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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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um principiell jeder Jnterveutionspolitik abhold zu sein; die Liberalen Oester¬
reichs machen kein Hehl daraus, daß sie bis zur Regelung der inneren Schwie¬
rigkeiten, an denen der Kaiserstaat krankt, von auswärtigen Dingen überhaupt
nichts hören wollen -- und diejenigen Stimmen, denen die Regierung Preu¬
ßens Gehör zu schenken Veranlassung hätte, wollen von einem Congreß vollends
nichts wissen. Und diese instinctive Abneigung der Völker findet in den zur
Zeit gegebenen Verhältnissen namentlich des östlichen Europa, reichliche Erklärung.
Es ist schlechterdings nicht zu begreifen, warum Rußland sich der Unbequemlichkeit
aussetzen soll, die orientalische Frage, deren Lösung es in seiner Hand hat, auf
die öffentliche Tagesordnung gebracht zu sehen, -- zumal solchenfalls eine Er¬
örterung der polnischen Dinge ziemlich nahe liegen würde; auch für Oester¬
reich und England wäre die Nöthigung zu offenen Erklärungen darüber, wie sie
sich die Zukunft der slavischen Stämme des Südvstens denken, eine Verlegen¬
heit, und die außerdeutschen Staaten zweiten Ranges haben vollends kein In¬
teresse, wenn wiederum Compensations- und Grcnzbcrichtigungsmöglichkeiten
auftauchen.

Kein Volk Europas hat aber bei dem Zusammentritt eines europäi¬
schen Fürsten- und Diplomatentagcs so wenig zu gewinnen und so viel zu
verlieren, wie das deutsche. Schon der Umstand, daß unseren Mittelstaaten dies-
seit wie jenseit des Main Gelegenheit zu selbständigem diplomatischen Gebahren
geboten würde, erscheint höchst bedenklich. Der Particularismus würde aus der
Berührung mit politischen Intriguanten von Ost und West neue Kräfte schöpfen,
tausend Gedanken und Pläne, welche im Blut des letzten Krieges erstickt worden
sind, würden plötzlich aufleben, wenn die Gesandten Sachsens, Bayerns, Hessens
u. s. w. von ihren großmächllichen College" in die Versuchung geführt würden,
einmal wieder große Politik auf eigene Hand zu treiben. Der Proceß, durch
welchen die Staaten des deutschen Südens dem norddeutschen Bunde assimilirt
werden, liefe solchenfalls ernstlich Gefahr, unterbrochen zu werden und es müßte
für einen der bedenklichsten Fehler, die überhaupt begangen werden können,
gelten müssen, ließe Preußen sich herbei, an einer Berathung Theil zu nehmen,
in welcher die übrigen deutschen Staaten als gleichberechtigte Glieder des euro¬
päischen Concerts anstimmten; gestattete Graf Bismarck den Staaten, über
deren militärische Mittel thatsächlich Preußen allein zu verfügen hat, sich wie
unabhängige Mächte zu geriren.

Und abgesehen von allen diesen gewichtigen Bedenken, welcherlei Garantien
sind uns dafür geboten, daß die im Princip längst entschiedenen deutschen Dinge
nicht mit in die Discussion gezogen werden, daß französische, holländische, öster¬
reichische, vielleicht auch bayrische und andere deutsche Diplomaten, geradeso als
habe es niemals ein Jahr 1866 gegeben, in ihre alten Gewohnheiten ver¬
fallen und von einer deutschen "Frage" reden? Warum sollten Franzosen


um principiell jeder Jnterveutionspolitik abhold zu sein; die Liberalen Oester¬
reichs machen kein Hehl daraus, daß sie bis zur Regelung der inneren Schwie¬
rigkeiten, an denen der Kaiserstaat krankt, von auswärtigen Dingen überhaupt
nichts hören wollen — und diejenigen Stimmen, denen die Regierung Preu¬
ßens Gehör zu schenken Veranlassung hätte, wollen von einem Congreß vollends
nichts wissen. Und diese instinctive Abneigung der Völker findet in den zur
Zeit gegebenen Verhältnissen namentlich des östlichen Europa, reichliche Erklärung.
Es ist schlechterdings nicht zu begreifen, warum Rußland sich der Unbequemlichkeit
aussetzen soll, die orientalische Frage, deren Lösung es in seiner Hand hat, auf
die öffentliche Tagesordnung gebracht zu sehen, — zumal solchenfalls eine Er¬
örterung der polnischen Dinge ziemlich nahe liegen würde; auch für Oester¬
reich und England wäre die Nöthigung zu offenen Erklärungen darüber, wie sie
sich die Zukunft der slavischen Stämme des Südvstens denken, eine Verlegen¬
heit, und die außerdeutschen Staaten zweiten Ranges haben vollends kein In¬
teresse, wenn wiederum Compensations- und Grcnzbcrichtigungsmöglichkeiten
auftauchen.

Kein Volk Europas hat aber bei dem Zusammentritt eines europäi¬
schen Fürsten- und Diplomatentagcs so wenig zu gewinnen und so viel zu
verlieren, wie das deutsche. Schon der Umstand, daß unseren Mittelstaaten dies-
seit wie jenseit des Main Gelegenheit zu selbständigem diplomatischen Gebahren
geboten würde, erscheint höchst bedenklich. Der Particularismus würde aus der
Berührung mit politischen Intriguanten von Ost und West neue Kräfte schöpfen,
tausend Gedanken und Pläne, welche im Blut des letzten Krieges erstickt worden
sind, würden plötzlich aufleben, wenn die Gesandten Sachsens, Bayerns, Hessens
u. s. w. von ihren großmächllichen College» in die Versuchung geführt würden,
einmal wieder große Politik auf eigene Hand zu treiben. Der Proceß, durch
welchen die Staaten des deutschen Südens dem norddeutschen Bunde assimilirt
werden, liefe solchenfalls ernstlich Gefahr, unterbrochen zu werden und es müßte
für einen der bedenklichsten Fehler, die überhaupt begangen werden können,
gelten müssen, ließe Preußen sich herbei, an einer Berathung Theil zu nehmen,
in welcher die übrigen deutschen Staaten als gleichberechtigte Glieder des euro¬
päischen Concerts anstimmten; gestattete Graf Bismarck den Staaten, über
deren militärische Mittel thatsächlich Preußen allein zu verfügen hat, sich wie
unabhängige Mächte zu geriren.

Und abgesehen von allen diesen gewichtigen Bedenken, welcherlei Garantien
sind uns dafür geboten, daß die im Princip längst entschiedenen deutschen Dinge
nicht mit in die Discussion gezogen werden, daß französische, holländische, öster¬
reichische, vielleicht auch bayrische und andere deutsche Diplomaten, geradeso als
habe es niemals ein Jahr 1866 gegeben, in ihre alten Gewohnheiten ver¬
fallen und von einer deutschen „Frage" reden? Warum sollten Franzosen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/322>, abgerufen am 27.09.2024.