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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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tadelten Holzbarken (Strusen) zur Zeit des Hochwassers der Dura aus Lithauen
und Weißrußland Herabkommen. Sind ihre Waaren an den Großhändler ab¬
gesetzt, so zerstört das Beil des Flußschiffers die Barke, deren Balken dann
verkauft werden, er selbst aber kehrt mit der Eisenbahn in seine Heimat zurück,
um den Winter über von dem Erlös seiner Frühjahrsschiffahrt zu leben. Dieser
Geschäftszweig spielt in dem Handelslebcn Rigas eine bedeutende Rolle, soweit
das Auge reicht, bedecken diese mächtigen rohgezimmerten Flußfahrzeuge den
stattlichen Strom und das gesammte Ufer der moskauischcn Vorstadt bildet einen
einzigen großen Lade- und Stapelplatz. -- Den elegantesten und wohlhabendsten
Theil der Vorstädte bildet endlich die nördlich von der Altstadt belegene
Se. Petersburger Vorstadt, in der neuerdings Steingebäude mit Holzbauten zu
wechseln beginnen.

Das Territorium Rigas reicht aber weit über Stadt und Vorstädte hinaus;
diese Stadt ist die reichste Grundbesitzerin Livlands. Eine lange Reihe ausge¬
dehnter Landgüter ist seit Jahrhunderten in ihr Eigenthum übergegangen und
wird von ihr in administrativer und judiciärer Beziehung unabhängig verwaltet.
Die Stadt Riga bildet darum einen besondern Staat neben dem livländischen
Landesstaat und steht in gewissem Sinn zu der übrigen Provinz im Gegensatz;
sie hat bei der Unterwerfung Livlands unter das russische Scepter selbständig
pactirt und wird von der Ritterschaft als unabhängige Macht angesehn.
Während die übrigen Städte das zum größten Theil von der Ritterschaft be¬
stellte Hofgerichtals Appellationsinstanz anerkennen, hat Riga in dem Plenum
seiner Rathsversammlung eine eigene zweite Instanz. Ebenso bildet das rigaer
Stadtgebiet einen selbständigen Consistvrialbezirk, an dessen Spitze eine rigaer
Synode und ein städtischer Superintendent stehen; es besitzt ferner eine selb¬
ständige Schulvenvaltung. Bei den Krönungen der russischen Herrscher ist das
übrige Land durch den ritterschaftlichen Landmarschall vertreten, Riga sendet
seinen Bürgermeister als selbständigen Deputirten nach Moskau. Ais bedeut¬
sames Symbol dieser Gegensätze steht an der Grenze des städtischen Patrimo-
nialgebiets das rigaer Stadtwappen mit dem bischöflichen Kreuz -- dem "weiß-
geschwerteten Greif auf einem rothen Feld" (dem Abzeichen der Landschaft) gegen¬
über. Diese durch uralte Tradition geheiligte Unabhängigkeit hat den Ein¬
richtungen Rigas eine reichsstädtische Selbständigkeit, Gravität und Würde
gegeben, die sich in dem Stolz der einzelnen Bürger erkennbar wiederspiegelt.

Von den Domen bis zum Salzkeller hinab hat Alles seine Geschichte; und
der corperative Sinn des deutschen Bürgerthums hat selbst die deutschen, polnischen
und russischen Hanfbinder und Lastträger zu besonderen, statutarisch geordneten Brü¬
derschaften verbunden. Die Verfassung (über deren zeitgemäße Umgestaltung übri¬
gens schon seit Jahren mit der Staatsregierung verhandelt wird) ist zur Zeit noch
eine streng aristokratische und ruht in den Händen der drei "Stände der Stadt."


tadelten Holzbarken (Strusen) zur Zeit des Hochwassers der Dura aus Lithauen
und Weißrußland Herabkommen. Sind ihre Waaren an den Großhändler ab¬
gesetzt, so zerstört das Beil des Flußschiffers die Barke, deren Balken dann
verkauft werden, er selbst aber kehrt mit der Eisenbahn in seine Heimat zurück,
um den Winter über von dem Erlös seiner Frühjahrsschiffahrt zu leben. Dieser
Geschäftszweig spielt in dem Handelslebcn Rigas eine bedeutende Rolle, soweit
das Auge reicht, bedecken diese mächtigen rohgezimmerten Flußfahrzeuge den
stattlichen Strom und das gesammte Ufer der moskauischcn Vorstadt bildet einen
einzigen großen Lade- und Stapelplatz. — Den elegantesten und wohlhabendsten
Theil der Vorstädte bildet endlich die nördlich von der Altstadt belegene
Se. Petersburger Vorstadt, in der neuerdings Steingebäude mit Holzbauten zu
wechseln beginnen.

