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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Kirchthürme, stolze Edelhofe, behäbige Pastoratswidmen und zahlreiche Bauer¬
häuser, meist von wohlgepflegten Obstgärten umgeben, über den wellenförmigen
Boden, der den ursprünglich maritimen Charakter der weiten Ebene bezeichnet,
freundlich ins Land. Alles athmet Behagen und aufstrebenden Wohlstand; die
Wirthshäuser (Krüge), in welchen der Wanderer einkehrt, sind sauber und den
Ansprüchen civilisirter Menschen entsprechend eingerichtet, in der "deutschen
Stube" wird der Gast von einer freundlichen, das Deutsche geläufig redenden
lettischen oder halblettischen Wirthin empfangen und wenn er in die nebenan
liegende Schenkstube tritt, kann er in den meisten Fällen darauf rechnen, von
den jungen Bauerburschen, die hier beim Glase beisammensitzen, verstanden zu
werden. In keinem Theil des baltischen Landes ist der deutsch-protestantische
Charakter der Cultur so deutlich ausgeprägt, wie in diesem, nirgend ist die
Germanisation so weit vorgedrungen wie hier, nirgend von fremden Elemen¬
ten so wenig zu spüren wie in Unter-Kurland. Eigentliche Städte werden in
blos geringer Anzahl gefunden, dagegen ist die Zahl der Flecken und Hakelwerke,
die der Verbreitung des deutschen Elements Vorschub leisten und von Leuten
bewohnt werden, die die natürliche Vermittelung zwischen beiden Nationalitäten
bilden, -- ziemlich bedeutend. Dörfer fehlen dagegen vollständig; in Kurland
und in dem lettischen Theil Livlands sitzt der Bauer einsam auf der Scholle,
die er als Pächter oder Grundeigenthümer erworben, oft eine halbe Meile vom
nächsten Nachbarn entfernt.

Während der Schornstein noch manchem Bauernhause der (innern Gegend
Liv- und Estlands fehlt, wird er in Unterkurland seit einem halben Menschen¬
alter allenthalben angetroffen, häufig auf ein Steingebäude herabsehend, das
sammt den weitläufigen Nebengebäuden, dank den Vauverbändcn, welche auf
Zahlreichen Gütern des Landes bestehen, mit verhältnißmäßig geringen Kosten
hergerichtet ist. Das gesammte Gehöft zeichnet sich durch Ordnung und Rein¬
lichkeit aus, zweien Tugenden, welche der kurische Leite rasch angenommen hat,
und ist häusig durch eure wohigepflanzte Allee schlanker Birken oder knorriger
Ahornbäume mit der Landstraße verbunden. Nach jahrhundertelanger Stag¬
nation ist es mit der agrarischen Entwickelung des "Gottesländchcns" (mit
diesem Ausdruck ihres Nationalheiden des Herzog Gotthard, Pflegen die Kur¬
länder ihre Heimath zu bezeichnen) merkwürdig rasch vorwärts gegangen. Erst
1817 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben und das Agrargesetz, welches
die neuen Beziehungen zwischen Herren und Bauern regelte, beging den Feh¬
ler, sich auf den Boden der freien Contracte zu stellen d. h. allen Grund und
Boden dem Gutsbesitzer zuzusprechen, die Bedingungen der Verpachtung dem
Übereinkommen zwischen diesem und dem bäuerlichen Pachter zu überlassen,
und diesen von der Erwerbung eigenthümlichen Grundbesitzes auszuschließen.
Bis zum Anfang der dreißiger Jahre war die Arbeitspacht die einzige übliche


Kirchthürme, stolze Edelhofe, behäbige Pastoratswidmen und zahlreiche Bauer¬
häuser, meist von wohlgepflegten Obstgärten umgeben, über den wellenförmigen
Boden, der den ursprünglich maritimen Charakter der weiten Ebene bezeichnet,
freundlich ins Land. Alles athmet Behagen und aufstrebenden Wohlstand; die
Wirthshäuser (Krüge), in welchen der Wanderer einkehrt, sind sauber und den
Ansprüchen civilisirter Menschen entsprechend eingerichtet, in der „deutschen
Stube" wird der Gast von einer freundlichen, das Deutsche geläufig redenden
lettischen oder halblettischen Wirthin empfangen und wenn er in die nebenan
liegende Schenkstube tritt, kann er in den meisten Fällen darauf rechnen, von
den jungen Bauerburschen, die hier beim Glase beisammensitzen, verstanden zu
werden. In keinem Theil des baltischen Landes ist der deutsch-protestantische
Charakter der Cultur so deutlich ausgeprägt, wie in diesem, nirgend ist die
Germanisation so weit vorgedrungen wie hier, nirgend von fremden Elemen¬
ten so wenig zu spüren wie in Unter-Kurland. Eigentliche Städte werden in
blos geringer Anzahl gefunden, dagegen ist die Zahl der Flecken und Hakelwerke,
die der Verbreitung des deutschen Elements Vorschub leisten und von Leuten
bewohnt werden, die die natürliche Vermittelung zwischen beiden Nationalitäten
bilden, — ziemlich bedeutend. Dörfer fehlen dagegen vollständig; in Kurland
und in dem lettischen Theil Livlands sitzt der Bauer einsam auf der Scholle,
die er als Pächter oder Grundeigenthümer erworben, oft eine halbe Meile vom
nächsten Nachbarn entfernt.

