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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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für die deutschen Bürger des flachen Landes bestimmte, sehr gut redigirte
Zeitung für Stadt und Land, die "Rigaschen Stadtblätter", das
"Kirchenblatt", "die Mittheilungen und Nachrichten für die evan¬
gelische Kirche Rußlands", endlich die höchst verdienstvolle durch die Bei¬
steuer verschiedener rigacr Kaufleute begründete "Baltische Monatsschrift"
und zwei weit verbreitete lettische Journale haben neben den Organen ver¬
schiedener gelehrter Gesellschaften in der Dünastadt ihren Sitz. Der Kampf für
zeitgemäße Reformen, als Besserung der bäuerlichen Verhältnisse, Aufhebung des
adeligen Güterbesitzrechtes, Neugestaltung der längst zu eng gewordenen alten
Verfassung u. f. w. ist während der letzten Jahre vornehmlich von rigaer Jour¬
nalisten geführt worden*). Vermittelung der Zeitideen mit den überkommenen
baltischen Einrichtungen und Vertheidigung des deutsch-protestantischen Elements
gegen die Angriffe der russischen Presse sind die Aufgaben, denen die baltische
Presse trotz zahlloser Hemmungen unermüdlich nachstrebt. -- Endlich bildet Riga
den Sitz der Centralverwaltung Liv-, Est- und Kurlands; hier residirt auf dem
alten von den Heermeistern gegründeten Schloß der Generalgouvemeur, der kai-
serliche Statthalter und Militäroberbefehlshaber. Wer mit ihm verhandeln will,
ist ebenso gezwungen, in "die Stadt" zu kommen, wie Jeder, dem es um die
Regelung eines größeren Geschäfts zu thun ist. Die Bürger aller drei Pro¬
vinzen aber sehen in Riga den Mittelpunkt ihrer Kraft, die Zukunft ihres
Standes, der sonst beinahe allenthalben hinter dem Adel zurücktritt.

Wenige Meilen von Riga, an den flachen Ufern der Aa, ist die Hauptstadt
Kurlands, Mitau, gelegen; trotzdem, daß die Eisenbahn, welche zu ihr führt, noch im
Bau begriffen ist, kann sie in kaum drei Stunden erreicht werden, und doch
glaubt man sich in eine andere Welt versetzt, wenn man auf der öden ChaussS,
welche diese beiden Städte verbindet, dorthin gelangt. Breite, nicht eben saubere
Straßen, auf welche niedrige, häusig noch hölzerne Häuser hinabsehen, Kirchen
und öffentliche Gebäude unscheinbar und ohne Spuren einer großen Vergangen¬
heit, Bürger ohne bestimmt ausgeprägtes bürgerliches Bewußtsein, in Han¬
del und Gewerbe Juden vorherrschend. Mitau ist trotz seiner beträchtlichen Aus¬
dehnung und seiner 24000 Einwohner eine Landstadt geblieben, die zu wirk¬
licher Bedeutung erst gelangen wird, wenn sie mit dem übrigen Europa durch
den Schienenweg verbunden ist, an welchem seit den letzten Monaten eifrig ge¬
baut wird. Wie allenthalben in Kurland macht sich auch in der Landesstadt das



') Eine besonders ehrenvolle Erwähnung verdient neben den rigaer Journalen, die 1861
begründete, von einem estl. Juristen, Nag. ^ur, Greisscnhagen, Jahre lang mit Opfern erhaltene
"Nevalsche Zeitung". ein Blatt, das sich durch Freisinn und Patriotismus eine sehr ge-
achtete Stellung erworben hat. --Größere deutsche Zeitungen erscheinen außerdem in Dorpat.
Kurland ist dagegen der Hauptsitz der lettischen Jounalistik.
48*

für die deutschen Bürger des flachen Landes bestimmte, sehr gut redigirte
Zeitung für Stadt und Land, die „Rigaschen Stadtblätter", das
„Kirchenblatt", „die Mittheilungen und Nachrichten für die evan¬
gelische Kirche Rußlands", endlich die höchst verdienstvolle durch die Bei¬
steuer verschiedener rigacr Kaufleute begründete „Baltische Monatsschrift"
und zwei weit verbreitete lettische Journale haben neben den Organen ver¬
schiedener gelehrter Gesellschaften in der Dünastadt ihren Sitz. Der Kampf für
zeitgemäße Reformen, als Besserung der bäuerlichen Verhältnisse, Aufhebung des
adeligen Güterbesitzrechtes, Neugestaltung der längst zu eng gewordenen alten
Verfassung u. f. w. ist während der letzten Jahre vornehmlich von rigaer Jour¬
nalisten geführt worden*). Vermittelung der Zeitideen mit den überkommenen
baltischen Einrichtungen und Vertheidigung des deutsch-protestantischen Elements
gegen die Angriffe der russischen Presse sind die Aufgaben, denen die baltische
Presse trotz zahlloser Hemmungen unermüdlich nachstrebt. — Endlich bildet Riga
den Sitz der Centralverwaltung Liv-, Est- und Kurlands; hier residirt auf dem
alten von den Heermeistern gegründeten Schloß der Generalgouvemeur, der kai-
serliche Statthalter und Militäroberbefehlshaber. Wer mit ihm verhandeln will,
ist ebenso gezwungen, in „die Stadt" zu kommen, wie Jeder, dem es um die
Regelung eines größeren Geschäfts zu thun ist. Die Bürger aller drei Pro¬
vinzen aber sehen in Riga den Mittelpunkt ihrer Kraft, die Zukunft ihres
Standes, der sonst beinahe allenthalben hinter dem Adel zurücktritt.

