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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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waren, -- von einer neuen Aera ist nicht die Rede und die Verschmelzung der
vorhandenen Staatsschulden soll nur "so weit als möglich" vorgenommen werden
d. h, unvollständig bleiben. Der Reichskanzler von Reuse, der seine Neise nach
Sachsen mit Trostredcn an die Industriellen Mährens bezeichnet hat, ist seinen
Zuhörern leider jede Andeutung darüber schuldig geblieben, wie er zu der Schul¬
denverschmelzungsfrage steht und doch könnte es leicht geschehen, daß der Aus'
gang derselben für seineeigne Zukunft entscheidend wird. Wir fürchten des Herrn
v. BeustStcllung zu technisch-finanziellenFragen ist ebenso unverändert dieselbe ge¬
blieben, wie sein Verhältniß zum "deutschen Liede". Daß sich keines der Systeme,
mit denen man es seit 1859 in Wien versucht hat, auf die Dauer behaupten
konnte, daran hat der Umstand, daß weder Schmerling noch Bclcredi ein eigenes
lebensfähiges Programm für die Finanzfragen des Kaiserstaats oder ihrer Auf¬
gabe gewachsene Fiuanznünister mitbrachten, seinen beträchtlichen Antheil
gehabt. Mit einer wirklichen Regelung des östreichischen Finanzwesens würde
ein k. k. Staatsmann wenigstens die große Partei derer auf seine Seite brin¬
gen, denen eine Besserung der wirthschaftlichen Zustände wichtiger oder ebenso
wichtig ist, als die Auffindung einer Staatsform diezuglcich Centralistcn, Föderalisten
und Dualisten befriedigt und die Zahl der Leute, welche zu dieser Partei gehören,
ist in Oestreich größer, als sonst irgendwo. So lange das Verhältniß zu Un¬
garn eine offene Frage war, Schleswig-Holstein und Venetien jeden Augenblick
zu easus belli werden konnten, ließen sich die Ungunst der Geldverhältnisse
und die Zunahme des Deficits mit den Schwierigkeiten der politischen Lage ent¬
schuldigen. Seit die Elbherzogthümer, die adriatische Hafenstadt und das be¬
rühmte Festungsviereck nicht mehr in Frage kommen und die Grundlinien für
das künftige Reichsgebäude gezogen sind, steht es anders oder könnte es anders
stehen; die Geschäftswelt des Kaiserstaats ist aber immer noch darauf angewiesen
von Hoffnungen und Versprechungen zu leben und der leitende Staatsmann ist
nichts weniger als Financier, sondern ein Mann der großen Politik, der die
Fragen, welche technische Kenntnisse verlangen, kleinen Leuten überläßt. So
lange man die Besserung der Finanzen in Wien nicht als Selbstzweck, sondern nur als
Mittel zur Wiederaufnahme eines hohen Spiels in der großen Politik ansieht,
Wird das Beustsche System aber die Unterstützung der Leute, welche das Fort¬
bestehen des Staats nur für berechtigt halten, wenn dasselbe zu einer erträgli¬
chen Existenz der Staatsbürger führt, entbehren müssen. An den ernsthaften
Entschluß der Hofburg, den Staatszweck nicht mehr in der Erreichung traditio¬
neller Ziele der auswärtigen Politik zu suchen, sondern dem Wohl der eignen
Völker zu leben, werden auch die Böscnleute erst glauben, wenn man in Wien
einen ehrlichen Frieden mit dem norddeutschen Bunde schließt und Preußen
die Möglichkeit bietet, fortan wo anders als in Nußland Verbündete zu suchen.

Was man aus Wien über die neuesten Stadien der orientalischen Ange-


Nrenzbotcn IV. 1867. ö

waren, — von einer neuen Aera ist nicht die Rede und die Verschmelzung der
vorhandenen Staatsschulden soll nur „so weit als möglich" vorgenommen werden
d. h, unvollständig bleiben. Der Reichskanzler von Reuse, der seine Neise nach
Sachsen mit Trostredcn an die Industriellen Mährens bezeichnet hat, ist seinen
Zuhörern leider jede Andeutung darüber schuldig geblieben, wie er zu der Schul¬
denverschmelzungsfrage steht und doch könnte es leicht geschehen, daß der Aus'
gang derselben für seineeigne Zukunft entscheidend wird. Wir fürchten des Herrn
v. BeustStcllung zu technisch-finanziellenFragen ist ebenso unverändert dieselbe ge¬
blieben, wie sein Verhältniß zum „deutschen Liede". Daß sich keines der Systeme,
mit denen man es seit 1859 in Wien versucht hat, auf die Dauer behaupten
konnte, daran hat der Umstand, daß weder Schmerling noch Bclcredi ein eigenes
lebensfähiges Programm für die Finanzfragen des Kaiserstaats oder ihrer Auf¬
gabe gewachsene Fiuanznünister mitbrachten, seinen beträchtlichen Antheil
gehabt. Mit einer wirklichen Regelung des östreichischen Finanzwesens würde
ein k. k. Staatsmann wenigstens die große Partei derer auf seine Seite brin¬
gen, denen eine Besserung der wirthschaftlichen Zustände wichtiger oder ebenso
wichtig ist, als die Auffindung einer Staatsform diezuglcich Centralistcn, Föderalisten
und Dualisten befriedigt und die Zahl der Leute, welche zu dieser Partei gehören,
ist in Oestreich größer, als sonst irgendwo. So lange das Verhältniß zu Un¬
garn eine offene Frage war, Schleswig-Holstein und Venetien jeden Augenblick
zu easus belli werden konnten, ließen sich die Ungunst der Geldverhältnisse
und die Zunahme des Deficits mit den Schwierigkeiten der politischen Lage ent¬
schuldigen. Seit die Elbherzogthümer, die adriatische Hafenstadt und das be¬
rühmte Festungsviereck nicht mehr in Frage kommen und die Grundlinien für
das künftige Reichsgebäude gezogen sind, steht es anders oder könnte es anders
stehen; die Geschäftswelt des Kaiserstaats ist aber immer noch darauf angewiesen
von Hoffnungen und Versprechungen zu leben und der leitende Staatsmann ist
nichts weniger als Financier, sondern ein Mann der großen Politik, der die
Fragen, welche technische Kenntnisse verlangen, kleinen Leuten überläßt. So
lange man die Besserung der Finanzen in Wien nicht als Selbstzweck, sondern nur als
Mittel zur Wiederaufnahme eines hohen Spiels in der großen Politik ansieht,
Wird das Beustsche System aber die Unterstützung der Leute, welche das Fort¬
bestehen des Staats nur für berechtigt halten, wenn dasselbe zu einer erträgli¬
chen Existenz der Staatsbürger führt, entbehren müssen. An den ernsthaften
Entschluß der Hofburg, den Staatszweck nicht mehr in der Erreichung traditio¬
neller Ziele der auswärtigen Politik zu suchen, sondern dem Wohl der eignen
Völker zu leben, werden auch die Böscnleute erst glauben, wenn man in Wien
einen ehrlichen Frieden mit dem norddeutschen Bunde schließt und Preußen
die Möglichkeit bietet, fortan wo anders als in Nußland Verbündete zu suchen.

Was man aus Wien über die neuesten Stadien der orientalischen Ange-


Nrenzbotcn IV. 1867. ö
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/37>, abgerufen am 27.09.2024.