Während der Schornstein noch manchem Bauernhause der (innern Gegend
Liv- und Estlands fehlt, wird er in Unterkurland seit einem halben Menschen¬
alter allenthalben angetroffen, häufig auf ein Steingebäude herabsehend, das
sammt den weitläufigen Nebengebäuden, dank den Vauverbändcn, welche auf
Zahlreichen Gütern des Landes bestehen, mit verhältnißmäßig geringen Kosten
hergerichtet ist. Das gesammte Gehöft zeichnet sich durch Ordnung und Rein¬
lichkeit aus, zweien Tugenden, welche der kurische Leite rasch angenommen hat,
und ist häusig durch eure wohigepflanzte Allee schlanker Birken oder knorriger
Ahornbäume mit der Landstraße verbunden. Nach jahrhundertelanger Stag¬
nation ist es mit der agrarischen Entwickelung des „Gottesländchcns" (mit
diesem Ausdruck ihres Nationalheiden des Herzog Gotthard, Pflegen die Kur¬
länder ihre Heimath zu bezeichnen) merkwürdig rasch vorwärts gegangen. Erst
1817 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben und das Agrargesetz, welches
die neuen Beziehungen zwischen Herren und Bauern regelte, beging den Feh¬
ler, sich auf den Boden der freien Contracte zu stellen d. h. allen Grund und
Boden dem Gutsbesitzer zuzusprechen, die Bedingungen der Verpachtung dem
Übereinkommen zwischen diesem und dem bäuerlichen Pachter zu überlassen,
und diesen von der Erwerbung eigenthümlichen Grundbesitzes auszuschließen.
Bis zum Anfang der dreißiger Jahre war die Arbeitspacht die einzige übliche


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[0213] Kirchthürme, stolze Edelhofe, behäbige Pastoratswidmen und zahlreiche Bauer¬ häuser, meist von wohlgepflegten Obstgärten umgeben, über den wellenförmigen Boden, der den ursprünglich maritimen Charakter der weiten Ebene bezeichnet, freundlich ins Land. Alles athmet Behagen und aufstrebenden Wohlstand; die Wirthshäuser (Krüge), in welchen der Wanderer einkehrt, sind sauber und den Ansprüchen civilisirter Menschen entsprechend eingerichtet, in der „deutschen Stube" wird der Gast von einer freundlichen, das Deutsche geläufig redenden lettischen oder halblettischen Wirthin empfangen und wenn er in die nebenan liegende Schenkstube tritt, kann er in den meisten Fällen darauf rechnen, von den jungen Bauerburschen, die hier beim Glase beisammensitzen, verstanden zu werden. In keinem Theil des baltischen Landes ist der deutsch-protestantische Charakter der Cultur so deutlich ausgeprägt, wie in diesem, nirgend ist die Germanisation so weit vorgedrungen wie hier, nirgend von fremden Elemen¬ ten so wenig zu spüren wie in Unter-Kurland. Eigentliche Städte werden in blos geringer Anzahl gefunden, dagegen ist die Zahl der Flecken und Hakelwerke, die der Verbreitung des deutschen Elements Vorschub leisten und von Leuten bewohnt werden, die die natürliche Vermittelung zwischen beiden Nationalitäten bilden, — ziemlich bedeutend. Dörfer fehlen dagegen vollständig; in Kurland und in dem lettischen Theil Livlands sitzt der Bauer einsam auf der Scholle, die er als Pächter oder Grundeigenthümer erworben, oft eine halbe Meile vom nächsten Nachbarn entfernt. Während der Schornstein noch manchem Bauernhause der (innern Gegend Liv- und Estlands fehlt, wird er in Unterkurland seit einem halben Menschen¬ alter allenthalben angetroffen, häufig auf ein Steingebäude herabsehend, das sammt den weitläufigen Nebengebäuden, dank den Vauverbändcn, welche auf Zahlreichen Gütern des Landes bestehen, mit verhältnißmäßig geringen Kosten hergerichtet ist. Das gesammte Gehöft zeichnet sich durch Ordnung und Rein¬ lichkeit aus, zweien Tugenden, welche der kurische Leite rasch angenommen hat, und ist häusig durch eure wohigepflanzte Allee schlanker Birken oder knorriger Ahornbäume mit der Landstraße verbunden. Nach jahrhundertelanger Stag¬ nation ist es mit der agrarischen Entwickelung des „Gottesländchcns" (mit diesem Ausdruck ihres Nationalheiden des Herzog Gotthard, Pflegen die Kur¬ länder ihre Heimath zu bezeichnen) merkwürdig rasch vorwärts gegangen. Erst 1817 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben und das Agrargesetz, welches die neuen Beziehungen zwischen Herren und Bauern regelte, beging den Feh¬ ler, sich auf den Boden der freien Contracte zu stellen d. h. allen Grund und Boden dem Gutsbesitzer zuzusprechen, die Bedingungen der Verpachtung dem Übereinkommen zwischen diesem und dem bäuerlichen Pachter zu überlassen, und diesen von der Erwerbung eigenthümlichen Grundbesitzes auszuschließen. Bis zum Anfang der dreißiger Jahre war die Arbeitspacht die einzige übliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/213>, abgerufen am 20.10.2024.