Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Form der bäuerlichen Existenz und einzig der traditionellen Humanität der
Gutsbesitzer, denen die harte Behandlung ihrer Leute für "unkmisch" und
unanstocratisch galt, war es zuzuschreiben, daß der Bauer nicht elend verküm¬
merte; von diesem Zeitpunkt (den dreißiger Jahren) ab, begann die Conversion
der Arbeitspacht oder Frohne in die Geldpacht, und zwar ohne jede Mitwirkung
der Gesetzgebung, allein durch die Macht des guten Beispiels und des großen
persönlichen Einflusses, den der damalige Landcsbcvollmächtigte (diesen Titel
führt das Haupt der lurlänluschen Ritterschaft) Baron Hahn ausübte. Ziemlich
gleichzeitig trat die Mehlfelderwirthschaft an die Stelle des alten Dreifeldersystems.
Die Art und Weise ihrer Verbreitung ist so charakteristisch für die Art des
kurischen Adels, daß ihrer in Kürze Erwähnung geschehen mag. Die Gutsbe¬
sitzer suchten durch Ueberredung auf ihre Pächter zu wirken und wo diese nicht
half, ließ der Herr das vierte Feld eigenmächtig durch seine eigenen Knechte
aufreißen; natürlicher Weise säete der Bauer auf diesen neuen Acker, an dem
die Hauptarbeit einmal geschehen war und auf diese Weise wurde die Adop¬
tion des neuen Systems gleichsam mit Gewalt und doch ohne Verletzung des
bäuerlichen Interesses durchgesetzt. Während in Liv- und Estland unauf¬
hörlich mit Agrargesetzen experimentirt wurde, vollzog sich die Conversion der
Frohn in die Geldpacht bei den Kurländcrn von selbst. Nachdem auf diese
Weise der legislatorische Fortschritt vorbereitet worden war, drang die Staats-
regierung im Anfang der 60er Jahre auf Freigebung des bäuerlichen Grund¬
besitzes und auf Beschränkung des bis dazu unbegrenzten Emziehungsrechts der
Herren. Dank der Thätigkeit der freisinnigen Adelspartei, welche der gegenwär¬
tige Landesbevollmächtigte v. d. Recke führte, wurden beide Negierungsanträge
im Sommer 1863 angenommen; schon vier Jahre später war nahezu ein Drit-
theil derer Bauerhöfe in das Eigenthum der Pächter übergegangen und die
glückliche materielle Lage des Bauernstandes gesetzlich garantirt. Im Juni 1865
ging der kurländische Adel einen neuen bedeutsamen Schritt auf der Bahn libe¬
raler Reformen weiter; er verzichtete freiwillig aus sein uraltes Recht zum aus¬
schließlichen Besitz von Rittergütern und gab den Erwerb derselben der Con-
currenz aller Stände frei. -- Dringen wir durch das reiche, weizenbebaute
kurische Unterland weiter nach Osten vor, so gelangen wir jenseit des an der
Dura gelegenen Städtchens Friedrichsstadt in das sogenannte Oberland, einen
Winkel, der ein durchaus eigenthümliches, von den übrigen Theilen des Her¬
zogtums verschiedenes Gepräge trägt. Hier machen sich bereits die Einflüsse
der polnisch-litthauischen Nachbarschaft geltend. Landschaftlich herrscht der Walo
vor, der sich in ursprünglicher Wildheit.längs der Dura meilenweit in das
Land zieht und die Wohnsitze der Menschen und die Kornfelder als Ausnahmen
erscheinen läßt; die Bevölkerung ist eine gemischte, stark mit litthauischen und
polnischen Elementen versetzte und steht in sittlicher und intellectueller Beziehung


Form der bäuerlichen Existenz und einzig der traditionellen Humanität der
Gutsbesitzer, denen die harte Behandlung ihrer Leute für „unkmisch" und
unanstocratisch galt, war es zuzuschreiben, daß der Bauer nicht elend verküm¬
merte; von diesem Zeitpunkt (den dreißiger Jahren) ab, begann die Conversion
der Arbeitspacht oder Frohne in die Geldpacht, und zwar ohne jede Mitwirkung
der Gesetzgebung, allein durch die Macht des guten Beispiels und des großen
persönlichen Einflusses, den der damalige Landcsbcvollmächtigte (diesen Titel
führt das Haupt der lurlänluschen Ritterschaft) Baron Hahn ausübte. Ziemlich
gleichzeitig trat die Mehlfelderwirthschaft an die Stelle des alten Dreifeldersystems.
