Ehlen sofort zu einer höheren, das deutsche
Niveau überragenden Bildungsstufe zu führen, so bewegen sie sich in einem
Irrthum der gröbsten Art. Weder kommt die Cultur des inneren Rußlands
der der Ostseeprovinzen gleich, noch besitzt Rußland das Maß an überschüssigen
Vildungskräften, das erforderlich wäre, um das deutsche Arbeitsfeld am riga¬
ischen und finnischen Meerbusen zu überfluthen. Die Arbeit, welche die Deut-
schen in Liv-, Est- und Kurland nicht thun, bleibt überhaupt umgethan — schon
ihren passiven Widerstand zu brechen, müßten russische Kräfte aufgeboten werden,
die in ihrer Heimat besser verwerthet würden und welche kaum aufzubringen
wären. Wo sollten gar die Mittel herkommen, um das Zerstörte neu aufzubauen
und den Ausfall an vorgethaner Arbeit zu ersetzen, der durch die Vernichtung siebcn-
bundertjährigcr Thätigkeit nothwendig entstünde? Gerade derjenige Stand, auf
den es hauptsächlich ankäme, der gebildete Mittelstand fehlt in Rußland noch
immer — Hunderte russischer Lehrstühle in Gymnasien und Universitäten, Volks¬
schulen und Fachanstalten stehen Jahr aus und Jahr ein leer, — wer soll die Hun¬
derte lutherischer Prediger und Cantoren, die Gelehrten, Techniker und Geschäfts¬
leute ersetzen, welche in Liv-, Est- und Kurland wirken? Sollen diese aufhören, aus
dem Quell deutscher Bildung zu schöpfen, in deutschem Geist zu wirken und
durch die überschüssigen Kräfte, die das Mutterland noch täglich seiner vergesse¬
nen Colonie spendet, regenerirt zu werden, so hören sie auf zu sein, was sie
waren, sind sie um das beste Theil ihrer Arbeits-Macht und Lust gebracht.

Die idealen Triebfedern, welche den Menschen zur Anspannung seiner
Kräfte begeistern und ihm die Fähigkeit verleihen, über die Grenze dessen, was er
zur gegebenen Zeit vermag, rastlos hinauszustrebcn, sie lassen sich nicht will¬
kürlich wie Triebräder einer Maschine ausnehmen und durch neue ersetzen. Ein
Stamm, der durch nahezu ein Jahrtausend in deutschem Geiste thätig gewesen
ist. vermag nicht, auch wenn er wollen konnte, im Handumdrchn ein anderer
zu werden und seine alten Ideale mit slawisch-byzantinischen zu vertauschen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192143"/>
            <p xml:id="ID_1023" prev="#ID_1022"> schritt ist in den Ostseeprovinzen nur im Bunde mit dem deutschen Element<lb/>
möglich, jeder andere Weg führt unfehlbar zur Barbarei. In einem aristokra¬<lb/>
tischen Lande, dessen Bildung Jahrhunderte lang von einer Schicht der Be¬<lb/>
völkerung getragen wurde, schließen sich alle tüchtigen und wirklich strebsamen<lb/>
Kräfte dieser an. Die Opposition gegen ihre Herrschaft fällt zusammen mit<lb/>
der Oppsition gegen die Bildung, mit welcher sie sich ein Mal identificirt hat;<lb/>
soll die natürliche Entwickelung ihren Verlauf nehmen und zum Ziel gelangen,<lb/>
so kann das nur dadurch geschehen, daß alle Bewohner des Landes schließlich<lb/>
zur herrschenden Classe gehören und in diese aufgehen. Der umgekehrte Ver¬<lb/>
lauf, &#x2014; im vorliegenden Fall der, den die russische Demokratie verlangt, &#x2014;<lb/>
würde zu einem Bildungsrückschritt, zum Herabsinken auf eine niedere Stufe<lb/>
führen. Wenn die moskauer nationalen des Glaubens sind, mit ihrer Hilfe<lb/>
werde es gelingen, die Letten und Ehlen sofort zu einer höheren, das deutsche<lb/>
Niveau überragenden Bildungsstufe zu führen, so bewegen sie sich in einem<lb/>
Irrthum der gröbsten Art. Weder kommt die Cultur des inneren Rußlands<lb/>
der der Ostseeprovinzen gleich, noch besitzt Rußland das Maß an überschüssigen<lb/>
Vildungskräften, das erforderlich wäre, um das deutsche Arbeitsfeld am riga¬<lb/>
ischen und finnischen Meerbusen zu überfluthen. Die Arbeit, welche die Deut-<lb/>
schen in Liv-, Est- und Kurland nicht thun, bleibt überhaupt umgethan &#x2014; schon<lb/>
ihren passiven Widerstand zu brechen, müßten russische Kräfte aufgeboten werden,<lb/>
die in ihrer Heimat besser verwerthet würden und welche kaum aufzubringen<lb/>
wären. Wo sollten gar die Mittel herkommen, um das Zerstörte neu aufzubauen<lb/>
und den Ausfall an vorgethaner Arbeit zu ersetzen, der durch die Vernichtung siebcn-<lb/>
bundertjährigcr Thätigkeit nothwendig entstünde? Gerade derjenige Stand, auf<lb/>
den es hauptsächlich ankäme, der gebildete Mittelstand fehlt in Rußland noch<lb/>
immer &#x2014; Hunderte russischer Lehrstühle in Gymnasien und Universitäten, Volks¬<lb/>
