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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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hatte sich nur verbindlich gemacht, das päpstliche Gebiet gegen von Außen ?om-
wende Angriffe zu vertheidigen, die Eventualität einer Erhebung des römischen
Volkes selbst, war nicht vorgesehen. Als die Convention zu einem Minister-
Wechsel in Turin Anlaß gegeben und der General Lamarmora, vom König zur
Bildung eines neuen Cabinets berufen, nach Paris eilte, um den Kaiser auf
diese Lücken aufmerksam zu machen und ita zu erklären, daß es Italien in
diesem Falle unmöglich sein würde, die Römer zurückzuweisen, antwortete Na¬
poleon nur mit feinem Lächeln: "Warum wollen Sie mir meine Illusionen
nehmen?" Larmarmora verstand und acceptirte, man blieb in Florenz überzeugt
daß. falls die Römer sich mit Italien vereinigen wollten, Frankreich nicht inter"
veniren würde. Es mag sein, daß Napoleon dieser Eventualität unter Beru¬
fung auf das Nichtinterventionsprincip passiv zugesehen hätte, aber sie trat
nicht ein, die Convention ward in allen Punkten ausgeführt, die Residenz nach
Florenz verlegt, die Franzosen zogen im Dezember ab, der Papst blieb
allein mit seinen Zuavcn und der Legion von Antibes, aber die Römer rühr¬
ten sich nickt und es war lediglich von Außen, daß eine neue Krisis in diesem
Herbste heraufbeschworen ward. Garibaldi, von dem traurigen Genfer Friedens-
congreß zurückkehrend, erhob die Fahne des Aufstandes, Natazzi, der ihn nicht
liebt, dagegen bisher durchaus der Mann der französischen Allianz war und
grade seine Fäden in Paris angeknüpft hatte, um über eine Revision der Sep¬
temberconvention zu unterhandeln, ließ ihn festnehmen. Aber einerseits brachte
dies eine große Agitation hervor, welche seine Popularität und ministerielle
Existenz bedrohte, andererseits erhielt er von seiner unruhigen und intriganten
Frau, die grade in Paris das Terrain sortirte, die Versicherung, der Kaiser
werbe sich einem Aufstand gegen Rom nicht widersetzen, sondern protestirend
gewähren lassen. Aber Madame Ratazzi und ihre Gönner waren falsch be¬
richtet, der Kaiser wußte sehr wohl, daß der Sturz des Papstes gegen ihn einen
gefährlichen Sturm in Frankreich heraufbeschwören würde, er ließ also in Flo¬
renz wissen, daß, falls die italienische Regierung nicht im Stande sei, die Scp-
temberconvention aufrecht zu erhalten, er sich genöthigt sehen würde, zu inter-
veniren. Natazzi antwortete, daß in diesem Falle Italien vor Frankreich in
Rom sein werde. Hätte die italienische Regierung diese Drohung wahr ge¬
macht, so wäre möglicherweise im entscheidenden Augenblick Napoleon zurückge¬
treten, da der Konflikt mit Italien höchst wahrscheinlich auch den mit Preußen
hätte herbeiführen müssen, indeß diese Frage wurde nicht praktisch. Viktor
Emanuel weigerte sich, seinem Minister zu folgen und beauftragte Cialdini mit
der Bildung eines neuen Ministeriums. Während derselbe sich aber vergeblich
damit abmühte, blieb Ratazzi faktisch noch Minister und benutzte dies, um sich
zu rächen. Er ließ den inzwischen von Caprera entsprungenen Garibaldi in Flo¬
renz unbehelligt eintreffen, während zweier Tage seine Vorbereitungen treffen


hatte sich nur verbindlich gemacht, das päpstliche Gebiet gegen von Außen ?om-
wende Angriffe zu vertheidigen, die Eventualität einer Erhebung des römischen
Volkes selbst, war nicht vorgesehen. Als die Convention zu einem Minister-
Wechsel in Turin Anlaß gegeben und der General Lamarmora, vom König zur
Bildung eines neuen Cabinets berufen, nach Paris eilte, um den Kaiser auf
diese Lücken aufmerksam zu machen und ita zu erklären, daß es Italien in
diesem Falle unmöglich sein würde, die Römer zurückzuweisen, antwortete Na¬
poleon nur mit feinem Lächeln: „Warum wollen Sie mir meine Illusionen
nehmen?" Larmarmora verstand und acceptirte, man blieb in Florenz überzeugt
daß. falls die Römer sich mit Italien vereinigen wollten, Frankreich nicht inter»
veniren würde. Es mag sein, daß Napoleon dieser Eventualität unter Beru¬
fung auf das Nichtinterventionsprincip passiv zugesehen hätte, aber sie trat
nicht ein, die Convention ward in allen Punkten ausgeführt, die Residenz nach
Florenz verlegt, die Franzosen zogen im Dezember ab, der Papst blieb
allein mit seinen Zuavcn und der Legion von Antibes, aber die Römer rühr¬
ten sich nickt und es war lediglich von Außen, daß eine neue Krisis in diesem
Herbste heraufbeschworen ward. Garibaldi, von dem traurigen Genfer Friedens-
congreß zurückkehrend, erhob die Fahne des Aufstandes, Natazzi, der ihn nicht
liebt, dagegen bisher durchaus der Mann der französischen Allianz war und
grade seine Fäden in Paris angeknüpft hatte, um über eine Revision der Sep¬
temberconvention zu unterhandeln, ließ ihn festnehmen. Aber einerseits brachte
dies eine große Agitation hervor, welche seine Popularität und ministerielle
Existenz bedrohte, andererseits erhielt er von seiner unruhigen und intriganten
Frau, die grade in Paris das Terrain sortirte, die Versicherung, der Kaiser
werbe sich einem Aufstand gegen Rom nicht widersetzen, sondern protestirend
gewähren lassen. Aber Madame Ratazzi und ihre Gönner waren falsch be¬
richtet, der Kaiser wußte sehr wohl, daß der Sturz des Papstes gegen ihn einen
gefährlichen Sturm in Frankreich heraufbeschwören würde, er ließ also in Flo¬
renz wissen, daß, falls die italienische Regierung nicht im Stande sei, die Scp-
temberconvention aufrecht zu erhalten, er sich genöthigt sehen würde, zu inter-
veniren. Natazzi antwortete, daß in diesem Falle Italien vor Frankreich in
Rom sein werde. Hätte die italienische Regierung diese Drohung wahr ge¬
macht, so wäre möglicherweise im entscheidenden Augenblick Napoleon zurückge¬
treten, da der Konflikt mit Italien höchst wahrscheinlich auch den mit Preußen
hätte herbeiführen müssen, indeß diese Frage wurde nicht praktisch. Viktor
Emanuel weigerte sich, seinem Minister zu folgen und beauftragte Cialdini mit
der Bildung eines neuen Ministeriums. Während derselbe sich aber vergeblich
damit abmühte, blieb Ratazzi faktisch noch Minister und benutzte dies, um sich
zu rächen. Er ließ den inzwischen von Caprera entsprungenen Garibaldi in Flo¬
renz unbehelligt eintreffen, während zweier Tage seine Vorbereitungen treffen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/357>, abgerufen am 27.09.2024.