Die Art und Weise ihrer Verbreitung ist so charakteristisch für die Art des
kurischen Adels, daß ihrer in Kürze Erwähnung geschehen mag. Die Gutsbe¬
sitzer suchten durch Ueberredung auf ihre Pächter zu wirken und wo diese nicht
half, ließ der Herr das vierte Feld eigenmächtig durch seine eigenen Knechte
aufreißen; natürlicher Weise säete der Bauer auf diesen neuen Acker, an dem
die Hauptarbeit einmal geschehen war und auf diese Weise wurde die Adop¬
tion des neuen Systems gleichsam mit Gewalt und doch ohne Verletzung des
bäuerlichen Interesses durchgesetzt. Während in Liv- und Estland unauf¬
hörlich mit Agrargesetzen experimentirt wurde, vollzog sich die Conversion der
Frohn in die Geldpacht bei den Kurländcrn von selbst. Nachdem auf diese
Weise der legislatorische Fortschritt vorbereitet worden war, drang die Staats-
regierung im Anfang der 60er Jahre auf Freigebung des bäuerlichen Grund¬
besitzes und auf Beschränkung des bis dazu unbegrenzten Emziehungsrechts der
Herren. Dank der Thätigkeit der freisinnigen Adelspartei, welche der gegenwär¬
tige Landesbevollmächtigte v. d. Recke führte, wurden beide Negierungsanträge
im Sommer 1863 angenommen; schon vier Jahre später war nahezu ein Drit-
theil derer Bauerhöfe in das Eigenthum der Pächter übergegangen und die
glückliche materielle Lage des Bauernstandes gesetzlich garantirt. Im Juni 1865
ging der kurländische Adel einen neuen bedeutsamen Schritt auf der Bahn libe¬
raler Reformen weiter; er verzichtete freiwillig aus sein uraltes Recht zum aus¬
schließlichen Besitz von Rittergütern und gab den Erwerb derselben der Con-
currenz aller Stände frei. — Dringen wir durch das reiche, weizenbebaute
kurische Unterland weiter nach Osten vor, so gelangen wir jenseit des an der
Dura gelegenen Städtchens Friedrichsstadt in das sogenannte Oberland, einen
Winkel, der ein durchaus eigenthümliches, von den übrigen Theilen des Her¬
zogtums verschiedenes Gepräge trägt. Hier machen sich bereits die Einflüsse
der polnisch-litthauischen Nachbarschaft geltend. Landschaftlich herrscht der Walo
vor, der sich in ursprünglicher Wildheit.längs der Dura meilenweit in das
Land zieht und die Wohnsitze der Menschen und die Kornfelder als Ausnahmen
erscheinen läßt; die Bevölkerung ist eine gemischte, stark mit litthauischen und
polnischen Elementen versetzte und steht in sittlicher und intellectueller Beziehung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191975"/>
            <p xml:id="ID_613" prev="#ID_612" next="#ID_614"> Form der bäuerlichen Existenz und einzig der traditionellen Humanität der<lb/>
Gutsbesitzer, denen die harte Behandlung ihrer Leute für &#x201E;unkmisch" und<lb/>
unanstocratisch galt, war es zuzuschreiben, daß der Bauer nicht elend verküm¬<lb/>
merte; von diesem Zeitpunkt (den dreißiger Jahren) ab, begann die Conversion<lb/>
der Arbeitspacht oder Frohne in die Geldpacht, und zwar ohne jede Mitwirkung<lb/>
der Gesetzgebung, allein durch die Macht des guten Beispiels und des großen<lb/>
persönlichen Einflusses, den der damalige Landcsbcvollmächtigte (diesen Titel<lb/>
führt das Haupt der lurlänluschen Ritterschaft) Baron Hahn ausübte. Ziemlich<lb/>
gleichzeitig trat die Mehlfelderwirthschaft an die Stelle des alten Dreifeldersystems.<lb/>
Die Art und Weise ihrer Verbreitung ist so charakteristisch für die Art des<lb/>
kurischen Adels, daß ihrer in Kürze Erwähnung geschehen mag. Die Gutsbe¬<lb/>
sitzer suchten durch Ueberredung auf ihre Pächter zu wirken und wo diese nicht<lb/>
half, ließ der Herr das vierte Feld eigenmächtig durch seine eigenen Knechte<lb/>
aufreißen; natürlicher Weise säete der Bauer auf diesen neuen Acker, an dem<lb/>
die Hauptarbeit einmal geschehen war und auf diese Weise wurde die Adop¬<lb/>
tion des neuen Systems gleichsam mit Gewalt und doch ohne Verletzung des<lb/>
bäuerlichen Interesses durchgesetzt. Während in Liv- und Estland unauf¬<lb/>
hörlich mit Agrargesetzen experimentirt wurde, vollzog sich die Conversion der<lb/>
Frohn in die Geldpacht bei den Kurländcrn von selbst. Nachdem auf diese<lb/>
Weise der legislatorische Fortschritt vorbereitet worden war, drang die Staats-<lb/>
regierung im Anfang der 60er Jahre auf Freigebung des bäuerlichen Grund¬<lb/>
besitzes und auf Beschränkung des bis dazu unbegrenzten Emziehungsrechts der<lb/>
Herren. Dank der Thätigkeit der freisinnigen Adelspartei, welche der gegenwär¬<lb/>
tige Landesbevollmächtigte v. d. Recke führte, wurden beide Negierungsanträge<lb/>
