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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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ersten, Ultramontanen und Schutzzöllner Schwabens mit einer Zähigkeit, die einer
bessern Sache würdig war. Dieselben, die über das norddeutsche Parlament
mit seinen diätenlvsen Adligen die Nase rümpften, erwarteten jetzt von den
Bischöfen, Fürsten und Grafen des Bayerlandes die Rettung der süddeutschen
Freiheit. Mit ungewohntem Respect besprach unser "Bcol'achter" die Institution
des benachbarten Abelshauses; dies war einmal ein "wirklicher Senat", eine
"wirkliche Volksvertretung". Zwischen Moriz Mohl und dem Freiherrn von
Thurgau begann eine lebhafte Correspondenz herüber und hinüber; Beobachter
und Vvllsbote sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Heute schrieb jener: "Eine
Thür geht auf! aus völlig authentischer Quelle erfahren wir, daß der bayrische
Reichsrath auf alle Fälle den Zollvertrag verwerfen wird." Sofort secundiite
der bayrische College: "Aufgepaßt! aus völlig authentischer Quelle erfahren wir,
daß die würtenbergische Kammer auf alle Fälle die sauberen Preußenverträge
verwerfen wird." Beide Theile stärkten sich durch Berufung auf den Bundes¬
genossen. Es war schon jetzt klar, daß jeder Theil vor der eigenen Verant¬
wortung zurückschreckte und die Initiative der Verwerfung dem andern zu¬
schieben wollte. In Würtemberg suchte man möglichst viel Zeit zu gewinnen,
um den Neichsräthen den Vortritt zu lassen. Dieser gebührte auch ohne Zweifel
den Reisigen und Gewappneten; halten doch schon die sieben Schwaben, als
es das Ungethüm am Bodensee zu bekämpfen galt, sich zu dem weisen Rath
vereinigt:


Jokele, geh' Du voran,
Denn Du hast Sporn und Stiefel an.

Da war es nun freilich eine schlimme Ueberraschung, als die Nachricht von
der ersten Abstimmung des Neichsraths, von der Annahme des Amendements
Löroenflein hier anlangte. Allerdings formell hieß dies nichts anderes als den
Vertrag verwerfen; denn daß Preußen durch Einräumung eines bayrischen Veto
den Grundstein des neuen Gebäudes wieder herausbrechen werde, daran dachte
ja wohl Niemand im Ernst. Allein die Ausflucht wollte doch zugleich so viel
sagen, daß die hohe Kammer nicht eine unbedingte Verwerfung aus sich nehmen
wollte. Factisch war eine Brücke zum Rückzug gebaut und es war unschwer
vorauszusehen, wie Graf Bismarck die bayrischen Abgesandten bescheiden, und
mit welchen Dispositionen diese nach der Jsar zurückkehren würden.

Aber auch jetzt gab man am Nesenbach das Spiel noch nicht verloren.
Als endlich am 29. October, also drei Tage vor dem Termin der Ratificatio-
nen die Debatten beginnen sollten, beantragte Probst, der Berichterstatter der
Commissionsmehlheit, noch einmal Vertagung, bis ein definitiver Entscheid zu
München vorliegt. Diese Abdication zu Gunsten der bayrischen Reichsrathe,
die wenig stimmte zu der sonstigen eifersüchtigen Sorge um die würtenber¬
gische Selbständigkeit, fand jedoch nicht den Beifall der Kammer, sie stürzte


ersten, Ultramontanen und Schutzzöllner Schwabens mit einer Zähigkeit, die einer
bessern Sache würdig war. Dieselben, die über das norddeutsche Parlament
mit seinen diätenlvsen Adligen die Nase rümpften, erwarteten jetzt von den
Bischöfen, Fürsten und Grafen des Bayerlandes die Rettung der süddeutschen
Freiheit. Mit ungewohntem Respect besprach unser „Bcol'achter" die Institution
des benachbarten Abelshauses; dies war einmal ein „wirklicher Senat", eine
„wirkliche Volksvertretung". Zwischen Moriz Mohl und dem Freiherrn von
Thurgau begann eine lebhafte Correspondenz herüber und hinüber; Beobachter
und Vvllsbote sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Heute schrieb jener: „Eine
Thür geht auf! aus völlig authentischer Quelle erfahren wir, daß der bayrische
Reichsrath auf alle Fälle den Zollvertrag verwerfen wird." Sofort secundiite
der bayrische College: „Aufgepaßt! aus völlig authentischer Quelle erfahren wir,
daß die würtenbergische Kammer auf alle Fälle die sauberen Preußenverträge
verwerfen wird." Beide Theile stärkten sich durch Berufung auf den Bundes¬
genossen. Es war schon jetzt klar, daß jeder Theil vor der eigenen Verant¬
wortung zurückschreckte und die Initiative der Verwerfung dem andern zu¬
schieben wollte. In Würtemberg suchte man möglichst viel Zeit zu gewinnen,
um den Neichsräthen den Vortritt zu lassen. Dieser gebührte auch ohne Zweifel
den Reisigen und Gewappneten; halten doch schon die sieben Schwaben, als
es das Ungethüm am Bodensee zu bekämpfen galt, sich zu dem weisen Rath
vereinigt:


Jokele, geh' Du voran,
Denn Du hast Sporn und Stiefel an.

Da war es nun freilich eine schlimme Ueberraschung, als die Nachricht von
der ersten Abstimmung des Neichsraths, von der Annahme des Amendements
Löroenflein hier anlangte. Allerdings formell hieß dies nichts anderes als den
Vertrag verwerfen; denn daß Preußen durch Einräumung eines bayrischen Veto
den Grundstein des neuen Gebäudes wieder herausbrechen werde, daran dachte
ja wohl Niemand im Ernst. Allein die Ausflucht wollte doch zugleich so viel
sagen, daß die hohe Kammer nicht eine unbedingte Verwerfung aus sich nehmen
wollte. Factisch war eine Brücke zum Rückzug gebaut und es war unschwer
vorauszusehen, wie Graf Bismarck die bayrischen Abgesandten bescheiden, und
mit welchen Dispositionen diese nach der Jsar zurückkehren würden.

Aber auch jetzt gab man am Nesenbach das Spiel noch nicht verloren.
Als endlich am 29. October, also drei Tage vor dem Termin der Ratificatio-
nen die Debatten beginnen sollten, beantragte Probst, der Berichterstatter der
Commissionsmehlheit, noch einmal Vertagung, bis ein definitiver Entscheid zu
München vorliegt. Diese Abdication zu Gunsten der bayrischen Reichsrathe,
die wenig stimmte zu der sonstigen eifersüchtigen Sorge um die würtenber¬
gische Selbständigkeit, fand jedoch nicht den Beifall der Kammer, sie stürzte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/316>, abgerufen am 20.10.2024.