Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.Phalanx auf, daß einem fast bange werden könnte. Zwischen beiden aber Noch vor einem halben Jahrhundert und später war das anders. Lang¬ Phalanx auf, daß einem fast bange werden könnte. Zwischen beiden aber Noch vor einem halben Jahrhundert und später war das anders. Lang¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192109"/> <p xml:id="ID_940" prev="#ID_939"> Phalanx auf, daß einem fast bange werden könnte. Zwischen beiden aber<lb/> schreiten die ernsteren Erzeugnisse der Presse in dem gewohnten Umfange ein¬<lb/> her, der in den Wochen des Hundssternes unbedeutend abnimmt und in<lb/> den Tagen der heiligen Weihnacht kaum anschwillt. Und darin beruht der<lb/> Segen dieser langsamer veraltenden Literatur, wenigstens für den Verleger.<lb/> Wer mit ängstlicher Eile bedacht sein muß, daß er seine Brochüre und Belletri¬<lb/> stik zur günstigsten Zeit auf den Markt werfe, weiß, wie leicht er Maculatur<lb/> druckt. Heute bewegt eine Frage alle Gemüther; einige Bogen, die sich hierauf<lb/> beziehen, fänden willige Käufer. Rasch ist das Heft geschrieben, gedruckt, ver¬<lb/> sandt. Der Sortimenter, der meist optimistisch zu Werke geht, verlangt zu<lb/> den erhaltenen Exemplaren eine größere Anzahl nach; aber die Auflage ist ver¬<lb/> griffen, aufs neue fliegt das Rad der Maschine, eine zweite Auflage wird<lb/> gedruckt. Schneller noch aber rollt das Rad der Zeit, und die Frage ist<lb/> schon seit acht Tagen gelöst oder veraltet, wenn die Hefte bei den Sortimentern<lb/> ankommen. Und übers Jahr kehren in verdrießender Anzahl mit dem Storche<lb/> die „Krebse" zum Verleger zurück, damit er aufs neue bestätigt finde, was er<lb/> längst wußte. Aehnlich aber ist es auf dem Gebiete der Belletristik.</p><lb/> <p xml:id="ID_941" next="#ID_942"> Noch vor einem halben Jahrhundert und später war das anders. Lang¬<lb/> sam war der geistige Verkehr. Der Frachtwagen überbrachte träge rollend die<lb/> Masse ter Bücher; Dringlicheres sandte man mit «fahrender Post". „Reitend"<lb/> oder durch den Expressen ward nur befördert, wa.' gar keinen Aufschub litt.<lb/> Heute aber würde auch ein Phlegmatiker den Stoßseufzer jenes leipziger Ver¬<lb/> legers gerechtfertigt finden, der um die Zeit des Wartvurgfestes jammert, daß er<lb/> eine Antwort von Jena nie unter fünf Tagen haben könne, der sein aus jener<lb/> Stadt stammendes Dienstmädchen gelegentlich eines Besuches bei ihren Eltern<lb/> zu seinem Autor schickt, damit dieser von dem glücklichen Zufall sicherer und<lb/> rascher Vermittelung für seine Manuskripte Gebrauch mache. Der elektrische<lb/> Funke der Gegenwart arbeitet auch in unserm Blute und der Buchhändler weiß<lb/> davon zu erzählen. Mit Eilzug kommt der Bücherballen von Leipzig an;<lb/> rasch wird er geöffnet, man ordnet die Journale, das Bestellte, die neuerschie¬<lb/> nenen Bücher, und wenige Stunden daraus ist der Ballen in einzelnen Packeten<lb/> und Zeitungsnummern hinausgejagt, als hinge das Glück der Welt davon ab,<lb/> daß man die Novelle eines Modejournalö, eines Unterhaltungsblattes heute<lb/> anstatt morgen zu Ende lese. Ja selbst die Vermittelung der Post genügt oft<lb/> nicht mehr. Wenn der gothaisch! genealogische Kalender oder sonst ein Auf¬<lb/> sehen erregendes Buch erscheint, wandern die Packete sogar als Passagicrgut nach<lb/> den verschiedenen Bahnhöfen Leipzigs, und selbst aus einer weitentfernten Haupt-<lb/> stadt kamen jüngst einem bestimmten Buche zu lieb die Sendboten großer<lb/> Firmen, um mit dem nächsten Courierzuge zu den heimatlichen Penaten<lb/> zu entführen, was dort sehnsüchtig erwartet wurde. Nach vier Wochen aber</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0348]
Phalanx auf, daß einem fast bange werden könnte. Zwischen beiden aber
schreiten die ernsteren Erzeugnisse der Presse in dem gewohnten Umfange ein¬
her, der in den Wochen des Hundssternes unbedeutend abnimmt und in
den Tagen der heiligen Weihnacht kaum anschwillt. Und darin beruht der
Segen dieser langsamer veraltenden Literatur, wenigstens für den Verleger.
