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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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war für uns ein wenig erfreuliches Schauspiel, so vor unseren Augen diese Ar¬
beiten vollziehen zu sehen, zu denen wir bereits Gerüste und Maschinerien ganz
eigens mitgebracht hatten; dennoch schluckte ich meinen Aerger so gut ich konnte
hinunter und jagte zwei Briefe, einen zur See und einen zu Land durch einen
schnellen Läufer nach Smyrna, um Lord Stratford zu benachrichtigen, daß der
türkische Kriegsminister uns zuvorkommen wolle. Mein Bote eilte Tag und
Nacht und der Commandant betrieb seine Arbeiten mit nicht geringerer Hast.
Schon waren zwei weitere Löwen aus den Mauern aufgehoben. Hätte man
mir selber zwei Augenzähne aus dem Munde gerissen, es hatte mir keinen grö¬
ßer" Schmerz bereitet. Als der Commandant vier Löwen herunter hatte,
machte er mir in Begleitung aller vornehmen Türken von Budrum eine förm¬
liche Visite bei meinen Ausgrabungen. "Ihr habt blos kleine Bruchstücke ge¬
funden wie ich sehe", sagte er mit höhnisch triumphirender Miene; wir gruben
gerade einige Fragmente von Löwenkörvcrn aus, auch wohl gelegentlich ein
Bein oder ein Hinterviertel, aber keine Köpfe. Ich kochte vor Wuth. Noch
an demselben Tage wurden jene Löwen, sorgsam in Schaffelle eingepackt, an Bord
eines Ka'ik gebracht, um nach Kos geschickt zu werden. Zwei derselben hatte ich
Photographiren lassen und warf noch einen letzten liebevollen und wehmüthigen
Blick des Abschiedes auf diese kostbaren Reliquien aus der Schule des Skopas.
Das Kalk sollte, wie mir der Commandant mittheilte, noch in der Nacht absegeln
und krank am Herzen legte ich mich zu Bett. So war eine schöne Hoffnung
begraben. -- Am nächsten Morgen um vier Uhr wurde ich plötzlich durch die
Stimme eines Milshipman von der Gorgo aus dem Schlafe geweckt. "Die
Schwalbe ist von Constantinopel gekommen und der wachthabende Offizier
meint, der Firman könne an Bord sein". Ich war über diesen Firman schon
so oft getäuscht worden, daß ich die Meldung mit skeptischen Gleichmuthe hin¬
nahm und verdrießlich wieder in Schlaf versank. Um 6 Uhr kam ein zweiter
Bote von der Gorgo und weckte mich: "Der Capitain will Sie augenblicklich
sprechen". Ich eilte an Bord und fand Towsey ungeduldig auf dem Hinterdeck
hin und her gehend, sein Schiffsboot lag fertig bemannt an der Längsseite.
"Wo sind Sie so lange gewesen", rief er, "der Firman ist da!" "Aber was
hilft uns denn jetzt der Firman", antwortete ich ganz niedergeschlagen, "die
Löwen sind fort!" "Das Kalk liegt noch im Hafen", erwiderte er, "und wartet
auf günstigen Wind zum Auslaufen; noch ist es Zeit". Ich sprang ohne ein
Wort weiter zu sagen ins Boot und wenige kräftige Ruderschläge brachten uns
in den Hafen. Der Führer des Kalks zog langsam und schläfrig an seinen
Ankertauen, um zu lichten. An der Spitze der Landungsbrücke stand der Arzt
der Quarantaine, ein Italiener, welcher an unseren Ausgrabungen lebhaften
Antheil nahm. "Lassen Sie das Kalt nicht fo>t!" rief ich ihm zu, "ich habe
einen Firman für die Löwen". "Werde ich besorgen", rief er zurück, "ich habe


war für uns ein wenig erfreuliches Schauspiel, so vor unseren Augen diese Ar¬
beiten vollziehen zu sehen, zu denen wir bereits Gerüste und Maschinerien ganz
eigens mitgebracht hatten; dennoch schluckte ich meinen Aerger so gut ich konnte
hinunter und jagte zwei Briefe, einen zur See und einen zu Land durch einen
schnellen Läufer nach Smyrna, um Lord Stratford zu benachrichtigen, daß der
türkische Kriegsminister uns zuvorkommen wolle. Mein Bote eilte Tag und
Nacht und der Commandant betrieb seine Arbeiten mit nicht geringerer Hast.
Schon waren zwei weitere Löwen aus den Mauern aufgehoben. Hätte man
mir selber zwei Augenzähne aus dem Munde gerissen, es hatte mir keinen grö¬
ßer» Schmerz bereitet. Als der Commandant vier Löwen herunter hatte,
machte er mir in Begleitung aller vornehmen Türken von Budrum eine förm¬
liche Visite bei meinen Ausgrabungen. „Ihr habt blos kleine Bruchstücke ge¬
funden wie ich sehe", sagte er mit höhnisch triumphirender Miene; wir gruben
gerade einige Fragmente von Löwenkörvcrn aus, auch wohl gelegentlich ein
Bein oder ein Hinterviertel, aber keine Köpfe. Ich kochte vor Wuth. Noch
an demselben Tage wurden jene Löwen, sorgsam in Schaffelle eingepackt, an Bord
eines Ka'ik gebracht, um nach Kos geschickt zu werden. Zwei derselben hatte ich
Photographiren lassen und warf noch einen letzten liebevollen und wehmüthigen
Blick des Abschiedes auf diese kostbaren Reliquien aus der Schule des Skopas.
Das Kalk sollte, wie mir der Commandant mittheilte, noch in der Nacht absegeln
und krank am Herzen legte ich mich zu Bett. So war eine schöne Hoffnung
begraben. — Am nächsten Morgen um vier Uhr wurde ich plötzlich durch die
Stimme eines Milshipman von der Gorgo aus dem Schlafe geweckt. „Die
Schwalbe ist von Constantinopel gekommen und der wachthabende Offizier
meint, der Firman könne an Bord sein". Ich war über diesen Firman schon
so oft getäuscht worden, daß ich die Meldung mit skeptischen Gleichmuthe hin¬
nahm und verdrießlich wieder in Schlaf versank. Um 6 Uhr kam ein zweiter
Bote von der Gorgo und weckte mich: „Der Capitain will Sie augenblicklich
sprechen". Ich eilte an Bord und fand Towsey ungeduldig auf dem Hinterdeck
hin und her gehend, sein Schiffsboot lag fertig bemannt an der Längsseite.
„Wo sind Sie so lange gewesen", rief er, „der Firman ist da!" „Aber was
hilft uns denn jetzt der Firman", antwortete ich ganz niedergeschlagen, „die
Löwen sind fort!" „Das Kalk liegt noch im Hafen", erwiderte er, „und wartet
auf günstigen Wind zum Auslaufen; noch ist es Zeit". Ich sprang ohne ein
Wort weiter zu sagen ins Boot und wenige kräftige Ruderschläge brachten uns
in den Hafen. Der Führer des Kalks zog langsam und schläfrig an seinen
Ankertauen, um zu lichten. An der Spitze der Landungsbrücke stand der Arzt
der Quarantaine, ein Italiener, welcher an unseren Ausgrabungen lebhaften
Antheil nahm. „Lassen Sie das Kalt nicht fo>t!" rief ich ihm zu, „ich habe
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/272>, abgerufen am 27.09.2024.