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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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dienen könnten.*) Er berief sich hierbei auf den eifolgreichcn Vorgang der
internationalen Congresse für Gefängnißrcform, öffentliche Gesundheitspflege ze.

Die erste behandelte Frage war die der Aetiologie des Typhus. Es
wurde sehr vag darüber hin und her geredet, in welcher Jahreszeit der Typhus
an einzelnen Orten vorherrsche, ob Feuchtigkeit auf die Verbreitung dieser
Krankheit von Einfluß sei u. tgi., alles ohne hinreichende Grundlage. Griesin-
ger legte dar, wie bei dieser Nachforschung die heftigeren Epidemien von den
mehr sporadischen Fällen getrennt ins Auge gefaßt werden müßten. Virchow
meinte, nicht sowohl der Stand des Grundwassers sei von Wichtigkeit, als
vielmehr der Stoff der es verunreinige; er betonte die locale Contactinfection.
das Ende des Dünndarms werde vorzugsweise ergriffen, weil hier der krank
machende Stoff am längsten verweile. Höchst beachtenswert!) war die von P> of.
Buhl aus München eingesandte Zeichnung der Schwankungen des dortigen
Grundwassers und der Zahl der Typhusfälle während 12 Jahren. Absolut
entspricht jedesmal dem Fallen des Grundwassers ein Steigen des Typhus.
Seid! hat auf mathematischem Wege durch Anwendung der Wahischcinlichkeits-
rechnung die Behauptung, daß dies Verhältniß ein blos zufälliges sei, vollstän¬
dig entkräftet. In dem beigefügten Briefe legte Buhl sehr schön dar, wie un¬
gerechtfertigt es bei unserer totalen Unkenntniß des Typhusgiftes sei, letzteres
w Wirkung aus Verbreitung u. s. w. dem Choleragifte in den Cholerastühlen
gleich zu stellen. Der Pilz, der bei dem Typhus Wohl anzunehmen, ist nicht
^e specifische Ursache der Krankheit sondern nur das nothwendige Vorkommnis;
bei der Gälirung und Fäulniß der durch die Krankheit außer Verband mit den
physiologischen Thätigkeiten getretenen Flüssigkeiten und Körpertheilchen. --
P ettenkofer hält den Flortyphus für eine specifische Infectionskrankheit, er tritt
an gewissen Orten häufiger und heftiger auf als an anderen. Locale und zeitliche
Momente hierfür sind aufzusuchen. Unreinlichkeit in den Häusern und deren
nächster Umgebung reichen nicht hin, epidemisches Auftreten zu erklären; solche
Unreinlichkeit würde dauerndes und überall wo sie angetroffen wird, gleich¬
mäßiges Auftreten bedingen. Höchst wahrscheinlich sind auf die örtliche und
Zeitliche Entwicklung des uns noch unbekannten Typhusinfectivnsstoffcs gewisse
Boden- und Wasscrverhältnisse von Einfluß, erstere für die örtliche, letztere für
die zeitliche Entwicklung. Sie wird begünstigt durch porösen Boden und fällt
wie dem niedergehenden Wassergehalt des Bodens zusammen. Ob die Luft
oder das Wasser im Boden die Typhusursache abgebe, sei zu untersuchen.



") Diese gewiß sehr richtigen, ja unerläßlichen Sätze haben soeben in der Nationalzeitung
(1. Beiblatt zu Ur. 473 v. 10. October) eine weitere, sehr eindringliche Ausführung durch Stadt-
baumeister Hobrecht aus Stettin erfahren, welcher auch an der frankfurter Versammlung thä¬
tigen Antheil genommen hat.
Grenzboten IV. 18V7- 25

dienen könnten.*) Er berief sich hierbei auf den eifolgreichcn Vorgang der
internationalen Congresse für Gefängnißrcform, öffentliche Gesundheitspflege ze.

Die erste behandelte Frage war die der Aetiologie des Typhus. Es
wurde sehr vag darüber hin und her geredet, in welcher Jahreszeit der Typhus
an einzelnen Orten vorherrsche, ob Feuchtigkeit auf die Verbreitung dieser
Krankheit von Einfluß sei u. tgi., alles ohne hinreichende Grundlage. Griesin-
ger legte dar, wie bei dieser Nachforschung die heftigeren Epidemien von den
mehr sporadischen Fällen getrennt ins Auge gefaßt werden müßten. Virchow
meinte, nicht sowohl der Stand des Grundwassers sei von Wichtigkeit, als
vielmehr der Stoff der es verunreinige; er betonte die locale Contactinfection.
das Ende des Dünndarms werde vorzugsweise ergriffen, weil hier der krank
machende Stoff am längsten verweile. Höchst beachtenswert!) war die von P> of.
Buhl aus München eingesandte Zeichnung der Schwankungen des dortigen
Grundwassers und der Zahl der Typhusfälle während 12 Jahren. Absolut
entspricht jedesmal dem Fallen des Grundwassers ein Steigen des Typhus.
Seid! hat auf mathematischem Wege durch Anwendung der Wahischcinlichkeits-
rechnung die Behauptung, daß dies Verhältniß ein blos zufälliges sei, vollstän¬
dig entkräftet. In dem beigefügten Briefe legte Buhl sehr schön dar, wie un¬
gerechtfertigt es bei unserer totalen Unkenntniß des Typhusgiftes sei, letzteres
w Wirkung aus Verbreitung u. s. w. dem Choleragifte in den Cholerastühlen
gleich zu stellen. Der Pilz, der bei dem Typhus Wohl anzunehmen, ist nicht
^e specifische Ursache der Krankheit sondern nur das nothwendige Vorkommnis;
bei der Gälirung und Fäulniß der durch die Krankheit außer Verband mit den
physiologischen Thätigkeiten getretenen Flüssigkeiten und Körpertheilchen. —
P ettenkofer hält den Flortyphus für eine specifische Infectionskrankheit, er tritt
an gewissen Orten häufiger und heftiger auf als an anderen. Locale und zeitliche
Momente hierfür sind aufzusuchen. Unreinlichkeit in den Häusern und deren
nächster Umgebung reichen nicht hin, epidemisches Auftreten zu erklären; solche
Unreinlichkeit würde dauerndes und überall wo sie angetroffen wird, gleich¬
mäßiges Auftreten bedingen. Höchst wahrscheinlich sind auf die örtliche und
Zeitliche Entwicklung des uns noch unbekannten Typhusinfectivnsstoffcs gewisse
Boden- und Wasscrverhältnisse von Einfluß, erstere für die örtliche, letztere für
die zeitliche Entwicklung. Sie wird begünstigt durch porösen Boden und fällt
wie dem niedergehenden Wassergehalt des Bodens zusammen. Ob die Luft
oder das Wasser im Boden die Typhusursache abgebe, sei zu untersuchen.



