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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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dasMaß der "contractlich übernommenen" Frohnleistungen exorbitant gesteigert
hatte, wurde schon 1849 principiell die Verwerflichkeit der Arbeitspacht anerkannt
Und eine Bank gegründet, mit deren Hilfe der Fröhner zum Grundeigenthümer
werden sollte: 1856 trat ein unseliger Rückschlag in den Ansichten des Avels
ein, der von den Principien seines eben verstorbenen liberalen Führers Hamilcar
v. Foelkersahm abweichend, die Zugeständnisse von I. 1849 zurückzunehmen
Miene machte. Dieses Beginnen, das inmitten der gleichzeitigen russischen
Reformbestrebungen besonders thöricht und für den moralischen Credit des
deutschen Elements verderblich erscheinen mußte, fand bei der Staatsregierung
so entschiedene Mißbilligung, daß man in dem Agrargesetz von 1863 zu den
früheren Principien zurückkehren und einen Compromiß mit denselben schließen
Mußte. Das Schwanken der Legislation, begleitet von erbitterten Kämpfen im
Schooße der Ritterschaft, wirkte in peinlichster Weise auf die Beziehungen zwischen
Gutsbesitzern und Bauern und erschwerte den Uebergang von der Frohne zum
Pachtsystem und zur Befestigung des bäuerlichen Grundbesitzes, der erst seit
den letzten fünf Jahren namhafte Fortschritte gemacht hatte, in nachtheiligster
Weise. Noch ungünstiger haben sich die Verhältnisse Estlands gestaltet, das
durch einen Bauernaufstand von 1859 durchgehen mußte, um zu der gegen¬
wärtigen Ordnung der Dinge durchzuringen. -- Heute kann die Agrarfrage in
den Ostseeprovinzen allerdings als im wesentlichen gelöst angesehen werden und nur
die Scheelsucht der moskauer Democratie träumt noch von der Nothwendigkeit einer
radicalen Umgestaltung, die, weit davon entfernt eine Wohlthat zu sein, viel¬
mehr mit einem Bankerott des gesammten Landes identisch wäre. Die noch
ducht zu Eigenthümern gewordenen Pächter ohne weiteres zu Grundbesitzern
Machen, hieße die Gutsbesitzer und ihre zahlreichen Gläubiger an den Bettelstab
Gingen. Die Frohne ist gegenwärtig in allen drei Provinzen vollständig beseitigt,
der von den Bauern pachtweise besessene Boden gegen Einziehungen vollständig
^schützt, die VerWandelung des bäuerlichen Pachtbcsttzes in Grundeigenthum
Seht mit Riesenschritten vorwärts, eine Gemeindeordnung vom 19. Febr. 1866
hat endlich jede Spur einer Abhängigkeit der Gemeinden von den Gutsbesitzern
aufgehoben und jene durchaus selbständig constituirt. Die Körperstrafe existirt
gleichfalls nicht mehr und der Gutsbesitzer, der disziplinarisch gegen seine
Hossknechte vorgehen will, darf sich nicht mehr selbst helfen, sondern muß den
bon der Bauerjchast gewählten Gemeindevorsteher oder das Gemeindegericht, zu
Hilfe rufen. Binnen weniger Jahre hat die Wohlhabenheit der Bauern so
^sah zugenommen, daß die in den Händen derselben befindlichen kleinen Capi¬
talien bereits Millionen ausmachen und die materielle Lage der kleinen Grund-
besitzer imj ganzen befriedigender ist als die der Rittergutsbesitzer, namentlich
^plants, wo adlige Bankerotte immer häusiger vorkommen.

Größere Wohlhabenheit ist indessen nicht das einzige Merkmal, durch wat-


dasMaß der „contractlich übernommenen" Frohnleistungen exorbitant gesteigert
hatte, wurde schon 1849 principiell die Verwerflichkeit der Arbeitspacht anerkannt
Und eine Bank gegründet, mit deren Hilfe der Fröhner zum Grundeigenthümer
werden sollte: 1856 trat ein unseliger Rückschlag in den Ansichten des Avels
ein, der von den Principien seines eben verstorbenen liberalen Führers Hamilcar
v. Foelkersahm abweichend, die Zugeständnisse von I. 1849 zurückzunehmen
Miene machte. Dieses Beginnen, das inmitten der gleichzeitigen russischen
Reformbestrebungen besonders thöricht und für den moralischen Credit des
deutschen Elements verderblich erscheinen mußte, fand bei der Staatsregierung
so entschiedene Mißbilligung, daß man in dem Agrargesetz von 1863 zu den
früheren Principien zurückkehren und einen Compromiß mit denselben schließen
Mußte. Das Schwanken der Legislation, begleitet von erbitterten Kämpfen im
Schooße der Ritterschaft, wirkte in peinlichster Weise auf die Beziehungen zwischen
Gutsbesitzern und Bauern und erschwerte den Uebergang von der Frohne zum
Pachtsystem und zur Befestigung des bäuerlichen Grundbesitzes, der erst seit
den letzten fünf Jahren namhafte Fortschritte gemacht hatte, in nachtheiligster
Weise. Noch ungünstiger haben sich die Verhältnisse Estlands gestaltet, das
durch einen Bauernaufstand von 1859 durchgehen mußte, um zu der gegen¬
wärtigen Ordnung der Dinge durchzuringen. — Heute kann die Agrarfrage in
den Ostseeprovinzen allerdings als im wesentlichen gelöst angesehen werden und nur
die Scheelsucht der moskauer Democratie träumt noch von der Nothwendigkeit einer
radicalen Umgestaltung, die, weit davon entfernt eine Wohlthat zu sein, viel¬
mehr mit einem Bankerott des gesammten Landes identisch wäre. Die noch
ducht zu Eigenthümern gewordenen Pächter ohne weiteres zu Grundbesitzern
Machen, hieße die Gutsbesitzer und ihre zahlreichen Gläubiger an den Bettelstab
Gingen. Die Frohne ist gegenwärtig in allen drei Provinzen vollständig beseitigt,
der von den Bauern pachtweise besessene Boden gegen Einziehungen vollständig
^schützt, die VerWandelung des bäuerlichen Pachtbcsttzes in Grundeigenthum
Seht mit Riesenschritten vorwärts, eine Gemeindeordnung vom 19. Febr. 1866
hat endlich jede Spur einer Abhängigkeit der Gemeinden von den Gutsbesitzern
aufgehoben und jene durchaus selbständig constituirt. Die Körperstrafe existirt
gleichfalls nicht mehr und der Gutsbesitzer, der disziplinarisch gegen seine
Hossknechte vorgehen will, darf sich nicht mehr selbst helfen, sondern muß den
bon der Bauerjchast gewählten Gemeindevorsteher oder das Gemeindegericht, zu
Hilfe rufen. Binnen weniger Jahre hat die Wohlhabenheit der Bauern so
^sah zugenommen, daß die in den Händen derselben befindlichen kleinen Capi¬
talien bereits Millionen ausmachen und die materielle Lage der kleinen Grund-
besitzer imj ganzen befriedigender ist als die der Rittergutsbesitzer, namentlich
^plants, wo adlige Bankerotte immer häusiger vorkommen.

