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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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fordert werden könnte. Das Gefühl der gesellschaftlichen Gleichheit der Gebil¬
deten hat zur Folge, daß auch Vermögensverschiedenhciten keine Störung machen
und daß gerade in den maßgebenden Kreisen Wohlhabende und minder Bemit¬
telte so ziemlich auf dem gleichen Fuße leben. -- Die eigenthümliche Beschaffen¬
heit dieser gesellschaftlichen Zustände macht ihre Wirkungen natürlich auch auf Gebie¬
ten geltend, mit denen dieselben an und für sich nichts zu thun haben; der enge Zu¬
sammenhang der Personen, setzt auch die Sachen, die von denselben repräsentirt
werden, zu einander in Beziehung, und es ist in vielen Fällen kaum möglich,
die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben zu ziehen. Da
alle Gebildeten das gleiche Interesse daran haben, die heimische Kirche, das
alte Recht und die deutsche Sprache trotz endloser Schwierigkeiten, die im Wege
stehen, in ihrer Herrschaft zu erhalten, wird von Jedem, mag sein Beruf sein,
welcher er wolle, verlangt, daß er sich in den Dienst derselben stelle, und in¬
mitten des erbittertsten Kampfes streitender Sondciintcressen bleiben immer noch
Einigungs- und Berührungspunkte übrig. Die Bildungsquellen, aus denen
geschöpft wird, sind für alle dieselben, daher können sich religiöse und politische
Meinungsverschiedenheiten --- ob es auch an ihnen durchaus nicht fehlt -- nicht
mit der Schroffheit ausbilden, die den Verkehr von Vertretern verschiedener
Parteistandpunkte z. B. in Deutschland so schwer macht. Auf dem flachen
Lande ist es seit den kirchlichen Wirren der vierziger Jahre ganz besonders
die Sorge für die geistige und sittliche Bildung des Landvolks, von dessen
Zukunft man die des ganze" Landes abhängig weiß, welche Edelleute und
Bürger, Geistliche und Weltliche zusammen hält. Das kirchliche Leben erfreut
sich gerade in diesen Kreisen besonderer Frische und Gesundheit; die Prediger
nehmen trotz der orthodoxen Strenge ihrer dogmatischen Lehrmeinungen an der
gesammten Bildung der Zeit lebhaften Antheil, ihre Stellung bringt es mit
sich, daß sie, die vmzüglich Volkslehrer sind, sich zugleich als Repräsentanten
und Führer des geistigen Lebens ansehen. Die Leitung des bäuerlichen
Schulwesens wird von ihren in Gemeinschaft mit vom Adel gewählten "Schul-
revidenten" besorgt. Ihre Beziehungen zu den adligen Nachbarn sind darum
natürlich gegebene und werden wesentlich dadurch unterstützt, daß man auf der,
selben Universität seine Bildung empfangen, entweder gleichzeitig studirte
oder derselben Studentenverbindung angehörte. -- Während der größeren
Hälfte des Jahres von den Mittelpunkten der Geselligkeit und deren Zerstreu¬
ungen abgeschieden, durch Tage und Wochen bloß auf sich und den Verkehr mit
einer düstern, melancholischen Natur angewiesen, nehmen auch die Frauen an
den politischen und kirchlichen Bestrebungen der Männer lebhaften Antheil, und
es geschieht nicht selten, daß die Frau des Gutsbesitzers die eigentliche Seele der
Hoff- oder Gebietsschule ist und die Sorge für Armen- und Krankenpflege aus
ihren Theil nimmt.


fordert werden könnte. Das Gefühl der gesellschaftlichen Gleichheit der Gebil¬
deten hat zur Folge, daß auch Vermögensverschiedenhciten keine Störung machen
und daß gerade in den maßgebenden Kreisen Wohlhabende und minder Bemit¬
telte so ziemlich auf dem gleichen Fuße leben. — Die eigenthümliche Beschaffen¬
heit dieser gesellschaftlichen Zustände macht ihre Wirkungen natürlich auch auf Gebie¬
ten geltend, mit denen dieselben an und für sich nichts zu thun haben; der enge Zu¬
sammenhang der Personen, setzt auch die Sachen, die von denselben repräsentirt
werden, zu einander in Beziehung, und es ist in vielen Fällen kaum möglich,
die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben zu ziehen. Da
alle Gebildeten das gleiche Interesse daran haben, die heimische Kirche, das
alte Recht und die deutsche Sprache trotz endloser Schwierigkeiten, die im Wege
stehen, in ihrer Herrschaft zu erhalten, wird von Jedem, mag sein Beruf sein,
welcher er wolle, verlangt, daß er sich in den Dienst derselben stelle, und in¬
mitten des erbittertsten Kampfes streitender Sondciintcressen bleiben immer noch
Einigungs- und Berührungspunkte übrig. Die Bildungsquellen, aus denen
geschöpft wird, sind für alle dieselben, daher können sich religiöse und politische
Meinungsverschiedenheiten -— ob es auch an ihnen durchaus nicht fehlt — nicht
mit der Schroffheit ausbilden, die den Verkehr von Vertretern verschiedener
Parteistandpunkte z. B. in Deutschland so schwer macht. Auf dem flachen
