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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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einer konservativen Partei als solcher und ihre Gleichberechtigung mit anderen
Parteien in Zweifel zu ziehen, die Begriffe "conservativ" und "volksfeindlich"
mit einander zu identificiren, vermag nur der Radikalismus alter Doctrin.
Das Schlimme an den preußischen Conservativen und der Grund dafür, daß
dieselben zeitweise außerhalb des parlamentarischen "Comment" waren (wenn
dieser burschikose aber zutreffende Ausdruck anders gebraucht werden kann), be-
stand darin, daß die Ziele dieser Fraction wesentlich nicht konservativer
Natur waren, d.h. daß dieselbe nicht auf dem Boden der Verfassung stand,
sondern diese zu Gunsten des Absolutismus umzudeuten versuchte. Davon kann
im norddeutschen Parlament, dessen rechtliche Basis von den Conservativen un¬
geschaffen worden ist, nicht die Rede sein, zu Suppositionen dieser Art fehlt es
vollständig an Grund und Veranlassung. Einen weitern Unterschied zwischen
den ParteiverhÄltnissen der preußischen Conflictszeit und der Gegenwart bildet
das Vorhandensein einer Gruppe von Männern, welche ihre Aufgabe wesent¬
lich in der Vermittelung zwischen den conservativen Interessen und den liberalen
Principien sehen; die Kluft zwischen dem linken Centrum und der Rechten,
welche in den preußischen Kammern der Conflictsjahre unüberbrückt dastand
und jede Verständigung unmöglich machte, besteht mithin nicht mehr. Die Brücke
bildet das Bekenntniß zu der Bundesverfassung und auf dieser Brücke stehen die
freien Conservativen. Die Bedeutung dieser und ihrer bisherigen Leistungen
zu überschätzen sind wir weit entfernt, wir wissen sehr genau, daß noch viel
daran fehlt, damit dieselben der Aufgabe entsprechen, welche naturgemäß an sie
gestellt ist -- daß der Platz zwischen den preußischen Conservativen und der
alt-liberalen Gruppe aber nicht mehr leer steht, scheint uns von großer Wich¬
tigkeit zu sein. Es geht uns mit diesen Vertretern eines Conservatismus, der
sein Programm grundsätzlich den Anforderungen der Zeit offen halten will, wie
weiland Voltaire mit dem vere supröme: wie der pariser Philosoph behaup¬
tete: "wenn kein solches da wäre müßte man eines erfinden", so
muß der Konsolidation dieser Fraction, weil dieselbe unentbehrlich ist, möglichster
Vorschub geleistet werden. -- Die bisherige Haltung der rechten Seite des
norddeutschen Parlaments hat es der radicalen Demokratie übrigens nicht leicht
gemacht, ihre schwarzen Ahnungen von einer Aufsaugung aller liberalen Ele-
mente durch die conservative Nachbarschaft für bewahrheitet auszugeben. Zu
den wichtigsten der bisher gethanen Beschlüsse des Hauses haben die Ratio-
nal liberalen die Initiative ergriffen und die Conservativen sind ihnen ge¬
folgt; das gilt sowohl von dem Beschluß, das Budget sofort im Plenum zu
berathen, wie von der Adresse. Daß der nationalUberale Adreßentwurf von dem
der Conservativen verschieden ist, daß die Sprache des erstern durch den letztern ab¬
geschwächt und paraphrasirt wird, kommt Angesichts der Thatsache, daß die genannten
beiden Gruppen überhaupt und im Gegensatz gegen die Linke eine Adresse wollen und


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einer konservativen Partei als solcher und ihre Gleichberechtigung mit anderen
Parteien in Zweifel zu ziehen, die Begriffe „conservativ" und „volksfeindlich"
mit einander zu identificiren, vermag nur der Radikalismus alter Doctrin.
Das Schlimme an den preußischen Conservativen und der Grund dafür, daß
dieselben zeitweise außerhalb des parlamentarischen „Comment" waren (wenn
dieser burschikose aber zutreffende Ausdruck anders gebraucht werden kann), be-
stand darin, daß die Ziele dieser Fraction wesentlich nicht konservativer
Natur waren, d.h. daß dieselbe nicht auf dem Boden der Verfassung stand,
sondern diese zu Gunsten des Absolutismus umzudeuten versuchte. Davon kann
im norddeutschen Parlament, dessen rechtliche Basis von den Conservativen un¬
geschaffen worden ist, nicht die Rede sein, zu Suppositionen dieser Art fehlt es
vollständig an Grund und Veranlassung. Einen weitern Unterschied zwischen
den ParteiverhÄltnissen der preußischen Conflictszeit und der Gegenwart bildet
das Vorhandensein einer Gruppe von Männern, welche ihre Aufgabe wesent¬
lich in der Vermittelung zwischen den conservativen Interessen und den liberalen
Principien sehen; die Kluft zwischen dem linken Centrum und der Rechten,
welche in den preußischen Kammern der Conflictsjahre unüberbrückt dastand
und jede Verständigung unmöglich machte, besteht mithin nicht mehr. Die Brücke
bildet das Bekenntniß zu der Bundesverfassung und auf dieser Brücke stehen die
freien Conservativen. Die Bedeutung dieser und ihrer bisherigen Leistungen
zu überschätzen sind wir weit entfernt, wir wissen sehr genau, daß noch viel
daran fehlt, damit dieselben der Aufgabe entsprechen, welche naturgemäß an sie
gestellt ist — daß der Platz zwischen den preußischen Conservativen und der
alt-liberalen Gruppe aber nicht mehr leer steht, scheint uns von großer Wich¬
tigkeit zu sein. Es geht uns mit diesen Vertretern eines Conservatismus, der
sein Programm grundsätzlich den Anforderungen der Zeit offen halten will, wie
weiland Voltaire mit dem vere supröme: wie der pariser Philosoph behaup¬
tete: „wenn kein solches da wäre müßte man eines erfinden", so
muß der Konsolidation dieser Fraction, weil dieselbe unentbehrlich ist, möglichster
Vorschub geleistet werden. — Die bisherige Haltung der rechten Seite des
norddeutschen Parlaments hat es der radicalen Demokratie übrigens nicht leicht
gemacht, ihre schwarzen Ahnungen von einer Aufsaugung aller liberalen Ele-
mente durch die conservative Nachbarschaft für bewahrheitet auszugeben. Zu
den wichtigsten der bisher gethanen Beschlüsse des Hauses haben die Ratio-
nal liberalen die Initiative ergriffen und die Conservativen sind ihnen ge¬
folgt; das gilt sowohl von dem Beschluß, das Budget sofort im Plenum zu
berathen, wie von der Adresse. Daß der nationalUberale Adreßentwurf von dem
der Conservativen verschieden ist, daß die Sprache des erstern durch den letztern ab¬
geschwächt und paraphrasirt wird, kommt Angesichts der Thatsache, daß die genannten
beiden Gruppen überhaupt und im Gegensatz gegen die Linke eine Adresse wollen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/31>, abgerufen am 27.09.2024.