Größere Wohlhabenheit ist indessen nicht das einzige Merkmal, durch wat-


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[0221] dasMaß der „contractlich übernommenen" Frohnleistungen exorbitant gesteigert hatte, wurde schon 1849 principiell die Verwerflichkeit der Arbeitspacht anerkannt Und eine Bank gegründet, mit deren Hilfe der Fröhner zum Grundeigenthümer werden sollte: 1856 trat ein unseliger Rückschlag in den Ansichten des Avels ein, der von den Principien seines eben verstorbenen liberalen Führers Hamilcar v. Foelkersahm abweichend, die Zugeständnisse von I. 1849 zurückzunehmen Miene machte. Dieses Beginnen, das inmitten der gleichzeitigen russischen Reformbestrebungen besonders thöricht und für den moralischen Credit des deutschen Elements verderblich erscheinen mußte, fand bei der Staatsregierung so entschiedene Mißbilligung, daß man in dem Agrargesetz von 1863 zu den früheren Principien zurückkehren und einen Compromiß mit denselben schließen Mußte. Das Schwanken der Legislation, begleitet von erbitterten Kämpfen im Schooße der Ritterschaft, wirkte in peinlichster Weise auf die Beziehungen zwischen Gutsbesitzern und Bauern und erschwerte den Uebergang von der Frohne zum Pachtsystem und zur Befestigung des bäuerlichen Grundbesitzes, der erst seit den letzten fünf Jahren namhafte Fortschritte gemacht hatte, in nachtheiligster Weise. Noch ungünstiger haben sich die Verhältnisse Estlands gestaltet, das durch einen Bauernaufstand von 1859 durchgehen mußte, um zu der gegen¬ wärtigen Ordnung der Dinge durchzuringen. — Heute kann die Agrarfrage in den Ostseeprovinzen allerdings als im wesentlichen gelöst angesehen werden und nur die Scheelsucht der moskauer Democratie träumt noch von der Nothwendigkeit einer radicalen Umgestaltung, die, weit davon entfernt eine Wohlthat zu sein, viel¬ mehr mit einem Bankerott des gesammten Landes identisch wäre. Die noch ducht zu Eigenthümern gewordenen Pächter ohne weiteres zu Grundbesitzern Machen, hieße die Gutsbesitzer und ihre zahlreichen Gläubiger an den Bettelstab Gingen. Die Frohne ist gegenwärtig in allen drei Provinzen vollständig beseitigt, der von den Bauern pachtweise besessene Boden gegen Einziehungen vollständig ^schützt, die VerWandelung des bäuerlichen Pachtbcsttzes in Grundeigenthum Seht mit Riesenschritten vorwärts, eine Gemeindeordnung vom 19. Febr. 1866 hat endlich jede Spur einer Abhängigkeit der Gemeinden von den Gutsbesitzern aufgehoben und jene durchaus selbständig constituirt. Die Körperstrafe existirt gleichfalls nicht mehr und der Gutsbesitzer, der disziplinarisch gegen seine Hossknechte vorgehen will, darf sich nicht mehr selbst helfen, sondern muß den bon der Bauerjchast gewählten Gemeindevorsteher oder das Gemeindegericht, zu Hilfe rufen. Binnen weniger Jahre hat die Wohlhabenheit der Bauern so ^sah zugenommen, daß die in den Händen derselben befindlichen kleinen Capi¬ talien bereits Millionen ausmachen und die materielle Lage der kleinen Grund- besitzer imj ganzen befriedigender ist als die der Rittergutsbesitzer, namentlich ^plants, wo adlige Bankerotte immer häusiger vorkommen. Größere Wohlhabenheit ist indessen nicht das einzige Merkmal, durch wat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/221>, abgerufen am 20.10.2024.