Lande ist es seit den kirchlichen Wirren der vierziger Jahre ganz besonders
die Sorge für die geistige und sittliche Bildung des Landvolks, von dessen
Zukunft man die des ganze» Landes abhängig weiß, welche Edelleute und
Bürger, Geistliche und Weltliche zusammen hält. Das kirchliche Leben erfreut
sich gerade in diesen Kreisen besonderer Frische und Gesundheit; die Prediger
nehmen trotz der orthodoxen Strenge ihrer dogmatischen Lehrmeinungen an der
gesammten Bildung der Zeit lebhaften Antheil, ihre Stellung bringt es mit
sich, daß sie, die vmzüglich Volkslehrer sind, sich zugleich als Repräsentanten
und Führer des geistigen Lebens ansehen. Die Leitung des bäuerlichen
Schulwesens wird von ihren in Gemeinschaft mit vom Adel gewählten „Schul-
revidenten" besorgt. Ihre Beziehungen zu den adligen Nachbarn sind darum
natürlich gegebene und werden wesentlich dadurch unterstützt, daß man auf der,
selben Universität seine Bildung empfangen, entweder gleichzeitig studirte
oder derselben Studentenverbindung angehörte. — Während der größeren
Hälfte des Jahres von den Mittelpunkten der Geselligkeit und deren Zerstreu¬
ungen abgeschieden, durch Tage und Wochen bloß auf sich und den Verkehr mit
einer düstern, melancholischen Natur angewiesen, nehmen auch die Frauen an
den politischen und kirchlichen Bestrebungen der Männer lebhaften Antheil, und
es geschieht nicht selten, daß die Frau des Gutsbesitzers die eigentliche Seele der
Hoff- oder Gebietsschule ist und die Sorge für Armen- und Krankenpflege aus
ihren Theil nimmt.


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[0344] fordert werden könnte. Das Gefühl der gesellschaftlichen Gleichheit der Gebil¬ deten hat zur Folge, daß auch Vermögensverschiedenhciten keine Störung machen und daß gerade in den maßgebenden Kreisen Wohlhabende und minder Bemit¬ telte so ziemlich auf dem gleichen Fuße leben. — Die eigenthümliche Beschaffen¬ heit dieser gesellschaftlichen Zustände macht ihre Wirkungen natürlich auch auf Gebie¬ ten geltend, mit denen dieselben an und für sich nichts zu thun haben; der enge Zu¬ sammenhang der Personen, setzt auch die Sachen, die von denselben repräsentirt werden, zu einander in Beziehung, und es ist in vielen Fällen kaum möglich, die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben zu ziehen. Da alle Gebildeten das gleiche Interesse daran haben, die heimische Kirche, das alte Recht und die deutsche Sprache trotz endloser Schwierigkeiten, die im Wege stehen, in ihrer Herrschaft zu erhalten, wird von Jedem, mag sein Beruf sein, welcher er wolle, verlangt, daß er sich in den Dienst derselben stelle, und in¬ mitten des erbittertsten Kampfes streitender Sondciintcressen bleiben immer noch Einigungs- und Berührungspunkte übrig. Die Bildungsquellen, aus denen geschöpft wird, sind für alle dieselben, daher können sich religiöse und politische Meinungsverschiedenheiten -— ob es auch an ihnen durchaus nicht fehlt — nicht mit der Schroffheit ausbilden, die den Verkehr von Vertretern verschiedener Parteistandpunkte z. B. in Deutschland so schwer macht. Auf dem flachen Lande ist es seit den kirchlichen Wirren der vierziger Jahre ganz besonders die Sorge für die geistige und sittliche Bildung des Landvolks, von dessen Zukunft man die des ganze» Landes abhängig weiß, welche Edelleute und Bürger, Geistliche und Weltliche zusammen hält. Das kirchliche Leben erfreut sich gerade in diesen Kreisen besonderer Frische und Gesundheit; die Prediger nehmen trotz der orthodoxen Strenge ihrer dogmatischen Lehrmeinungen an der gesammten Bildung der Zeit lebhaften Antheil, ihre Stellung bringt es mit sich, daß sie, die vmzüglich Volkslehrer sind, sich zugleich als Repräsentanten und Führer des geistigen Lebens ansehen. Die Leitung des bäuerlichen Schulwesens wird von ihren in Gemeinschaft mit vom Adel gewählten „Schul- revidenten" besorgt. Ihre Beziehungen zu den adligen Nachbarn sind darum natürlich gegebene und werden wesentlich dadurch unterstützt, daß man auf der, selben Universität seine Bildung empfangen, entweder gleichzeitig studirte oder derselben Studentenverbindung angehörte. — Während der größeren Hälfte des Jahres von den Mittelpunkten der Geselligkeit und deren Zerstreu¬ ungen abgeschieden, durch Tage und Wochen bloß auf sich und den Verkehr mit einer düstern, melancholischen Natur angewiesen, nehmen auch die Frauen an den politischen und kirchlichen Bestrebungen der Männer lebhaften Antheil, und es geschieht nicht selten, daß die Frau des Gutsbesitzers die eigentliche Seele der Hoff- oder Gebietsschule ist und die Sorge für Armen- und Krankenpflege aus ihren Theil nimmt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/344>, abgerufen am 27.09.2024.