Das Territorium Rigas reicht aber weit über Stadt und Vorstädte hinaus;
diese Stadt ist die reichste Grundbesitzerin Livlands. Eine lange Reihe ausge¬
dehnter Landgüter ist seit Jahrhunderten in ihr Eigenthum übergegangen und
wird von ihr in administrativer und judiciärer Beziehung unabhängig verwaltet.
Die Stadt Riga bildet darum einen besondern Staat neben dem livländischen
Landesstaat und steht in gewissem Sinn zu der übrigen Provinz im Gegensatz;
sie hat bei der Unterwerfung Livlands unter das russische Scepter selbständig
pactirt und wird von der Ritterschaft als unabhängige Macht angesehn.
Während die übrigen Städte das zum größten Theil von der Ritterschaft be¬
stellte Hofgerichtals Appellationsinstanz anerkennen, hat Riga in dem Plenum
seiner Rathsversammlung eine eigene zweite Instanz. Ebenso bildet das rigaer
Stadtgebiet einen selbständigen Consistvrialbezirk, an dessen Spitze eine rigaer
Synode und ein städtischer Superintendent stehen; es besitzt ferner eine selb¬
ständige Schulvenvaltung. Bei den Krönungen der russischen Herrscher ist das
übrige Land durch den ritterschaftlichen Landmarschall vertreten, Riga sendet
seinen Bürgermeister als selbständigen Deputirten nach Moskau. Ais bedeut¬
sames Symbol dieser Gegensätze steht an der Grenze des städtischen Patrimo-
nialgebiets das rigaer Stadtwappen mit dem bischöflichen Kreuz — dem „weiß-
geschwerteten Greif auf einem rothen Feld" (dem Abzeichen der Landschaft) gegen¬
über. Diese durch uralte Tradition geheiligte Unabhängigkeit hat den Ein¬
richtungen Rigas eine reichsstädtische Selbständigkeit, Gravität und Würde
gegeben, die sich in dem Stolz der einzelnen Bürger erkennbar wiederspiegelt.

Von den Domen bis zum Salzkeller hinab hat Alles seine Geschichte; und
der corperative Sinn des deutschen Bürgerthums hat selbst die deutschen, polnischen
und russischen Hanfbinder und Lastträger zu besonderen, statutarisch geordneten Brü¬
derschaften verbunden. Die Verfassung (über deren zeitgemäße Umgestaltung übri¬
gens schon seit Jahren mit der Staatsregierung verhandelt wird) ist zur Zeit noch
eine streng aristokratische und ruht in den Händen der drei „Stände der Stadt."


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[0336] tadelten Holzbarken (Strusen) zur Zeit des Hochwassers der Dura aus Lithauen und Weißrußland Herabkommen. Sind ihre Waaren an den Großhändler ab¬ gesetzt, so zerstört das Beil des Flußschiffers die Barke, deren Balken dann verkauft werden, er selbst aber kehrt mit der Eisenbahn in seine Heimat zurück, um den Winter über von dem Erlös seiner Frühjahrsschiffahrt zu leben. Dieser Geschäftszweig spielt in dem Handelslebcn Rigas eine bedeutende Rolle, soweit das Auge reicht, bedecken diese mächtigen rohgezimmerten Flußfahrzeuge den stattlichen Strom und das gesammte Ufer der moskauischcn Vorstadt bildet einen einzigen großen Lade- und Stapelplatz. — Den elegantesten und wohlhabendsten Theil der Vorstädte bildet endlich die nördlich von der Altstadt belegene Se. Petersburger Vorstadt, in der neuerdings Steingebäude mit Holzbauten zu wechseln beginnen. Das Territorium Rigas reicht aber weit über Stadt und Vorstädte hinaus; diese Stadt ist die reichste Grundbesitzerin Livlands. Eine lange Reihe ausge¬ dehnter Landgüter ist seit Jahrhunderten in ihr Eigenthum übergegangen und wird von ihr in administrativer und judiciärer Beziehung unabhängig verwaltet. Die Stadt Riga bildet darum einen besondern Staat neben dem livländischen Landesstaat und steht in gewissem Sinn zu der übrigen Provinz im Gegensatz; sie hat bei der Unterwerfung Livlands unter das russische Scepter selbständig pactirt und wird von der Ritterschaft als unabhängige Macht angesehn. Während die übrigen Städte das zum größten Theil von der Ritterschaft be¬ stellte Hofgerichtals Appellationsinstanz anerkennen, hat Riga in dem Plenum seiner Rathsversammlung eine eigene zweite Instanz. Ebenso bildet das rigaer Stadtgebiet einen selbständigen Consistvrialbezirk, an dessen Spitze eine rigaer Synode und ein städtischer Superintendent stehen; es besitzt ferner eine selb¬ ständige Schulvenvaltung. Bei den Krönungen der russischen Herrscher ist das übrige Land durch den ritterschaftlichen Landmarschall vertreten, Riga sendet seinen Bürgermeister als selbständigen Deputirten nach Moskau. Ais bedeut¬ sames Symbol dieser Gegensätze steht an der Grenze des städtischen Patrimo- nialgebiets das rigaer Stadtwappen mit dem bischöflichen Kreuz — dem „weiß- geschwerteten Greif auf einem rothen Feld" (dem Abzeichen der Landschaft) gegen¬ über. Diese durch uralte Tradition geheiligte Unabhängigkeit hat den Ein¬ richtungen Rigas eine reichsstädtische Selbständigkeit, Gravität und Würde gegeben, die sich in dem Stolz der einzelnen Bürger erkennbar wiederspiegelt. Von den Domen bis zum Salzkeller hinab hat Alles seine Geschichte; und der corperative Sinn des deutschen Bürgerthums hat selbst die deutschen, polnischen und russischen Hanfbinder und Lastträger zu besonderen, statutarisch geordneten Brü¬ derschaften verbunden. Die Verfassung (über deren zeitgemäße Umgestaltung übri¬ gens schon seit Jahren mit der Staatsregierung verhandelt wird) ist zur Zeit noch eine streng aristokratische und ruht in den Händen der drei „Stände der Stadt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/336>, abgerufen am 27.09.2024.