") Diese gewiß sehr richtigen, ja unerläßlichen Sätze haben soeben in der Nationalzeitung
(1. Beiblatt zu Ur. 473 v. 10. October) eine weitere, sehr eindringliche Ausführung durch Stadt-
baumeister Hobrecht aus Stettin erfahren, welcher auch an der frankfurter Versammlung thä¬
tigen Antheil genommen hat.
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[0193] dienen könnten.*) Er berief sich hierbei auf den eifolgreichcn Vorgang der internationalen Congresse für Gefängnißrcform, öffentliche Gesundheitspflege ze. Die erste behandelte Frage war die der Aetiologie des Typhus. Es wurde sehr vag darüber hin und her geredet, in welcher Jahreszeit der Typhus an einzelnen Orten vorherrsche, ob Feuchtigkeit auf die Verbreitung dieser Krankheit von Einfluß sei u. tgi., alles ohne hinreichende Grundlage. Griesin- ger legte dar, wie bei dieser Nachforschung die heftigeren Epidemien von den mehr sporadischen Fällen getrennt ins Auge gefaßt werden müßten. Virchow meinte, nicht sowohl der Stand des Grundwassers sei von Wichtigkeit, als vielmehr der Stoff der es verunreinige; er betonte die locale Contactinfection. das Ende des Dünndarms werde vorzugsweise ergriffen, weil hier der krank machende Stoff am längsten verweile. Höchst beachtenswert!) war die von P> of. Buhl aus München eingesandte Zeichnung der Schwankungen des dortigen Grundwassers und der Zahl der Typhusfälle während 12 Jahren. Absolut entspricht jedesmal dem Fallen des Grundwassers ein Steigen des Typhus. Seid! hat auf mathematischem Wege durch Anwendung der Wahischcinlichkeits- rechnung die Behauptung, daß dies Verhältniß ein blos zufälliges sei, vollstän¬ dig entkräftet. In dem beigefügten Briefe legte Buhl sehr schön dar, wie un¬ gerechtfertigt es bei unserer totalen Unkenntniß des Typhusgiftes sei, letzteres w Wirkung aus Verbreitung u. s. w. dem Choleragifte in den Cholerastühlen gleich zu stellen. Der Pilz, der bei dem Typhus Wohl anzunehmen, ist nicht ^e specifische Ursache der Krankheit sondern nur das nothwendige Vorkommnis; bei der Gälirung und Fäulniß der durch die Krankheit außer Verband mit den physiologischen Thätigkeiten getretenen Flüssigkeiten und Körpertheilchen. — P ettenkofer hält den Flortyphus für eine specifische Infectionskrankheit, er tritt an gewissen Orten häufiger und heftiger auf als an anderen. Locale und zeitliche Momente hierfür sind aufzusuchen. Unreinlichkeit in den Häusern und deren nächster Umgebung reichen nicht hin, epidemisches Auftreten zu erklären; solche Unreinlichkeit würde dauerndes und überall wo sie angetroffen wird, gleich¬ mäßiges Auftreten bedingen. Höchst wahrscheinlich sind auf die örtliche und Zeitliche Entwicklung des uns noch unbekannten Typhusinfectivnsstoffcs gewisse Boden- und Wasscrverhältnisse von Einfluß, erstere für die örtliche, letztere für die zeitliche Entwicklung. Sie wird begünstigt durch porösen Boden und fällt wie dem niedergehenden Wassergehalt des Bodens zusammen. Ob die Luft oder das Wasser im Boden die Typhusursache abgebe, sei zu untersuchen. ") Diese gewiß sehr richtigen, ja unerläßlichen Sätze haben soeben in der Nationalzeitung (1. Beiblatt zu Ur. 473 v. 10. October) eine weitere, sehr eindringliche Ausführung durch Stadt- baumeister Hobrecht aus Stettin erfahren, welcher auch an der frankfurter Versammlung thä¬ tigen Antheil genommen hat. Grenzboten IV. 18V7- 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/193>, abgerufen am 27.09.2024.