schulen und Fachanstalten stehen Jahr aus und Jahr ein leer, &#x2014; wer soll die Hun¬<lb/>
derte lutherischer Prediger und Cantoren, die Gelehrten, Techniker und Geschäfts¬<lb/>
leute ersetzen, welche in Liv-, Est- und Kurland wirken? Sollen diese aufhören, aus<lb/>
dem Quell deutscher Bildung zu schöpfen, in deutschem Geist zu wirken und<lb/>
durch die überschüssigen Kräfte, die das Mutterland noch täglich seiner vergesse¬<lb/>
nen Colonie spendet, regenerirt zu werden, so hören sie auf zu sein, was sie<lb/>
waren, sind sie um das beste Theil ihrer Arbeits-Macht und Lust gebracht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Die idealen Triebfedern, welche den Menschen zur Anspannung seiner<lb/>
Kräfte begeistern und ihm die Fähigkeit verleihen, über die Grenze dessen, was er<lb/>
zur gegebenen Zeit vermag, rastlos hinauszustrebcn, sie lassen sich nicht will¬<lb/>
kürlich wie Triebräder einer Maschine ausnehmen und durch neue ersetzen. Ein<lb/>
Stamm, der durch nahezu ein Jahrtausend in deutschem Geiste thätig gewesen<lb/>
ist. vermag nicht, auch wenn er wollen konnte, im Handumdrchn ein anderer<lb/>
zu werden und seine alten Ideale mit slawisch-byzantinischen zu vertauschen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0382] schritt ist in den Ostseeprovinzen nur im Bunde mit dem deutschen Element möglich, jeder andere Weg führt unfehlbar zur Barbarei. In einem aristokra¬ tischen Lande, dessen Bildung Jahrhunderte lang von einer Schicht der Be¬ völkerung getragen wurde, schließen sich alle tüchtigen und wirklich strebsamen Kräfte dieser an. Die Opposition gegen ihre Herrschaft fällt zusammen mit der Oppsition gegen die Bildung, mit welcher sie sich ein Mal identificirt hat; soll die natürliche Entwickelung ihren Verlauf nehmen und zum Ziel gelangen, so kann das nur dadurch geschehen, daß alle Bewohner des Landes schließlich zur herrschenden Classe gehören und in diese aufgehen. Der umgekehrte Ver¬ lauf, — im vorliegenden Fall der, den die russische Demokratie verlangt, — würde zu einem Bildungsrückschritt, zum Herabsinken auf eine niedere Stufe führen. Wenn die moskauer nationalen des Glaubens sind, mit ihrer Hilfe werde es gelingen, die Letten und Ehlen sofort zu einer höheren, das deutsche Niveau überragenden Bildungsstufe zu führen, so bewegen sie sich in einem Irrthum der gröbsten Art. Weder kommt die Cultur des inneren Rußlands der der Ostseeprovinzen gleich, noch besitzt Rußland das Maß an überschüssigen Vildungskräften, das erforderlich wäre, um das deutsche Arbeitsfeld am riga¬ ischen und finnischen Meerbusen zu überfluthen. Die Arbeit, welche die Deut- schen in Liv-, Est- und Kurland nicht thun, bleibt überhaupt umgethan — schon ihren passiven Widerstand zu brechen, müßten russische Kräfte aufgeboten werden, die in ihrer Heimat besser verwerthet würden und welche kaum aufzubringen wären. Wo sollten gar die Mittel herkommen, um das Zerstörte neu aufzubauen und den Ausfall an vorgethaner Arbeit zu ersetzen, der durch die Vernichtung siebcn- bundertjährigcr Thätigkeit nothwendig entstünde? Gerade derjenige Stand, auf den es hauptsächlich ankäme, der gebildete Mittelstand fehlt in Rußland noch immer — Hunderte russischer Lehrstühle in Gymnasien und Universitäten, Volks¬ schulen und Fachanstalten stehen Jahr aus und Jahr ein leer, — wer soll die Hun¬ derte lutherischer Prediger und Cantoren, die Gelehrten, Techniker und Geschäfts¬ leute ersetzen, welche in Liv-, Est- und Kurland wirken? Sollen diese aufhören, aus dem Quell deutscher Bildung zu schöpfen, in deutschem Geist zu wirken und durch die überschüssigen Kräfte, die das Mutterland noch täglich seiner vergesse¬ nen Colonie spendet, regenerirt zu werden, so hören sie auf zu sein, was sie waren, sind sie um das beste Theil ihrer Arbeits-Macht und Lust gebracht. Die idealen Triebfedern, welche den Menschen zur Anspannung seiner Kräfte begeistern und ihm die Fähigkeit verleihen, über die Grenze dessen, was er zur gegebenen Zeit vermag, rastlos hinauszustrebcn, sie lassen sich nicht will¬ kürlich wie Triebräder einer Maschine ausnehmen und durch neue ersetzen. Ein Stamm, der durch nahezu ein Jahrtausend in deutschem Geiste thätig gewesen ist. vermag nicht, auch wenn er wollen konnte, im Handumdrchn ein anderer zu werden und seine alten Ideale mit slawisch-byzantinischen zu vertauschen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/382
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/382>, abgerufen am 20.10.2024.