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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Den ersten derselben bildet der aus vier Bürgermeistern und sechszehn
Rathsherren bestehende Rath, dessen Glieder sich seit dem 13. Jahrhundert
durch Cooptation selbst ergänzen, zur Hälfte Kaufleute, zur Hälfte Juristen
sind. In dieser Körperschaft concentrirt sich alle obrigkeitliche Gewalt, die Ju¬
stiz mit einbegriffen, die in zahlreichen Niedergcrichten (Bogtei, Landvogtei, Welt¬
gericht,*) Crimiualdeputation, Waiscngencht u. s. w.) und, wie erwähnt, von dem
Plenum, als der Appellationsinstanz, geübt wird; an der Spitze des Raths
steht Se. Magnificenz der "wortführcnde" Bürgermeister und erste Syndikus,
ihm zur Seite ein "College", der in der Regel zugleich "Oberkastenherr" (Fi¬
nanzverwalter) ist. Den zweiten Stand bildet die "große Gilde", aus Kauf¬
leuten und "Literaten" (studirten Leuten) bestehend; als engerer Ausschuß der¬
selben fungirt die von dem Herrn Aeltermcmn geleitete "Aeltestenbank", der
gegenüber das Plenum durch seinen "Dokmann" vertreten ist; die Glieder der
Gilde zerfallen wiederum in Bürger und "Brüder" d. h. solche Personen,
welche das passive Wahlrecht zu städtischen Aemtern und Anspruch an das
Corporationsvermögen (die "Taselgilde") besitzen und solchen, welche ein blos
actives Wahl- und Stimmrecht ausüben. Nach ähnlichen Grundsätzen ist die
kleine oder Se. Johannis-Gilde, die Corporation der Handwerker organisirt.
Zu einem giltigen Beschluß in städtischen Angelegenheiten bedarf es der Ueber¬
einstimmung dieser drei "Stände"; kann dieselbe auf regelmäßigem Wege nicht
erzielt werden, so tritt eine aus Deputirten derselben gebildete "Compromiß-
Commission" zusammen, bei deren nach Stimmenmehrheit gefaßter Entschei¬
dung es sein schließliches Bewenden hat. Eine vierte übrigens gegenwärtig
politisch bedeutungslose Corporation wird durch das Corps der "löblichen
Schwarzenhäuptcr" gebildet, einer Brüderschaft unverheirateter Kaufleute, die
zu alter Zeit eine eigene Kriegerabthcilung (Kindergilde) bildete und den Moh¬
ren "Mauritius" zum Schutzpatron hatte; unter ihrer reichen Sammlung sil¬
berner Trinkgeschirre finden sich zahlreiche Reliquien der hanseatischen Vergan¬
genheit der Stadt, u. a. Geschenke der übrigen Hansestädte sowie Ehrengaben
fremder Könige und Fürsten.

In Bezug auf ihren Reichthum an wohlthätigen und gemeinnützigen Stif¬
tungen wird Riga vielleicht von keiner deutschen Stadt übertreffen, eine Auf¬
zählung derselben unterlassen wir. Seit der Festungsgürtel gefallen ist, der
die Ausbreitung und Neugestaltung der inneren Stadt durch ein Jahr¬
hundert verhindert hat. nimmt der Lorort der baltischen Provinzen mehr und
mehr einen modernen Charakter an. Ein elegantes neues (selbstverständlich
deutsches) Theater, eine prächtige Börsenhalle, in gothischem Geschmack neu auf-



") Diese Bezeichnung rührt von dem altdeutschen Wede oder Wedde her und heißt soviel
als Handelsgericht.
Grenzboten IV. 1867. 45

Den ersten derselben bildet der aus vier Bürgermeistern und sechszehn
Rathsherren bestehende Rath, dessen Glieder sich seit dem 13. Jahrhundert
durch Cooptation selbst ergänzen, zur Hälfte Kaufleute, zur Hälfte Juristen
sind. In dieser Körperschaft concentrirt sich alle obrigkeitliche Gewalt, die Ju¬
stiz mit einbegriffen, die in zahlreichen Niedergcrichten (Bogtei, Landvogtei, Welt¬
gericht,*) Crimiualdeputation, Waiscngencht u. s. w.) und, wie erwähnt, von dem
Plenum, als der Appellationsinstanz, geübt wird; an der Spitze des Raths
steht Se. Magnificenz der „wortführcnde" Bürgermeister und erste Syndikus,
ihm zur Seite ein „College", der in der Regel zugleich „Oberkastenherr" (Fi¬
nanzverwalter) ist. Den zweiten Stand bildet die „große Gilde", aus Kauf¬
leuten und „Literaten" (studirten Leuten) bestehend; als engerer Ausschuß der¬
selben fungirt die von dem Herrn Aeltermcmn geleitete „Aeltestenbank", der
gegenüber das Plenum durch seinen „Dokmann" vertreten ist; die Glieder der
Gilde zerfallen wiederum in Bürger und „Brüder" d. h. solche Personen,
welche das passive Wahlrecht zu städtischen Aemtern und Anspruch an das
Corporationsvermögen (die „Taselgilde") besitzen und solchen, welche ein blos
actives Wahl- und Stimmrecht ausüben. Nach ähnlichen Grundsätzen ist die
kleine oder Se. Johannis-Gilde, die Corporation der Handwerker organisirt.
Zu einem giltigen Beschluß in städtischen Angelegenheiten bedarf es der Ueber¬
einstimmung dieser drei „Stände"; kann dieselbe auf regelmäßigem Wege nicht
erzielt werden, so tritt eine aus Deputirten derselben gebildete „Compromiß-
Commission" zusammen, bei deren nach Stimmenmehrheit gefaßter Entschei¬
dung es sein schließliches Bewenden hat. Eine vierte übrigens gegenwärtig
politisch bedeutungslose Corporation wird durch das Corps der „löblichen
Schwarzenhäuptcr" gebildet, einer Brüderschaft unverheirateter Kaufleute, die
zu alter Zeit eine eigene Kriegerabthcilung (Kindergilde) bildete und den Moh¬
ren „Mauritius" zum Schutzpatron hatte; unter ihrer reichen Sammlung sil¬
berner Trinkgeschirre finden sich zahlreiche Reliquien der hanseatischen Vergan¬
genheit der Stadt, u. a. Geschenke der übrigen Hansestädte sowie Ehrengaben
fremder Könige und Fürsten.

In Bezug auf ihren Reichthum an wohlthätigen und gemeinnützigen Stif¬
tungen wird Riga vielleicht von keiner deutschen Stadt übertreffen, eine Auf¬
zählung derselben unterlassen wir. Seit der Festungsgürtel gefallen ist, der
die Ausbreitung und Neugestaltung der inneren Stadt durch ein Jahr¬
hundert verhindert hat. nimmt der Lorort der baltischen Provinzen mehr und
mehr einen modernen Charakter an. Ein elegantes neues (selbstverständlich
deutsches) Theater, eine prächtige Börsenhalle, in gothischem Geschmack neu auf-



") Diese Bezeichnung rührt von dem altdeutschen Wede oder Wedde her und heißt soviel
als Handelsgericht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/337>, abgerufen am 27.09.2024.