im Sommer 1863 angenommen; schon vier Jahre später war nahezu ein Drit-<lb/>
theil derer Bauerhöfe in das Eigenthum der Pächter übergegangen und die<lb/>
glückliche materielle Lage des Bauernstandes gesetzlich garantirt. Im Juni 1865<lb/>
ging der kurländische Adel einen neuen bedeutsamen Schritt auf der Bahn libe¬<lb/>
raler Reformen weiter; er verzichtete freiwillig aus sein uraltes Recht zum aus¬<lb/>
schließlichen Besitz von Rittergütern und gab den Erwerb derselben der Con-<lb/>
currenz aller Stände frei. &#x2014; Dringen wir durch das reiche, weizenbebaute<lb/>
kurische Unterland weiter nach Osten vor, so gelangen wir jenseit des an der<lb/>
Dura gelegenen Städtchens Friedrichsstadt in das sogenannte Oberland, einen<lb/>
Winkel, der ein durchaus eigenthümliches, von den übrigen Theilen des Her¬<lb/>
zogtums verschiedenes Gepräge trägt. Hier machen sich bereits die Einflüsse<lb/>
der polnisch-litthauischen Nachbarschaft geltend. Landschaftlich herrscht der Walo<lb/>
vor, der sich in ursprünglicher Wildheit.längs der Dura meilenweit in das<lb/>
Land zieht und die Wohnsitze der Menschen und die Kornfelder als Ausnahmen<lb/>
erscheinen läßt; die Bevölkerung ist eine gemischte, stark mit litthauischen und<lb/>
polnischen Elementen versetzte und steht in sittlicher und intellectueller Beziehung</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] Form der bäuerlichen Existenz und einzig der traditionellen Humanität der Gutsbesitzer, denen die harte Behandlung ihrer Leute für „unkmisch" und unanstocratisch galt, war es zuzuschreiben, daß der Bauer nicht elend verküm¬ merte; von diesem Zeitpunkt (den dreißiger Jahren) ab, begann die Conversion der Arbeitspacht oder Frohne in die Geldpacht, und zwar ohne jede Mitwirkung der Gesetzgebung, allein durch die Macht des guten Beispiels und des großen persönlichen Einflusses, den der damalige Landcsbcvollmächtigte (diesen Titel führt das Haupt der lurlänluschen Ritterschaft) Baron Hahn ausübte. Ziemlich gleichzeitig trat die Mehlfelderwirthschaft an die Stelle des alten Dreifeldersystems. Die Art und Weise ihrer Verbreitung ist so charakteristisch für die Art des kurischen Adels, daß ihrer in Kürze Erwähnung geschehen mag. Die Gutsbe¬ sitzer suchten durch Ueberredung auf ihre Pächter zu wirken und wo diese nicht half, ließ der Herr das vierte Feld eigenmächtig durch seine eigenen Knechte aufreißen; natürlicher Weise säete der Bauer auf diesen neuen Acker, an dem die Hauptarbeit einmal geschehen war und auf diese Weise wurde die Adop¬ tion des neuen Systems gleichsam mit Gewalt und doch ohne Verletzung des bäuerlichen Interesses durchgesetzt. Während in Liv- und Estland unauf¬ hörlich mit Agrargesetzen experimentirt wurde, vollzog sich die Conversion der Frohn in die Geldpacht bei den Kurländcrn von selbst. Nachdem auf diese Weise der legislatorische Fortschritt vorbereitet worden war, drang die Staats- regierung im Anfang der 60er Jahre auf Freigebung des bäuerlichen Grund¬ besitzes und auf Beschränkung des bis dazu unbegrenzten Emziehungsrechts der Herren. Dank der Thätigkeit der freisinnigen Adelspartei, welche der gegenwär¬ tige Landesbevollmächtigte v. d. Recke führte, wurden beide Negierungsanträge im Sommer 1863 angenommen; schon vier Jahre später war nahezu ein Drit- theil derer Bauerhöfe in das Eigenthum der Pächter übergegangen und die glückliche materielle Lage des Bauernstandes gesetzlich garantirt. Im Juni 1865 ging der kurländische Adel einen neuen bedeutsamen Schritt auf der Bahn libe¬ raler Reformen weiter; er verzichtete freiwillig aus sein uraltes Recht zum aus¬ schließlichen Besitz von Rittergütern und gab den Erwerb derselben der Con- currenz aller Stände frei. — Dringen wir durch das reiche, weizenbebaute kurische Unterland weiter nach Osten vor, so gelangen wir jenseit des an der Dura gelegenen Städtchens Friedrichsstadt in das sogenannte Oberland, einen Winkel, der ein durchaus eigenthümliches, von den übrigen Theilen des Her¬ zogtums verschiedenes Gepräge trägt. Hier machen sich bereits die Einflüsse der polnisch-litthauischen Nachbarschaft geltend. Landschaftlich herrscht der Walo vor, der sich in ursprünglicher Wildheit.längs der Dura meilenweit in das Land zieht und die Wohnsitze der Menschen und die Kornfelder als Ausnahmen erscheinen läßt; die Bevölkerung ist eine gemischte, stark mit litthauischen und polnischen Elementen versetzte und steht in sittlicher und intellectueller Beziehung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/214>, abgerufen am 20.10.2024.