Wer mit ängstlicher Eile bedacht sein muß, daß er seine Brochüre und Belletri¬
stik zur günstigsten Zeit auf den Markt werfe, weiß, wie leicht er Maculatur
druckt. Heute bewegt eine Frage alle Gemüther; einige Bogen, die sich hierauf
beziehen, fänden willige Käufer. Rasch ist das Heft geschrieben, gedruckt, ver¬
sandt. Der Sortimenter, der meist optimistisch zu Werke geht, verlangt zu
den erhaltenen Exemplaren eine größere Anzahl nach; aber die Auflage ist ver¬
griffen, aufs neue fliegt das Rad der Maschine, eine zweite Auflage wird
gedruckt. Schneller noch aber rollt das Rad der Zeit, und die Frage ist
schon seit acht Tagen gelöst oder veraltet, wenn die Hefte bei den Sortimentern
ankommen. Und übers Jahr kehren in verdrießender Anzahl mit dem Storche
die „Krebse" zum Verleger zurück, damit er aufs neue bestätigt finde, was er
längst wußte. Aehnlich aber ist es auf dem Gebiete der Belletristik.
Noch vor einem halben Jahrhundert und später war das anders. Lang¬
sam war der geistige Verkehr. Der Frachtwagen überbrachte träge rollend die
Masse ter Bücher; Dringlicheres sandte man mit «fahrender Post". „Reitend"
oder durch den Expressen ward nur befördert, wa.' gar keinen Aufschub litt.
Heute aber würde auch ein Phlegmatiker den Stoßseufzer jenes leipziger Ver¬
legers gerechtfertigt finden, der um die Zeit des Wartvurgfestes jammert, daß er
eine Antwort von Jena nie unter fünf Tagen haben könne, der sein aus jener
Stadt stammendes Dienstmädchen gelegentlich eines Besuches bei ihren Eltern
zu seinem Autor schickt, damit dieser von dem glücklichen Zufall sicherer und
rascher Vermittelung für seine Manuskripte Gebrauch mache. Der elektrische
Funke der Gegenwart arbeitet auch in unserm Blute und der Buchhändler weiß
davon zu erzählen. Mit Eilzug kommt der Bücherballen von Leipzig an;
rasch wird er geöffnet, man ordnet die Journale, das Bestellte, die neuerschie¬
nenen Bücher, und wenige Stunden daraus ist der Ballen in einzelnen Packeten
und Zeitungsnummern hinausgejagt, als hinge das Glück der Welt davon ab,
daß man die Novelle eines Modejournalö, eines Unterhaltungsblattes heute
anstatt morgen zu Ende lese. Ja selbst die Vermittelung der Post genügt oft
nicht mehr. Wenn der gothaisch! genealogische Kalender oder sonst ein Auf¬
sehen erregendes Buch erscheint, wandern die Packete sogar als Passagicrgut nach
den verschiedenen Bahnhöfen Leipzigs, und selbst aus einer weitentfernten Haupt-
stadt kamen jüngst einem bestimmten Buche zu lieb die Sendboten großer
Firmen, um mit dem nächsten Courierzuge zu den heimatlichen Penaten
zu entführen, was dort sehnsüchtig erwartet wurde. Nach vier Wochen aber
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