Wenige Meilen von Riga, an den flachen Ufern der Aa, ist die Hauptstadt
Kurlands, Mitau, gelegen; trotzdem, daß die Eisenbahn, welche zu ihr führt, noch im
Bau begriffen ist, kann sie in kaum drei Stunden erreicht werden, und doch
glaubt man sich in eine andere Welt versetzt, wenn man auf der öden ChaussS,
welche diese beiden Städte verbindet, dorthin gelangt. Breite, nicht eben saubere
Straßen, auf welche niedrige, häusig noch hölzerne Häuser hinabsehen, Kirchen
und öffentliche Gebäude unscheinbar und ohne Spuren einer großen Vergangen¬
heit, Bürger ohne bestimmt ausgeprägtes bürgerliches Bewußtsein, in Han¬
del und Gewerbe Juden vorherrschend. Mitau ist trotz seiner beträchtlichen Aus¬
dehnung und seiner 24000 Einwohner eine Landstadt geblieben, die zu wirk¬
licher Bedeutung erst gelangen wird, wenn sie mit dem übrigen Europa durch
den Schienenweg verbunden ist, an welchem seit den letzten Monaten eifrig ge¬
baut wird. Wie allenthalben in Kurland macht sich auch in der Landesstadt das



') Eine besonders ehrenvolle Erwähnung verdient neben den rigaer Journalen, die 1861
begründete, von einem estl. Juristen, Nag. ^ur, Greisscnhagen, Jahre lang mit Opfern erhaltene
»Nevalsche Zeitung". ein Blatt, das sich durch Freisinn und Patriotismus eine sehr ge-
achtete Stellung erworben hat. —Größere deutsche Zeitungen erscheinen außerdem in Dorpat.
Kurland ist dagegen der Hauptsitz der lettischen Jounalistik.
48*
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[0339] für die deutschen Bürger des flachen Landes bestimmte, sehr gut redigirte Zeitung für Stadt und Land, die „Rigaschen Stadtblätter", das „Kirchenblatt", „die Mittheilungen und Nachrichten für die evan¬ gelische Kirche Rußlands", endlich die höchst verdienstvolle durch die Bei¬ steuer verschiedener rigacr Kaufleute begründete „Baltische Monatsschrift" und zwei weit verbreitete lettische Journale haben neben den Organen ver¬ schiedener gelehrter Gesellschaften in der Dünastadt ihren Sitz. Der Kampf für zeitgemäße Reformen, als Besserung der bäuerlichen Verhältnisse, Aufhebung des adeligen Güterbesitzrechtes, Neugestaltung der längst zu eng gewordenen alten Verfassung u. f. w. ist während der letzten Jahre vornehmlich von rigaer Jour¬ nalisten geführt worden*). Vermittelung der Zeitideen mit den überkommenen baltischen Einrichtungen und Vertheidigung des deutsch-protestantischen Elements gegen die Angriffe der russischen Presse sind die Aufgaben, denen die baltische Presse trotz zahlloser Hemmungen unermüdlich nachstrebt. — Endlich bildet Riga den Sitz der Centralverwaltung Liv-, Est- und Kurlands; hier residirt auf dem alten von den Heermeistern gegründeten Schloß der Generalgouvemeur, der kai- serliche Statthalter und Militäroberbefehlshaber. Wer mit ihm verhandeln will, ist ebenso gezwungen, in „die Stadt" zu kommen, wie Jeder, dem es um die Regelung eines größeren Geschäfts zu thun ist. Die Bürger aller drei Pro¬ vinzen aber sehen in Riga den Mittelpunkt ihrer Kraft, die Zukunft ihres Standes, der sonst beinahe allenthalben hinter dem Adel zurücktritt. Wenige Meilen von Riga, an den flachen Ufern der Aa, ist die Hauptstadt Kurlands, Mitau, gelegen; trotzdem, daß die Eisenbahn, welche zu ihr führt, noch im Bau begriffen ist, kann sie in kaum drei Stunden erreicht werden, und doch glaubt man sich in eine andere Welt versetzt, wenn man auf der öden ChaussS, welche diese beiden Städte verbindet, dorthin gelangt. Breite, nicht eben saubere Straßen, auf welche niedrige, häusig noch hölzerne Häuser hinabsehen, Kirchen und öffentliche Gebäude unscheinbar und ohne Spuren einer großen Vergangen¬ heit, Bürger ohne bestimmt ausgeprägtes bürgerliches Bewußtsein, in Han¬ del und Gewerbe Juden vorherrschend. Mitau ist trotz seiner beträchtlichen Aus¬ dehnung und seiner 24000 Einwohner eine Landstadt geblieben, die zu wirk¬ licher Bedeutung erst gelangen wird, wenn sie mit dem übrigen Europa durch den Schienenweg verbunden ist, an welchem seit den letzten Monaten eifrig ge¬ baut wird. Wie allenthalben in Kurland macht sich auch in der Landesstadt das ') Eine besonders ehrenvolle Erwähnung verdient neben den rigaer Journalen, die 1861 begründete, von einem estl. Juristen, Nag. ^ur, Greisscnhagen, Jahre lang mit Opfern erhaltene »Nevalsche Zeitung". ein Blatt, das sich durch Freisinn und Patriotismus eine sehr ge- achtete Stellung erworben hat. —Größere deutsche Zeitungen erscheinen außerdem in Dorpat. Kurland ist dagegen der Hauptsitz der lettischen Jounalistik. 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/339>, abgerufen am 27.09.2024.